1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 „Hey“, rief er dann plötzlich aus und hielt eine Karte hoch. „Die Frage hast du mir ja gar nicht gestellt!“, setzte er sich auf. „Welche?“ Sie hatte sich über den Tisch gebeugt, um ihm die Karten nötigenfalls mit Gewalt zu entreißen, doch er schlug ihr einfach auf die Finger. „Glaubst du an die große Liebe?“ „Wie bitte?“ „Das steht da“, stand er auf und ging zum Fenster. „Glaubst du an die große Liebe. – Wieso hast du mich das nicht gefragt?“ Sie stand ebenfalls auf und ging um den Tisch herum. „Es hat sich nicht ergeben.“ Sie schaffte es, ihm die Karten wegzunehmen und stopfte sie eilig in ihre Tasche. „Wie?“, nahm er einen tiefen Zug. „Du willst gar nicht wissen, wie es um mein Liebesleben steht? Himmel, kann das denn wahr sein?“ Er stieß den Rauch ganz langsam durch die Nase aus und musterte sie, um ein Zeichen von Ertapptheit zu finden. „Wieso sollte ich dich etwas fragen“, zuckte sie die Schultern, „worauf du sowieso keine ehrliche Antwort gibst?“ Sie hörte Oscar leise lachen, während er seine Kamera wegpackte. „Hmm, das ist natürlich eine gute Frage“, nickte Haydn und schnippte Asche in den Aschenbecher auf dem Fensterbrett. „Okay, das sehe ich ein. – Aber falls dein Boss dich fragen sollte, sag ihm einfach: ja.“ Sie hob den Kopf. „Ja, was?“ „Einfach: ja!“ „Ooookaaay...“ Sie nahm das Diktiergerät vom Tisch, um es ebenfalls in ihre Tasche zu stecken. Oscar und sie waren nun bereit zu gehen – und je früher desto besser.
„Wartet, ich komme noch schnell mit runter“, drückte Haydn eilig seine Zigarette aus. „Ich brauche einen Spaziergang.“ Noch bevor Linnea etwas sagen konnte hatte er die Stiefel von sich gekickt und warf einen viel zu großen Wollpullover über. „Den habe ich mir jetzt verdient“, stieg er in ein Paar ausgetretene Sneakers und öffnete die Tür. Oscar und Linnea folgten ihm etwas verdutzt den Gang hinauf zum Lift. War das gerade Traum oder tatsächlich Wirklichkeit? Es war, als hätte er gerade innerhalb einer Sekunde die Persönlichkeiten gewechselt. Und obwohl er sein Outfit aufgelöst hatte, sah er immer noch unglaublich sexy aus wo jeder andere lächerlich gewirkt hätte.
Auf der Fahrt nach unten studierte Haydn sein Spiegelbild und zupfte an seinen Haaren. „Gott, ich sehe aus wie ein Clown, der von der Arbeit kommt“, stieß er aus und fuhr dann herum, als hätte er tatsächlich für einen Moment vergessen, dass er nicht alleine war. „Findest du, ich habe die Figur für solche Hosen?“ „Erm… ?“ Redete er jetzt tatsächlich mit ihr? „Ach nichts.“ Der Lift war unten angekommen und Haydn ließ ihnen den Vortritt. „Danke für das Interview“, drehte Linnea sich eilig um und streckte ihm die Hand entgegen. Jetzt war er es, der für einen Moment stutzte und zögerte, auf ihre rasche Verabschiedung einzugehen. „Erm, ja... Gern geschehen“, nahm er an, nur um sich dann wieder zusammen zu reißen und ihr die Hand zu küssen. Linnea entzog sie ihm schnell, bevor sich ihre Blicke trafen und steuerte eilig auf die Ausgangstür zu, wo Oscar bereits auf sie wartete. Nur nicht wieder umdrehen!
Haydn blieb am Aufzug stehen und sah ihr nach. Als sie etwa die Hälfte der Empfangshalle durchquert hatte, kam plötzlich Bewegung in ihn. „Hey“, rief er ihr nach. „Muss ich noch mal so ein langweiliges Interview über mich ergehen lassen, oder können wir das auch so wiederholen?“ Sie schluckte und zwang sich stehen zu bleiben. Wider besseren Wissens drehte sie sich halb zu ihm herum. „Ich arbeite im Musikbusiness“, setzte sie an, „und du arbeitest im Musikbusiness.“ Sie musste raus hier! „Irgendwann läuft man sich da bestimmt wieder über den Weg.“ Bevor sie sich erneut zum Gehen wenden konnte, spürte sie eine Hand auf ihrem Arm, die sie zurück hielt. „Eigentlich habe ich nicht das gemeint...“ Er war ihr so nah, dass sie sein Aftershave riechen konnte und obwohl alles in ihr sich dagegen wehrte, drehte sie sich ganz zu ihm. „Und was hast du dann gemeint?“ „Na ja...“, legte er seine Arme um ihre Hüften. „Ich will es mal so ausdrücken...“
„Wow, was für ein Kuss!“ Oscar stieg neben ihr ins Taxi und drückte einen Knopf auf seiner Kamera. Linnea, die den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen hatte, schnellte hoch. „Hast du davon etwa Fotos gemacht?“, kam sie augenblicklich in die Wirklichkeit zurück. „Hey“, zuckte er die Schultern, „solche Bilder kriegt man nicht oft.“ „Gib das sofort her!“ Sie riss ihm die Kamera aus der Hand, wurde aber sofort von den vielen Knöpfen zurückgeworfen und musste sie sich von Oscar wieder abnehmen lassen. „Keine Sorge“, beruhigte er sie. „Die wird niemand zu sehen kriegen. – Ich dachte nur, du willst vielleicht ein hübsches Andenken haben.“ Andenken? Wollte er gerade lustig sein? „Bist du wahnsinnig? Du weißt, dass ich eine Beziehung habe! Ich glaube nicht, dass Albin sich darüber freuen würde.“ „Na und?“ Der junge Mann stopfte die Kamera zurück in seine Tasche und lehnte sich zurück. „Er hat dich doch nur geküsst. Sieh es einfach als nette Zugabe. – Oder küsst er etwa so schlecht?“ Nein... „Das ist doch völlig egal!“, wehrte sie eilig das Gefühl ab, das in ihr aufsteigen wollte. „Tatsache ist, dass er es getan hat, ohne mich um Erlaubnis zu bitten.“ „Denkst du, ein Haydn Cavendish fragt, ob er ein Mädchen küssen darf? Sein Ruf kommt nicht von irgendwo!“ „Ja genau!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Er ist ein arroganter... Ach, ich finde gar keine Worte!“ „Wenn du das sagst...“
Die Wohnung lag längst im Dunkeln, als Linnea die Tür aufschloss und ins Zimmer schlich. Leise zog sie die Schuhe aus und legte die Tasche auf die Couch, bevor sie sich eilig ins Badezimmer zurückzog, um laut aufseufzen zu können. „Ooooooh Gott!“, sank sie auf den Rand der Badewanne und legte den Kopf in den Nacken. Das war wohl der verrückteste Abend ihres Lebens gewesen und das Schlimmste war, dass sie seine Lippen immer noch auf den ihren spürte. Sie hievte sich hoch und rieb sich das Gesicht mit Seife ab, bevor sie das Kleid unachtsam über den Kopf zog und unter die Dusche stieg, wo sie sich einfach heißes Wasser über den Körper laufen ließ, bis sie vor Übermüdung beinahe umgekippt wäre. Dann griff sie nach einen Badetuch und rieb sich ab, bis ihre Haut gerötet war, bevor sie sich die Zähne putzte und ins Badetuch gewickelt zum Bett huschte, wo sie ein Paar Unterhosen aus dem Schrank suchte und dann ihr Nachthemd überzog. Wenn sie den Anfall von Müdigkeit ausnutzte, würde sie vielleicht gleich einschlafen und morgen war das alles nicht passiert. Albin hatte das Gesicht zur Wand gedreht und schien nicht mitzubekommen, dass seine Freundin hinter ihm unter die Decke schlüpfte.
Der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Obwohl sie bestimmt eine Schicht Haut von sich geschrubbt hatte, spürte sie immer noch seine Hand auf ihrem Arm, in ihrem Nacken, seine Lippen auf den ihren. Auf der Decke, auf die sie starrte, projizierten sich Bilder und Gedanken und erhöhten ihren Puls bis zu einem Punkt, an dem sie das Gefühl hatte zu ersticken. Ihre Ohren begannen zu rauschen und sie musste die Decke loswerden. Was war bloß los mit ihr? Warum machte sie sich so viele Gedanken darüber, was passiert war? Oscar hatte ganz Recht: Es war nur ein Kuss - es hatte nichts zu bedeuten, wenn er von Haydn Cavendish kam. Aber das war es nicht allein. Es war nicht nur, dass sie verstört und verärgert war. Dazu waren ihre Gedanken viel zu unanständig. Der Teenager in ihr jubilierte geradezu: Sie hatte einen Rockstar geküsst!
Sie drehte sich zu Albin und folgte dem Umriss seines schlafenden Körpers im Zwielicht der Straßenlaternen, die selbst hier oben noch durchs Fenster schienen. Zu gerne hätte sie sich jetzt in seine Arme gekuschelt, um sich wieder sicher zu fühlen, aber da gab es ein gravierendes Problem: Sie hatte genau das getan, wovor er sie gewarnt hatte – sie war auf Haydn Cavendishs Charme hereingefallen. Albin und sie hatten kaum mehr ein Wort darüber verloren, seit sie das Interview angenommen hatte, aber wenn sie ihm jetzt sagte, dass sie sich hatte küssen lassen, konnte sie gleich aufstehen und anfangen ihre Sachen zusammenzupacken.
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