Ohne das Zimmer zu verlassen, zogen sich die Mädchen in den äußersten Winkel desselben zurück und setzten sich auf eine kleine Bank an der Wand nieder, wo sie stumm wie Statuen sitzen blieben.
»Pilgrim,« sagte die Dame nach einer kurzen Pause, während welcher sie ungewiß schien, wie sie ihn anreden solle, »Ihr erwähntet heute Abend einen Namen, ich meine,« sie sprach diese Worte mit einer gewissen Anstrengung, »den Namen Ivanhoe in der Halle, in der er in Folge der Natur und Verwandtschaft am willkommensten hätte klingen sollen, und doch ist der Gang des Schicksals so wunderlich, daß von vielen, deren Herzen bei diesem Tone höher ge schlagen haben müssen, ich allein es wage, Euch zu fragen, wo und in welcher Lage Ihr den Erwähnten verlassen habt? Wir hörten, daß er wegen seiner geschwächten Gesundheit nach dem Abzuge der englischen Armee in Palästina geblieben sei und die Verfolgung der französischen Partei erfahren habe, welcher bekanntlich die Tempelherren zugethan sind.«
»Ich weiß wenig von Ritter Ivanhoe,« antwortete der Pilger mit bewegter Stimme. »Ich wollte, ich kennte ihn besser, da Ihr, Fräulein, Antheil an seinem Schicksal nehmt. Ich glaube, er hat die Verfolgung seiner Feinde in Palästina überwunden und ist im Begriff, nach England zurückzukehren, wo Ihr, mein Fräulein, besser wissen müßt als ich, wie sein Schicksal ausfallen wird.«
Lady Rowena seufzte tief und fragte genauer, wann man den Ritter Ivanhoe in seinem Vaterlande zurückerwarten könne, und ob er unterwegs nicht vielleicht großen Gefahren ausgesetzt sei. Ueber den ersten Punkt, sagte der Pilger, sei er in Unkenntniß, hinsichtlich des zweiten meinte er, daß die Reise über Venedig und Genua und von dort über Frankreich nach England mit Sicherheit gemacht werden könne. »Ivanhoe,« fuhr er fort, »war so wohl bekannt mit der Sprache und den Sitten der Franzosen, daß man nicht zu fürchten hat, es werde ihm auf diesem Theil seiner Reise ein Unheil widerfahren.«
»Wollte Gott,« sagte Rowena, »er wäre erst wohlbehalten hier angekommen, und im Stande, im bevorstehenden Turnier die Waffen zu führen, wo die Ritterschaft dieses Landes ihre Geschicklichkeit und Tapferkeit zeigen will. Sollte Athelstane von Coningsburgh den Preis erhalten, so möchte Ivanhoe schlimme Nachrichten hören, wenn er nach England gelangt. Wie sah er aus, Fremdling, als Ihr ihn zuletzt sahet? Hatte die Krankheit seiner Kraft und Schönheit sehr geschadet?«
»Er war schwärzer und hagerer, als da er im Gefolge Richard des Löwenherzigen von Cypern kam,« sagte der Pilger, »und die Sorge schien schwer auf seine Stirn zu drücken, doch ich kam ihm nicht nahe, weil er mir unbekannt ist.«
»Er wird wenig in seinem Vaterlande finden,« sagte die Dame »was diese Wolken von seiner Stirn zu verscheuchen vermag. Dank, guter Pilger, für Eure Nachricht über den Gefährten meiner Kindheit. Mädchen,« sagte sie, »kommt näher, reicht diesem heiligen Manne den Schlaftrunk; ich will ihn nicht länger seiner Ruhe berauben.«
Das eine der Mädchen reichte ihr einen silbernen Becher, der eine köstliche Mischung von Wein und Gewürz enthielt, den Rowena nur an ihre Lippen setzte. Hierauf wurde er dem Pilger angeboten, der nach einer tiefen Verbeugung einige Tropfen kostete.
»Nimm dieses Almosen, Freund,« fuhr die Dame fort, indem sie ihm ein Goldstück reichte, »als Anerkennung für Deine mühevolle Reise und den Besuch der Heiligthümer, die Du gesehen.«
Der Pilger empfing die Gabe mit einer zweiten tiefen Verbeugung und folgte Edwina aus dem Zimmer.
In dem Vorzimmer fand er seinen Begleiter Anwold, der der Zofe die Fackel aus der Hand nahm und ihn mit mehr Hast als Ceremonie in den äußern und rohen Theil des Gebäudes führte, wo eine Anzahl kleiner Gemächer oder vielmehr Zellen dem untergeordneten Gesinde und Fremden niedern Ranges als Schlafgemächer dienten.
»In welcher Zelle schläft der Jude?« fragte der Pilger.
»Der ungläubige Hund,« antwortete Anwold, »herbergt in der Eurer Heiligkeit zunächst liegenden. – Heiliger Dunstan, wie wird sie gescheuert und gereinigt werden müssen, ehe sie wieder für einen Christen taugt!«
»Und wo schläft Gurth, der Schweinehirt?« fragte der Fremde weiter.
»Gurth,« versetzte der Diener, »schläft zu Eurer Rechten, der Jude zu Eurer Linken, Ihr dient dazu, ihn vor der Verunreinigung durch dieses Kind der Beschneidung zu schützen. Ihr würdet ein ehrenvolleres Quartier erhalten haben, hättet Ihr Oswalds Einladung angenommen.«
»Es ist gut so,« sagte der Pilger, »die Gesellschaft selbst eines Juden kann ihre Ansteckung doch schwerlich durch eine eichene Wand verbreiten.«
Mit diesen Worten trat er in das für ihn bestimmte Gemach, nahm dem Diener die Fackel ab, dankte ihm und wünschte ihm gute Nacht.
Nachdem er die Thür seiner Zelle verriegelt hatte, steckte er die Fackel in den hölzernen Leuchter und sah sich in seinem Schlafgemach um, dessen Mobiliar von der einfachsten Art war. Es enthielt einen rohen hölzernen Stuhl und ein noch roheres Bettgestell, mit reinem Stroh gefüllt und mit zwei oder drei Schaffellen statt der Bettdecke versehen.
Nachdem der Pilger seine Fackel ausgelöscht hatte, warf er sich, ohne eines seiner Kleidungsstücke abzulegen, auf sein rohes Lager und schlief oder blieb wenigstens in liegender Stellung, bis der erste Sonnenstrahl den Weg durch das kleine vergitterte Fenster fand, welches der Luft ebensowohl wie dem Licht zum Eingang diente. Dann sprang er auf, verrichtete sein Morgengebet, und nachdem er seine Kleidung in Ordnung gebracht, verließ er sein Gemach und trat in das des Juden Isaak, den Riegel so leise als möglich aufhebend.
Der Bewohner desselben lag in unruhigem Schlummer auf einem Lager, ähnlich dem, auf welchem der Pilger die Nacht zugebracht hatte. Die Kleidungsstücke, welche der Jude am vergangenen Abend von sich gethan, hatte er sorgfältig um sich herum gelegt, als wollte er verhindern, daß man sie ihm während des Schlafes stehle. Auf seinem Gesichte zeigte sich eine Unruhe, die beinahe Todesangst ausdrückte, Arme und Hände regten sich gewaltsam, als kämpfe er gegen den Alp, und außer einigen hebräischen Ausrufungen konnte man sehr deutlich die Worte vernehmen: »Um des Gottes Abrahams willen verschont einen armen, unglücklichen, alten Mann! Ich habe keinen Pfennig, und wenn Ihr mir mit Eurem Eisen alle Glieder verrenkt, ich kann Euch doch nichts geben!«
Der Pilger wartete nicht das Ende der Vision ab, sondern weckte den Juden mit seinem Stabe. Diese Berührung verknüpfte sich, wie es zu geschehen pflegt, mit den Befürchtungen, die der vorhergehende Traum erzeugt hatte, denn der Alte sprang auf, sein graues Haar sträubte sich empor, und indem er einige Kleidungsstücke um sich herumschlug und die abgelegten Stücke mit dem gierigen Griffe eines Falken faßte, heftete er seine stieren schwarzen Augen mit dem Ausdruck wahnsinnigen Schreckens und tödtlicher Furcht auf den Pilger.
»Ihr habt nichts von mir zu fürchten, Isaak,« sagte dieser, »ich komme als Euer Freund.«
»Der Gott Israels lohn es Euch,« entgegnete der Jude, sehr beruhigt, »ich träumte – aber Vater Abraham sei gelobt, es war nur ein Traum.« Dann faßte er sich und fügte in seinem gewöhnlichen Tone hinzu: »Was beliebt Euch denn, zu einer so frühen Stunde von dem armen Juden zu verlangen?«
»Ich wollte Euch bloß melden,« sagte der Pilger, »daß, wenn Ihr nicht augenblicklich dieses Haus verlaßt und schnell von dannen zieht, die Reise Euch gefährlich werden kann.«
»Heiliger Vater,« erwiderte der Jude, »wer kann denn einen armen Juden in Gefahr bringen wollen?«
»Das mögt Ihr selbst errathen,« antwortete der Pilger, »aber so viel ist gewiß, daß, als gestern der Templer aus der Halle schritt, er zu seinen Türkensklaven in saracenischer Sprache, die ich sehr gut verstehe, sagte, sie sollten dem Juden morgen unterwegs in einiger Entfernung von diesem Hause aufpassen, ihn ergreifen und ihn auf das Schloß des Philipp de Malvoisin oder des Reginald Front de Boeuf bringen!«
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