Hans Fallada - Wir hatten mal ein Kind

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Seit Generationen wissen die Leute auf der Insel Rügen, dass mit den Gäntschows nicht gut Kirschen essen ist. Auch Johannes, der letzte Spross dieser Sippe, macht keine Ausnahme. Nur Christiane, seine große Liebe seit Kindheitstagen, hält zu ihm. Nur Christiane, seine große Liebe seit Kindheitstagen, hält zu ihm.

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Nun war Malte Gäntschow ein sehr nüchterner Mann, und er glaubte weder an den Klaus Störtebeker, noch an Barren und Edelgestein. Aber er stellte eine kleine Rechnung auf, was sein Schwiegervater wohl in den dreißig Jahren, die er als Steuermann und Kapitän gefahren war, verdient und zurückgelegt haben konnte. Und da Kapitän Düllmann vieles nachzusagen war, aber keine Unmäßigkeit, keine Verschwendungssucht, keine Weibergeschichten – so kam Malte Gäntschow bei dieser Rechnung auf einen hübschen Batzen. Da aber der Schwiegersohn weiter wußte, daß Kapitän Düllmann ein Feind aller neumodischen Einrichtungen war, ob sie nun Sparkassen, Pfandbriefe oder sonstwie hießen, – wo sollte da also das viele schöne Geld sein als in der Kiste?

Und indes die drei Töchter noch eifrig debattierten, welche von ihnen Vadding zu sich nehmen sollte, und die Schwiegersöhne sich im Preise ihrer guten Hauskost und warmen, sonnigen Stuben überboten, spannte Malte Gäntschow einfach seinen Fuchs vor die Kutschkalesche, und als Kapitän Düllmann halbwegs zwischen Dreege und Kirchdorf aus der Tüte kam, da saß er neben seinem Schwiegersohn Gäntschow auf dem Wagenstuhl, die Schienbeine rieben sich an den Eisenbändern der Schiffskiste, und hintenauf waren all die schönen Mettwürste, Buttertöpfe, Schwartenmägen und Rollschinken geladen, die die liebenden Kinder Vadding zum Beweise ihrer guten Kost verehrt hatten.

So war Kapitän Düllmann auf den Gäntschow'schen Hof gekommen, und da er von sich aus so leicht nichts an einem einmal bestehenden Zustande änderte, so blieb er auch erst einmal da.

Es begab sich aber nun im vierten Jahre seines Aufenthaltes auf dem Warderhofe, daß Kapitän Düllmann eine Lungenentzündung bekam. Wo er sie aufgesammelt hatte, der abgehärtete, durchgepustete alte Seebär, das wußte keiner, er auch nicht. Boshafte behaupteten, grade als Düllmann vor einem Gewitterguß ins Haus habe treten wollen, sei eine schwarze Wolke über seine Seele gezogen, und so sei er da stehen geblieben, die Klinke schon in der Hand, im schönsten Pladdern, unter der Traufe des Dachs und unter der Traufe des Gewitters, zehn Minuten, fünfzehn Minuten, zwanzig Minuten, zweiundzwanzig Minuten. Da war die Wolke vorbei, und Kapitän Düllmann drückte auf die Klinke und ging ins Haus, klatschnaß und zitternd vom Kopf bis zu den Zehen.

Natürlich war er auch grade zur ungeschicktesten Zeit krank geworden, zur Zeit, da jede Hand draußen zum Kartoffelstecken gebraucht wird, und da wirklich niemand zur Pflege abkommen konnte, so ließ man aus dem Dorf die alte Brommen holen. Die war zwar von der Gicht so zusammengezogen, daß sie so recht kein Glied mehr rühren konnte, außer der Zunge, die ging noch ganz fleißig. Viel zu tun hatte sie ja aber auch nicht, denn der Kranke lag meistens bewußtlos in hohem Fieber. Es saß eben jemand neben dem Bett, wie es sich schickte.

Gegen Erwarten wurde es mit Großvater Hanning wieder, die Brommen ging ins Dorf zurück, und Kapitän Düllmann saß, noch ein bißchen unsicher mit dem Kopfe wackelnd, auf der Bank vor dem Haus in der schönen Sommersonne. Die schwarzen Wolken aber kamen genau so wie vor der Krankheit, kamen und gingen wieder.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis seine Tochter, die Hedwig, merkte, die Seemannskiste stand nicht mehr in Vaddings Kammer. Da ging nun aber ein Geplärre und Geschrei los, von dem die ganze Halbinsel Fiddichow widerhallte, und Frau Gäntschow saß den lieben langen Tag beim Landgendarmen und verlangte alle Stunde von ihm, er solle ihr den Dieb mit der Kiste herbeischaffen, sonst ...!

In dem ganzen Tumult blieb der einzig Ruhige der Kapitän Düllmann. Als der gehört hatte, seine Kiste sei weg, und begriffen hatte und darüber nachgedacht hatte, da sagte er nur: Die Kiste? Laß sie sausen! Ick heff joa den Slötel! (Schlüssel.)

Und dabei blieb er.

Bei den Gäntschows aber erschien eines Morgens der Gendarm, Fuß langsam vor Fuß setzend, denn die alte Brommen, gichtiger denn je, war in seiner Begleitung, und er eröffnete dem Ehepaar Gäntschow, der Brommen sei ein Gerücht zu Ohren gekommen, die Seemannskiste des Kaptein Düllmann solle gestohlen sein. Es sei aber nicht an dem, sondern die Seemannskiste sei wohl aufgehoben in des Besitzers Händen.

Oh, wie sperrten die beiden Gäntschows Mund, Nase und Ohren auf, es war, als glotzten sie fassungslos aus allen Körperöffnungen.

Ehe sie aber noch vom Beschaulichen zum Handelnden übergingen, tat die Junge der alten Brommen einen Schlag und dann fing sie an zu laufen. Und sie berichtete von dem guten alten Papa und seiner schweren Krankheit und der grausigen Pflege, wo er doch immer gehustet hätte, daß man gemeint hätte, nun fliege ihm die Seele aus dem Leibe, und acht Nächte sei nicht zu schlafen gewesen vor solchem Husten ...

Aber in der neunten Nacht, da hat der liebe alte Kaptein die Augen aufgemacht und hat recht lieblich rot ausgesehen und hat mich gut angeschaut und hat mich freundlich gefragt: Olsch, Brommen, bist du das? Und als ich geantwortet habe: Kaptein, jawohl, an Bord, und die Witfrau vom Maurer Brommen dazu – da hat er gelächelt und hat gesagt: Keiner hat sich meiner erbarmt, aber du hast dich meiner erbarmt, als ich in den Banden des Todes lag, und also will ich mich auch deiner erbarmen. Rück die Kiste her! – Und Gott hat sich meiner erbarmt und hat mir die Kraft verliehen und ich elender Wurm habe die Kiste vor sein Bett gerückt und er hat gesagt: Schließ die Kiste auf, Olsch, Brommen. Und er hat mir den Schlüssel gegeben und ich habe die Kiste aufgeschlossen und er hat mir alles gezeigt, was er von seinen vielen wilden und weiten Meeresfahrten heimgebracht hat, und dann hat er gesagt: Olsch, Brommen, schließ die Kiste wieder zu.

Und ich habe die Kiste wieder zugeschlossen und er hat sich den Schlüssel wiedergeben lassen und hat zu mir gesagt: Olsch, Brommen, der Mensch ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Und du nippelst gerne einen. Darum wenn ich dir jetzt schon alles schenken würde, würdest du vielleicht nachlassen in deiner huldvollen Pflege, doch die Kiste schenke ich dir. Und wenn ich zu Johanni unter den Lindenbäumen bei meines Schwiegersohns Tür sitze, dann sollst du zu mir kommen, und ich will dir auch den Schlüssel zu der Kiste geben.

Und er ist zurückgefallen in seine Kissen und eingeschlafen und kein Fieber mehr, nur ein gesunder Schweiß. Und Gott ist gnädig gewesen und ich habe die Kiste weggeschafft an einen sicheren Ort, und weil gestern Johanni gewesen ist, und ich habe das Gerede im Dorf gehört vom Gestohlenen, aber es ist nicht so, und das nehme ich auf meinen Eid, rechts wie links, da bin ich mit dem Gendarmen her, und ich habe das feste Zuvertrauen, der Kapitän wird sich meiner erbarmen und mir den Schlüssel geben, wie er mir versprochen hat in der neunten Nacht, wo der gelinde Schweiß kam ... War es aber vorher Geplärr und Geschrei gewesen, so ging es nun los mit Drohungen und Gebrüll. Die alte Brommen rabbelte unverzagt immer dagegen an. Gar nichts half es, daß man den olen Kaptein Düllmann dazu holte, der griente nur und sagte wieder seinen Spruch, daß er ja den Schlüssel habe, und wenn ihn der Gendarm auch hart befragte, wie es denn stehe um die Behauptungen der Frau Bromme, ob ja oder nein: er lächelte fernhin und himmelblau – wie ein toter Dorsch, sagte sein Schwiegersohn – und meinte, es werde sich schon alles weisen, alles zu seiner Zeit, den Schlüssel habe er.

Es gingen aber keine zehn Wochen ins Land, da fuhren beide Parteien nach Bergen aufs Amtsgericht, Kapitän Düllmann mit Tochter Hete und Schwiegersohn Gäntschow, ganz allein aber die Brommen, gichtig, krumm und uralt, aber mit ihrer Zunge. Die Kiste indessen, vom Gendarmen bei der Witfrau in einem verlassenen Schweinekoben unter Stroh aufgestöbert und sichergestellt, war bereits an Gerichtsstelle vorausgereist.

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