»Das nenne ich reden«, antwortete der Bischof und klatschte in die Hände. »Das ist ja ganz etwas Ausgezeichnetes, solch ein Materialismus. Solche Ansichten kann nicht Jeder haben. Ja, wer diese Weisheit besitzt, der läßt sich nicht mehr täuschen, der ist nicht so dumm, sich in die Verbannung schicken zu lassen wie Cato; der wird nicht gesteinigt wie der heilige Stephanus, nicht lebendig verbrannt wie Johanna d'Arc. Die das Glück gehabt haben, sich zu einem so herrlichen Materialismus emporzuschwingen, haben die Freude, jeder lästigen Verantwortlichkeit los und ledig zu sein. Sie dürfen ohne Gewissensbisse zugreifen; Alles in die Tasche stecken; Aemter, Sinekuren, Titel, Macht, ob mit guten oder bösen Mitteln erworbene. Sie dürfen ihr Wort brechen und Verrath üben, wenn es ihnen Nutzen bringt, und nachher, wenn sie sich am Tisch des Lebens recht voll gegessen, ruhig in das Grab steigen. Wie angenehm das sein muß! Ich beziehe dies nicht speziell auf Sie, Herr Senator, kann aber nicht umhin, Ihnen zu gratuliren, Ihr großen Herren habt, wie ihr sagt, Eure eigne und eigens für Euch ausgedachte Philosophie, eine besonders ausgesuchte, feine, nur den Reichen zugängliche, die alle Lüste des Lebens vorzüglich würzt. Diese Philosophie ist von besonderen Forschern aus den Tiefen des wahren Seins hervorgeholt worden. Aber Ihr seid gemüthlich und habt nichts dagegen, daß der Glaube an den lieben Gott die Philosophie des Volkes sei, ungefähr so wie bei den Armen Gänsebraten mit Kastanien den Truthahn mit Trüffeln vertritt, der nur auf den Tisch der Reichen kommt.«
IX. Was die Schwester über den Bruder erzählt
Um eine Vorstellung von der Häuslichkeit des Bischofs zu geben und zu zeigen, wie vollständig die beiden frommen Frauen ihre Handlungen und Gedanken, ja sogar ihre natürliche Furchtsamkeit, den Gewohnheiten und Wünschen des Bischofs unterordneten, ohne daß er sich auch nur die Mühe zu nehmen brauchte, ihnen Ausdruck zu verleihen, können wir nichts Besseres thun, als hier einen Brief Fräulein Baptistines an ihre Jugendfreundin die Frau Vicomtesse von Boischevron, wiederzugeben. Diesen Brief besitzen wir im Original.
Digne, den 16. Dec. 18 ..
Theuerste Freundin!
Es vergeht kein Tag, ohne daß wir von Ihnen sprächen. Es ist das unsere Gewohnheit, aber wir haben noch einen anderen Grund. Denken Sie Sich: Frau Magloire hat beim Waschen und Abstäuben der Wände Entdeckungen gemacht; unsre beiden Schlafzimmer mit ihren alten, weiß getünchten Tapeten würden jetzt ein Schloß wie das Ihrige nicht verunzieren. Frau Magloire hat die ganzen Tapeten heruntergerissen. Es war etwas dahinter. Mein Salon, in dem keine Möbel stehen, und der uns den Trockenboden für die Wäsche ersetzt, ist fünfzehn Fuß hoch, achtzehn im Geviert und hat eine bemalte und vergoldete Decke mit Balken, wie bei Ihnen. Als das Haus noch als Hospital diente, war ein Ueberzug aus Leinwand darüber. Dazu Holzwerk aus der Zeit unsrer Großmütter. Und mein Zimmer sollten Sie erst sehen! Frau Magloire hat unter wenigstens zehn darüber geklebten Tapeten Gemälde entdeckt, die ganz leidlich sind: Telemach, wie er von Minerva zum Ritter erhoben wird; derselbe in den Gärten, – ich kann mich nicht mehr besinnen, welchen; der Ort, wohin die Römerinnen sich einmal des Jahres begaben. Kurz, ich habe Römer, Römerinnen, (hier stand ein unleserliches Wort), und so weiter. Frau Magloire hat alles sauber abgewaschen und diesen Sommer wird sie einige unbedeutende Beschädigungen repariren, das Ganze überfirnissen, so daß mein Zimmer einem Museum gleichen wird. Außerdem hat sie auf dem Boden in einem Winkel zwei Consolen alten Stils gefunden. Sie sollten sechs Franken wieder zu vergolden kosten; aber es ist doch besser, wir geben das Geld den Armen. Auch sind sie nicht hübsch, und ich würde einen Mahagonitisch vorziehn.
Ich fühle mich recht glücklich, wie immer. Mein Bruder ist so gut! Er giebt alles, was er hat, den Bedürftigen und Kranken. Bei uns geht es auch infolge dessen sehr knapp zu. Das Klima ist hier im Winter sehr rauh, und man muß für Diejenigen, denen es am Notwendigen fehlt, doch etwas thun. Mit Licht und Heizung ist es in unserm Hause ziemlich gut bestellt, was doch gewiß große Annehmlichkeiten sind.
Mein Bruder hat so seine eignen Gewohnheiten. Er behauptet im vertraulichen Gespräch, ein Bischof müsse so sein. Denken Sie Sich: die Hausthür ist nie verschlossen. Jeder, der will, kann herein, und ist dann gleich in der Wohnung meines Bruders. Er fürchtet sich nicht, selbst des Nachts nicht. Das ist die Art Tapferkeit, die er haben muß, behauptet er.
Er will nicht, daß ich und Frau Magloire uns um ihn ängstigen. Er setzt sich allen Gefahren aus und duldet nicht einmal, daß wir thun, als bemerkten wir das. Man muß ihn eben verstehen.
Er geht bei Regenwetter aus, watet durch Wasser, reist zur Winterzeit. Er fürchtet sich nicht des Nachts, nicht vor gefährlichen Wegen und schlechten Menschen.
Verflossenes Jahr reiste er allein nach einer Gegend, wo sich Räuber herumtrieben. Uns nahm er nicht mit und blieb vierzehn Tage weg. Es widerfuhr ihm nichts, man hielt ihn für tot, aber er war gesund und munter. Er sagte: »Seht mal, wie die Räuber mich ausgeplündert haben«, und zeigte uns eine Kiste mit lauter Wertsachen, die in dem Dom von Embrun gestohlen waren. Die hatten ihm die Räuber geschenkt.
Bei der Rückfahrt konnte ich mich aber nicht bezwingen und schalt ihn ein Bischen, natürlich nur, während der Wagen rasselte, damit Niemand etwas hören sollte.
Anfangs dachte ich bei mir: Er läßt sich durch keine Gefahren zurückhalten, er ist schrecklich! Jetzt habe ich mich daran gewöhnt. Ich winke immer Frau Magloire, sie soll ihm nicht widersprechen. Er setzt sich Gefahren aus, wie es ihm gerade beliebt. Ich gehe dann mit Frau Magloire hinaus, bete für ihn und lege mich schlafen. Ich bin ruhig, weiß ich doch, daß, wenn ihm ein Unglück zustieße, so wäre es auch mein Tod. Ich würde dann zum lieben Gott mit meinem Bruder und Bischof kommen. Frau Magloire ist es schwerer gewesen, sich an seine sogenannten Unklugheiten zu gewöhnen. Aber jetzt hat sie es auch gelernt. Wir beten alle Beide, fürchten uns zusammen und schlafen ruhig ein. Käme der Teufel in das Haus, er würde unbehelligt bleiben. Wozu sollten wir uns auch fürchten? Es ist ja immer Einer bei uns, der stärker ist als der Teufel.
Das genügt mir. Mein Bruder braucht mir jetzt kein Wort mehr zu sagen. Ich verstehe ihn, ehe er spricht, und wir verlassen uns auf die Vorsehung.
So muß man es machen mit einem Manne, dessen Sinn großartig angelegt ist.
Ich habe meinen Bruder wegen der Auskunft gefragt, die Sie über die Familie de Faux zu erhalten wünschten. Sie wissen ja, er weiß Alles und führt Gedenkbücher, denn er ist gut königlich gesinnt. Es ist in der That eine sehr alte normannische Familie aus dem Steuerbezirk Caen. Vor fünfhundert Jahren gab es einen Raoul de Faux, einen Jean de Faux und einen Thomas de Faux, alles Edelleute, einer darunter ein Seigneur de Rochefort. Der Letzte war Guy Etienne Alexandre und war Regimentsoberst und hatte noch einen andern Rang bei den Chevaux-legers in der Bretagne. Seine Tochter Marie Louise heiratete Adrien Charles de Gramont, Sohn des Herzogs Louis de Gramont, Pair von Frankreich, Obersten der Gardes-Françoises und General-Lieutenant.
Theuerste Vicomtesse, empfehlen Sie mich den Gebeten Ihres Vetters, des frommen Herrn Kardinals. Was Ihre theure Sylvanie betrifft, so hat sie sehr recht gethan, daß sie die kurze Zeit, die sie bei Ihnen zubringt, nicht damit verloren hat, mir zu schreiben. Sie befindet sich wohl, arbeitet Ihren Wünschen gemäß und hat mich lieb. Weiter verlange ich nichts. Sie haben mir Kenntniß davon zukommen lassen, wie es ihr geht, und mich damit ausnehmend erfreut. Mit meiner Gesundheit steht es nicht allzu schlecht, obgleich ich alle Tage magerer werde. Leben Sie wohl. Es fehlt mir an Papier, und ich muß aufhören. Tausend herzliche Grüße.
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