Denn dadurch kamen die Rohstoffe billiger zu stehen, und die Folge hiervon war erstens, daß der Arbeitslohn erhöht werden konnte, was ein Segen für den Ort war; zweitens eine Verbesserung des Fabrikats, was ein Vortheil für den Consumenten war; drittens eine Verbilligung der Waare, bei dreimal so großem Profit für den Fabrikanten.
Also drei Vortheile, die sich aus einer Erfindung ergaben.
In noch nicht drei Jahren war der Urheber der Idee reich geworden, und das war gut; andrerseits hatte er den Ort reich gemacht, und das war besser. Er war fremd in dem Departement. Woher er kam, wußte man nicht; wie er emporgekommen, auch nicht genauer.
Man erzählte sich, er habe sehr wenig Geld gehabt, als er in der Stadt ankam, höchstens einige Hundert Franken.
Auf diesem geringen Kapital, das er im Dienste einer gescheidten Idee verwertete und durch Ordnung und Nachdenken befruchtete, hatte er sein Glück und das der ganzen Umgegend aufgebaut.
Bei seiner Ankunft in Montreuil-sur-Mer schien er; seiner Kleidung, seiner Haltung und seiner Sprache nach zu urtheilen, ein Arbeiter zu sein.
Es hieß, an dem Tage, wo er – es war gegen Abend und im Monat Dezember – einen Tornister auf dem Rücken und einen Knotenstock in der Hand, unbeachtet in die Stadt hereinkam, habe gerade das Gemeindehaus in Flammen gestanden. Der Fremde stürzte sich mit Lebensgefahr in das brennende Haus und rettete zwei Kinder, die des Gendarmeriehauptmanns, weshalb man es unterlassen hatte, ihn nach seinem Paß zu fragen. In der Folge erfuhr man seinen Namen. Er hieß Vater Madeleine.
Vater Madeleine war ein Fünfziger, der sehr nachdenklich aussah und ein guter Mensch war. Das war Alles, was man über ihn sagen konnte.
Dank der, durch ihn bewirkten, Ummodelung der Glasindustrie war Montreuil-sur-Mer ein bedeutender Handelsplatz geworden. Von Spanien, das viel schwarzen Jet konsumirt, liefen daselbst jedes Jahr ansehnliche Bestellungen ein und Montreuil-sur-Mer machte sogar London und Berlin eine ziemlich fühlbare Konkurrenz. Der Nutzen, den Vater Madeleine aus seinem Geschäft zog, war so bedeutend, daß er schon im zweiten Jahr eine große Fabrik mit zwei sehr geräumigen Werkstätten erbauen konnte. Dorthin konnte ein Jeder kommen, der Noth litt, mit der sichern Aussicht Arbeit und Brot zu finden. Denn Vater Madeleine verlangte von den Männern nur guten Willen, von den Frauen Sittenreinheit, von Allen Ehrlichkeit. Werkstätten hatte er zwei eingerichtet, um die beiden Geschlechter von einander zu trennen und damit die jungen Mädchen und Frauen nicht der Verführung ausgesetzt seien. In diesem einzigen Punkte war er unbeugsam bis zur Unduldsamkeit. Allerdings war diese Strenge eine durchaus berechtigte, denn da Montreuil-sur-Mer eine Garnisonsstadt war, lief die Tugend seiner Arbeiterinnen große Gefahren. Ueberhaupt spielte er für die ganze Umgegend die Rolle einer gütigen Vorsehung. Vor seinem Auftreten lag Alles darnieder; jetzt verspürte man überall den materiellen und moralischen Segen der Arbeit und den kräftigen Pulsschlag eines neuen Lebens, das Alles durchdrang und Alles erwärmte. Arbeitslosigkeit und Elend waren unbekannte Dinge. Auch der Aermste hatte jetzt Geld in der Tasche, auch in die bescheidenste Hütte drang jetzt ein Strahl der Freude.
Inmitten all' dieser Thätigkeit, deren Ursache und Angelpunkt er war, erwarb, wie schon erwähnt, Vater Madeleine ein bedeutendes Vermögen, aber merkwürdigerweise schien dies nicht seine Hauptsorge zu sein. Offenbar dachte er mehr an Andere, als an sich selber. 1820 wußte man, daß er bei dem Bankier Lafitte sechshundert dreißig Tausend Franken zu liegen hatte, aber ehe er dieses Geld für sich behielt, hatte er über eine Million für die Stadt und für die Armen hingegeben.
Das Krankenhaus war schlecht ausgestattet: Er hatte zehn neue Betten gestiftet. Montreuil-sur-Mer zerfällt in eine obere und eine untere Stadt. In letzterer, wo er wohnte, gab es nur eine Schule, die sich in einem elenden, baufälligen Zustande befand. Er ließ zwei neue bauen, eine für die Knaben, die andere für die Mädchen. Außerdem warf er den beiden Schullehrern eine Summe aus, die doppelt so groß war, als ihr Gehalt, und bemerkte, als sich Jemand über diese Freigebigkeit wunderte: »Die Amme und der Schulmeister sind die ersten Beamten des Staates.« Desgleichen gründete er auf seine Kosten eine Kleinkinderbewahranstalt, was damals in Frankreich noch etwas fast Unbekanntes war, und eine Unterstützungskasse für alte und invalide Arbeiter. Als um seine Fabrik herum ein neues Stadtviertel entstanden war, wo viele bedürftige Familien sich ansiedelten, gründete er eine Apotheke, in der Arzneien unentgeltlich verabfolgt wurden.
Anfangs hatte es von ihm geheißen: »Der Kerl ist ein Pfiffikus, der reich werden will.« Als dann der Ort eher reich wurde, als Vater Madeleine, machten dieselben Klugschmuse die Entdeckung, der Mann sei ein Streber. Diese Ansicht hatte allerdings eine große Wahrscheinlichkeit für sich, denn Madeleine war religiös und besuchte sogar mit einer gewissen Regelmäßigkeit die Kirche, was damals wohl gelitten war, insbesondere wohnte er jeden Sonntag einer stillen Messe bei. Dem Deputirten, der Montreuil-sur-Mer in der Kammer vertrat und überall Nebenbuhler witterte, kam diese Religiosität verdächtig vor. Er war unter dem Kaiserreich Mitglied des gesetzgebenden Körpers gewesen und theilte in Bezug auf Religion die Ansichten eines Priesters vom Oratorium, Namens Fouché, Herzog von Otranto, dessen Kreatur und Freund er gewesen war: Er riß bei verschlossenen Thüren fidele Witze über den lieben Gott, Aber als er den reichen Fabrikanten Madeleine die stille Messe um sieben Uhr besuchen sah, beschloß er ihn zu überbieten, nahm sich einen Jesuiten zum Beichtvater und wohnte regelmäßig dem Hochamt und dem Nachmittagsgottesdienst bei. Denn zu jener Zeit stürmten die Streber ihrem Ziele mit dem Wetteifer zu, der Reiter bei einer Steeplechase beseelt. Glücklicher Weise profitirten die Armen so gut, wie der liebe Gott von dieser Konkurrenz, denn der ehrenwerthe Abgeordnete stiftete auch zwei Betten in dem Hospital, was im Ganzen zwölf ausmachte.
Unterdessen verbreitete sich 1819 eines Morgens in der Stadt das Gerücht, Vater Madeleine sei, in Anbetracht seiner Verdienste um das Wohl der Stadt, von den Herrn Präfekten dem Könige zum Bürgermeister von Montreuil-sur-Mer vorgeschlagen worden. Dies war Wasser auf die Mühle Derer, die den neuen Ankömmling für einen Streber erklärt hatten, und sie ließen die schöne Gelegenheit nicht vorüber gehen, ohne sich ihre Weisheit bestätigen zu lassen. »Aha! Haben wir's Euch nicht gesagt?« Ganz Montreuil-sur-Mer gerieth in Aufregung. Das Gerücht war begründet. Einige Tage darauf meldete der Moniteur Madeleine's Ernennung zum Bürgermeister. Allein dieser – schlug die angebotne Ehre aus.
In demselben Jahre beschickte Madeleine die Gewerbeausstellung mit den neuen, von ihm erfundenen Erzeugnissen, und infolge des Berichtes der Jury ernannte der König den Erfinder zum Ritter der Ehrenlegion. Abermals Sensation und Spannung in der Stadt: »Ja so! Er hatte es auf das Kreuz abgesehn!« Aber Vater Madeleine schlug auch das Kreuz aus.
Räthselhafter Mensch! Indeß die Klugschmuse wußten sich zu helfen und meinten: »Na, er ist ein Abenteurer!«
Wir haben also gesehen, daß die Stadt ihm viel, die Armen Alles verdankten; er stiftete so viel Nutzen, daß man ihm schließlich Ehrungen erwies, und war so gütig, daß man ihn lieb gewinnen mußte; besonders seine Arbeiter vergötterten ihn, und er nahm ihre Verehrung mit einer Art schwermüthigen Ernstes entgegen. Als er reich geworden, grüßten ihn die feinen Leute und nannten ihn »Herrn« Madeleine; die Arbeiter und die Kinder freilich fuhren fort, ihn Vater Madeleine zu nennen und dieser Titel erregte sein besondres Wohlgefallen. Als er aus der Niedrigkeit höher und höher emporstieg, regnete es Einladungen bei ihm. Die »feinen Leute« suchten ihn in ihren Umgangskreis zu ziehen. Die Salons, in die er als armer Handwerker nie Zugang gehabt hätte, thaten ihre Thüren weit auf, ihn aufzunehmen, nun er Millionär geworden war. Aber auch diese Einladungen lehnte er ab.
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