Wie Sie sehen, befinden Sie sich in guter Gesellschaft.
Lilian richtete sich gerader auf und sammelte seine letzten noch verbliebenen Nerven zusammen. »Meine Frau weiß seit Längerem darüber Bescheid.«
Der Richter stutzte und drehte sich dieser vermaledeiten Schreckschraube zu. »Ach? Wie lange ist Ihnen dieser Sachverhalt bewusst?«
»Überhaupt nicht!«, protestierte Sabrina gekünstelt überrascht. »Keinen Moment lang habe ich davon geahnt.« Demütig neigte sie das aufgedonnerte Haupt. »Ich gebe es zu: Wir führen nicht unbedingt eine Bilderbuchehe.« Sie wandte sich Lilian zu – und flugs trat der Dämon in den Vordergrund. »Obwohl du mich nicht eben auf Händen trägst oder jemals getragen hast – solch eine hinterfotzige, verlogene, gefühlskalte Reaktion deinerseits hätte ich dir niemals zugetraut! Die ganzen Jahre habe ich dich geliebt! Ich habe mich aufgeopfert – mein Geld, meine Kontakte, meinen guten Glauben mit dir geteilt. Und auf diese abscheuliche Weise dankst du es mir? Du mieser Verräter!«
In Lilians Magen setzte ein Brennen ein, sein Schädel begann zu pochen und seine Muskeln zu krampfen.
Er ertrug es nicht mehr. Er ertrug diese Frau nicht mehr – keine Sekunde lang.
»Frau Gruber-Steiner!«, drang des Richters autoritärer Bariton durch das Rauschen in Lilians Ohren. »Vorwürfe bringen uns nicht weiter. Wir sind hier, um diese Ehe vernünftig und geschlichtet zu trennen. Stimmen Sie mir in diesem Punkt zu?«
Das Engelsgesicht überlagerte Sabrinas tiefschwarze Seele. »Selbstverständlich! Nichtsdestotrotz müssen Sie mich ebenfalls verstehen: Ich fühle mich gekränkt und hintergangen.«
»Darum wollen wir sachlich und objektiv bleiben«, erwiderte der Herr streng und äugte zu Lilian. »Herr Gruber-Steiner, welche konkreten Gründe liegen Ihrer Meinung nach vor, um die Ehe zu Ihrer Gemahlin aufzulösen?«
»Unüberwindbare Differenzen.«
Des Richters Augenbrauen zogen sich tief nach unten. »Eine etwas genauere Formulierung wäre in diesem Fall äußerst wünschenswert.«
»Die Reaktion meines Mannes zeigt deutlich, was ich Ihnen während unseres letzten Termins zu erklären versucht habe.«
Lilians Innerstes kochte. »Dürfte ich erfahren, worüber meine Frau sich mit Ihnen unterhielt?«
Der Richter mutete sekündlich angenervter an – und Lilian ahnte Fürchterliches.
Sie hatte Herrn Kornhammer mit ihrem Geschwätz und den Lügen längst erfolgreich vereinnahmt und ihm jegliche Objektivität geraubt. Folglich hatte Lilian keine Chance mehr, dieses verschissene Ehebündnis ohne Abstriche aufzulösen.
Seine Schlussfolgerung: Sabrina würde ihn ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Sein Leben war gelaufen.
»All die Jahre hast du mich erniedrigt!«, setzte Letztgenannte ihren Vorwurfsmarathon fort. »Du hast mich belogen und betrogen –«
»Du hast mich betrogen!«, platzte es aus ihm heraus. »Meine Liebe, vielleicht erinnerst du dich noch daran, du betrogst mich mit meinem besten Freund! Du missbrauchtest mein Vertrauen und meine Gutgläubigkeit, wolltest mir ein Kind unterjubeln, welches nicht einmal meines ist!« Er blickte zum Richter. »Alleine deshalb verlange ich die Scheidung! Sie hat ein Kind bekommen von meinem besten Freund! Überdies setzte Sabrina, ohne mich darüber zu informieren, die Anti-Baby-Pille ab!«
Weshalb hatte sie das Kind nicht mitgenommen? Wahrscheinlich kümmerte ihr Nachwuchs sie einen feuchten Dreck. Und hundertprozentig hatte sie den Kindsvater bereits auf Alimente geklagt. Alles für den Mammon, natürlich – und nicht zum Wohle des Kindes.
Herr Kornhammer weitete die Augen. »Wurde etwa ein pränataler Vaterschaftstest durchgeführt?«
»Nein«, knurrte Lilian. »Da ich keine Kinder mehr zeugen kann, ist eine Vaterschaft meinerseits ausgeschlossen. Ein Test ist hinfällig.«
»Können Sie sich das vorstellen!«, keifte Sabrina dazwischen. »Mein eigener Mann unterzieht sich einer Vasektomie und gibt mir nicht einmal darüber Bescheid! Bis vor Kurzem wusste ich nichts davon! Ich lebte mit der naiven Annahme, irgendwann einmal meinem Mann Kinder zu schenken!«
Wohl eher, dachte Lilian. Mich mit Kindern stärker an dich zu binden, beziehungsweise mich finanziell gänzlich in den Ruin zu treiben.
»Der Eingriff liegt eineinhalb Jahre zurück.«
»Und Sie haben nichts davon bemerken wollen?«, fragte der Scheidungsrichter verwundert an Sabrina gerichtet.
»Nein! Gar nichts!«
»Sind Ihnen keine Narben des Eingriffes aufgefallen?«
»Nein! Wie gesagt, mir ist nichts aufgefallen!«
»In Ordnung.« Der Richter lehnte sich seufzend zurück. »Dadurch verändert sich die Sachlage signifikant – und Ihre Bedingung, der Trennung zuzustimmen, wenn Ihr Mann Unterhaltszahlung leistet, kann nicht stattgegeben werden.«
»Wie bitte?!« Sabrina sprang vom Stuhl hoch. Alleine durch dessen ausgeprägtes Gewicht kippte das Möbelstück nicht um. »Mit diesem Eingriff hat mein Mann mich im höchsten und abscheulichsten Maße hintergangen! Normalerweise müsste ich mich von ihm scheiden lassen! Aber ich bin nach wie vor zu gutgläubig und versuche unsere Ehe mit allen Mitteln zu retten!«
Etwas Vehementes blitzte in des Richters Konterfei auf. »Gnädige Frau, ich muss Sie bitten, sich hinzusetzen und Ihre Anschuldigungen zu beenden. Ansonsten bin ich dazu gezwungen, Sie des Raums zu verweisen.«
Sabrina schnappte nach Luft. Ihr Rechtsanwalt tätschelte ihr liebevoll den Arm, woraufhin sie sich zögerlich hinsetzte. Lilian sah und spürte es gleichermaßen, wie viel Energie Sabrina dazu aufbringen musste, um nicht gänzlich die Beherrschung zu verlieren.
Wie einst, als sie ihm das einzige Erbstück seines Vaters, eine wunderschön verzierte lilafarbene Vase, entgegengeschleudert hatte.
Tausende Erinnerungen waren mit dem Gegenstand verknüpft. Die meisten aus Lilians Kindheit. Vor sieben Jahren hatte sein Vater ihm die Vase weitervererbt – es war ein Einstandsgeschenk für seine erste Wohnung gewesen.
Dann, mit einem Wutausbruch, war das Kunstwerk in Abertausend Stücke an der Wohnzimmerwand zerschellt. Ein jede einzelne Scherbe hatte einen Teil von Lilians Seele dargestellt.
Sabrinas aalglatter, abgeschleckter Rechtsanwalt flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Lilian konnte sich längst denken, was es war.
»Herr Gruber-Steiner.« Nun brachte der Beamte eine unerwartete Milde zum Ausdruck. »Durch die Geburt des Kindes Ihrer Ehefrau sowie den Betrug möchten Sie die Scheidung einreichen, habe ich dies korrekt zusammengefasst?«
»Ja.«
»Wie lange leben Sie beide getrennt?«
»Knapp neun Monate. Ich bin von unserer gemeinsamen Eigentumswohnung ausgezogen.«
Der Richter wollte etwas einwerfen, Lilian kam ihm zuvor. »Da ich die Eigentumswohnung komplett auf meine Frau überschrieben habe, kann ich dahingehend nichts einfordernd – und ich muss gestehen, ich habe es satt, um einen jeden Stuhl zu kämpfen. Sabrina erhielt längst alles, was sie wollte: den SUV, das Ersparte, meine Filmsammlung … Soll sie damit glücklich werden. Dafür will ich alleine eines: Meinen zukünftigen Frieden vor ihrem Telefonterror, den Verleumdungen und Ihren Vorwürfen. Ich musste bereits Gesprächstherapien beginnen, da ich diesen Dauerstress nicht mehr ertrage. Ich leide an Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Ausnahmslos meinen Frieden möchte ich zurückerhalten – dieses Kapitel meines Lebens abschließen. Diese Frau hat mich systematisch fertiggemacht. Ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Niemals mehr.«
»Ihre Situation kann ich sehr gut nachempfinden.« Herr Kornhammer erfasste einen Stift und kritzelte etwas auf ein Blatt Papier. »Allerdings werden Sie beide sich noch einmal hier einfinden müssen, um die Scheidungsdokumente zu unterzeichnen.«
»Ich unterzeichne erst, wenn er mir Unterhalt zahlt!«, kam es polternd von der Seite, woraufhin sich Sabrinas Anwalt einschaltete. »Wir finden bestimmt einen Kompromiss. Das Gehalt meiner Mandantin liegt unter dem ihres Mannes, zudem muss sie, neben den Ausgaben durch ihr Kind, enorme Kosten stemmen, welche sich auf tausend Euro pro Monat belaufen.«
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