Und dies erkannte ich auch bei mir. Und dass es mir deswegen niemand übel nehmen wird, wenn ich mir, mit großem Gefühl der Dankbarkeit, einfach jenes Stückchen vom Kuchen nehme, das im Grunde jedem zuteil wird oder werden sollte. Alles Leben, alles Überleben hat unweigerlich mit (mehr oder weniger abstraker) Aggression zu tun, sprich wir leben immer und überall auf Kosten irgendeines anderen Wesens.
Meine Strategie in einer Nussschale: Ich nehme mir, was ich brauche, identifiziere mich immer weniger mit meinen Lebensumständen und stelle mir mehr und mehr konstruktive Fragen über meine Umwelt, statt über sie zu urteilen. Es geht immer darum, echte Dialoge zu fördern. Ich führe deshalb – fernab der Beratung meiner Klienten – auch quasi täglich Selbstgespräche, sowie Interviews mit mir selbst zu bestimmten Themen oder Ansichten, um mir selbst darüber im Klaren zu werden, woher meine Ideen kommen.
Während Eckhart Tolle sich nach seiner Erleuchtung für einige Monate in einem sonderbaren Zustand befand, habe ich eher nach und nach lernen müssen, mich auch mit dem Rest der Welt konstruktiver auseinanderzusetzen. Mein Studium der Sozialwissenschaften hat dazu nur einen kleinen Teil beigetragen, aber wiederum auch dazu, sich einer Sache mit mehr Struktur und mit mehr Forschermentalität anzunehmen.
Statt zu sagen: »Oh Scheiße!«, heißt es stattdessen immer öfter: »Oh – interessant!«
Seit über sieben Jahren nähere ich mich immer mehr dieser Haltung zur Welt. Und mehr denn je sehe ich eine Gelegenheit darin, die Geschichte meines Werdens mit dem ästhetischen Potenzial meines vermeintlichen Talents, beziehungsweise meiner Affinität zur Schönheit und Vielfältigkeit von Sprache zu kombinieren. Für den verstorbenen Schriftsteller Wolfgang Herrndorf beispielsweise hätten Form und Klang eines Textes schon immer über dem eigentlichen Inhalt gestanden. Ich bin also Trittsteinmetz, und allein das Schreiben ist mir viel wichtiger als der Text, der dabei herauskommt. Ich bin mir sicher, dass Sie spüren werden, was ich meine.
Natürlich möchte ich meine Zukunft und meine Welt aber mitgestalten. Deswegen ist es mir ein Anliegen, mit meiner eigenen kraftvollen Schrei(b)stimme die Umwelt dazu zu bewegen, sich ihrer Gedanken anzunehmen und diese akzeptieren zu lernen. Wir, werte Leser, werden uns in den nächsten Tagen – einhergehend mit der Lektüre von Eckhart Tolles Hauptwerk – in Richtung jener Stille bewegen, die eigentlich immer präsent ist, aber die wir nicht hören können oder nicht hören wollen . Wir verbinden nämlich Stille mit einer gewissen Form von Tod, und verrichten dabei eigentlich Sklavenarbeit unter der vermeintlichen Schirmherrschaft unseres lärmenden Verstandes, der möchte, was wir wollen sollen . Nämlich Drama.
Ich möchte auf den folgenden Seiten aber nicht nur wiederholen, was Sie alles bei Eckhart Tolle lesen können, sondern dieses Tagebuch auch mit eigenen Gedanken füllen, neue eigene Rote Fäden spinnen und durch angesprochene persönliche Probleme verdeutlichen, wie hilfreich es ist, Situationen und Gedanken (1) zu erkennen, (2) anzuerkennen, (3) zu erforschen und (4) sich nicht mit diesen zu identifizieren(Edit: Diese Aufzählung wird Ihnen noch oft begegnen, o Mann!). Ich bin dabei genauso ein Katalysator oder Multiplikator so wie Eckhart Tolle selbst nur ein Vertreter dieser Form der Weltaneignung ist. Wobei jeder noch so ausgefeilte Satz, jedes noch so eindrückliche Gleichnis hinter dem unmittelbaren Eindruck zurückstehen wird.
Ausweg oder Falle? Lesen Sie einfach mit dem Herzen.
Im besten Fall sollen derlei Schriften nicht für bare Münze, sondern als Gesprächsstoff genommen werden – die Inhalte gleichermaßen wie deren Autoren oder wiederum: deren Haltungen. Warum ich alles daran setze, eher ein beratender Schriftsteller zu sein als ein schreibender Berater. Warum ich dafür durchaus bereit wäre, finanzielle Risiken einzugehen und vielleicht am Ende des Jahres pleite und gescheitert dazustehen.
Was also in diesem Moment ansteht: Meine Ängste und Gedanken zu beleuchten und mir zu verdeutlichen, was an ihnen falsch ist. Also nicht falsch im Sinne von schlecht , sondern in jenem Sinne, dass diese Ängste und Gedanken nicht ich sind. Eigentlich. Dass sie nicht zu mir gehören, sondern nur Teil meiner Lebenssituation sind. Ich greife an dieser Stelle etwas vor und verwirre Sie sicherlich. Aber es wird sich hoffentlich, in erster Linie für mich selbst, herausstellen, warum ich mir trotz meiner großen Selbstsicherheit immer noch viel zu viele Gedanken um den Rest der Welt und dessen Reaktionen auf mein Tun mache.
Das liegt vielleicht in der Natur eines Schriftstellers. Aber deswegen ja diese Pioniersarbeit – der Versuch, eine Art Neo-Schriftsteller oder schreibender Vermittler zu werden, schreibend zwischen den Stühlen zu stehen.
Soziale Schreibarbeit.
*
Mich einen Schriftsteller zu schimpfen, scheint aus meiner Sicht immer noch oder bisher etwas vermessen – gewesen . Die Gretchenfrage für mich: Muss ich zunächst vorgeben, einer zu sein, um einer zu werden? Oder muss ich zunächst beweisen, dass ich einer sein könnte?
Diese Überlegung, also Überlegen per se ist bereits Teil meines Problems. Es kommt ohnehin darauf an, was ich tue . Heute Vormittag schrieb ich über zweitausend Wörter. Und wenn ich dieses Mindestpensum aufrecht erhalte, werde ich jeden einzelnen Tag den selbst auferlegten Titel des Schriftstellers verteidigen, nicht wahr? Ich werde einfach das tun, was mir am natürlichsten erscheint. Und auch morgen werde ich so tun, als wäre ich Schriftsteller.
Fake it till you make it.
Gegenüber der Gesellschaft habe ich gewissermaßen eine Verpflichtung, nämlich jene, mich genau so gut mit meinen Fähigkeiten einzubringen wie jeder andere, der in einem vermeintlich trivialen Job arbeitet. Was wären wir ach so feinfühligen oder ach so extravaganten Künstler ohne die Sicherheit spendende Bürokratie und Infrastruktur? Oder was wäre das meditative Flanieren durch die Innenstadt ohne die Möglichkeit, eine öffentliche saubere Toilette aufzusuchen oder vorher den Nachwuchs im Kindergarten abzugeben? Mehr Beispiele muss ich an dieser Stelle nicht liefern. Als ehemaliger Bäckereiverkäufer habe ich obendrein verstehen gelernt, was es heißt, dieses gesellschaftliche Spiel mitzuspielen und mitzutragen.
Denk daran: Wir leben immer auf Kosten anderer.
Auf der anderen Seite sind es mitunter oft, respektive fast nur Künstlerpersönlichkeiten, die sich selbst erarbeitet oder bearbeitet haben und diese Ergebnisse zudem scharfsinnig oder zumindest interessant artikulieren können – im besten Fall bitte, ohne den Humor zu verlieren! Vor allem jeweils x-mal angesehene Interviewvideos sind es, die mich in so manch einsamen Stunden begleitet haben, weil ich unter vielen anderen Menschen selten jemanden antreffe, der wirklich unkonventionell denkt oder für eine Idee einen Großteil seiner oder ihrer (inneren) Sicherheit aufs Spiel setzt und dabei – okay, vielleicht nur für die mediale Außenwelt, trauriger Clown und so! – noch einen charismatischen Witz reißen kann.
Deswegen ist es auch meine Verpflichtung (Edit: Du Vollidiot!), nicht nur als Vorbild, sondern auch ein Stück weit als öffentliches Vorbild dazustehen – ohne mich dabei auf irgendeine Konkurrenz zu berufen. Ich tue das für die Menschen, und nicht für die Zunft. Ich bin zufällig auch nur Schriftsteller. Ich habe kaum Interesse an literarischem Handwerk oder an Gesprächen über selbiges. In erster Linie ist es eben eine Art, durch die ich mir zusätzliches täglich Brot verdienen möchte. Es ist soziale Schreib arbeit, weswegen ich auch davon sprechen sollte, morgens nicht einfach nur zu schreiben, sondern zu arbeiten : Dass Schreiben auch in der Außendarstellung als eine Arbeit anerkannt wird, die weitaus unromantischer und unbequemer ist, als man denken mag.
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