„Warst du wieder mit diesem Süchtigen unterwegs?“, fragte sie ihn traurig und fuhr sich mit der rechten Hand durch ihre mokkabraunen Haare. Ihre rot lackierten Fingernägel bildeten einen schönen Kontrast zu dem dunkleren Braun. Gemeint war Trae. Seit sie letzte Woche gerochen hatte, dass ihr Sohn gekifft hatte, fragte sie ständig nach, ob er mit Trae unterwegs gewesen sei. Das war jedoch auch die einzige mütterliche Besorgtheit, die sie je gezeigt hatte.
„Nein, und selbst wenn, geht dich das nichts an“, beantwortete er ihre Frage und wies ihren Annäherungsversuch erneut zurück.
„Wieso musst du sie immer mit darein ziehen? Wenn du etwas willst, dann sag es mir und nicht ihr. Die Nummer zieht nicht mehr, also lass es ganz einfach!“
„Wovon sprichst du? Mit wem soll ich geredet haben?“
„Mit dem heiligen Geist natürlich“, sagte er und hockte sich auf den Boden, um Mehl, Backpulver und Zucker aus dem Schrank unter der Herdplatte zu holen. Als er keine Antwort erhielt, drehte er den Kopf zur Seite und sah sie über die Schulter hin an. Sie stand mit fragendem Gesicht dort und sah ihn an, als hätte er sich einen tanzenden Affen auf die Stirn tätowieren lassen.
„Ach vergiss es“, sagte er genervt und wandte sich wieder den Zutaten für die Pfannkuchen zu. Die Türklingel läutete.
„Wir unterhalten uns nachher! Noch hast du Zeit, dich für das eben zu entschuldigen!“, warnte sie ihn und ging zur Tür.
„Das kannst du auch vergessen!“, rief er ihr hinterher und erhob sich mit den gefundenen Utensilien wieder vom Boden.
„Ich warne dich David! Ich war immer sehr nachsichtig mit dir, aber langsam reicht es mir! Nimm das nicht auf die leichte Schulter!“ Sie öffnete die Haustür und fand die vom Geschrei verängstigte Zoe dort vor.
„Hey Zoe“, begrüßte Faye sie mit einem strahlenden, falschen Lächeln, das so breit war, dass man meinen könnte, sie wolle einem Breitmaulnashorn Konkurrenz machen.
„Hallo Ms. Williams“, grüßte sie ängstlich zurück und fummelte nervös an ihrem T-Shirtsaum herum.
„Komm ruhig rein, Kleine.“
„Danke.“
„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Davids Mutter freundlich, was Zoe mit einem eifrigen Kopfschütteln verneinte. Gefrustet von der Ablehnung des kleinen Mädchens hörte sie auf, ihr Fragen zu stellen oder etwas zu erwidern. Schweigend begab sie sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer, welches sich im oberen Stockwerk befand.
„Überleg es dir gut! Verdirb es dir nicht noch mehr mit mir als ohnehin schon!“, zischte sie ihm zornig zu, als sie an der Küche vorbeiging. Zoe stand im Raum und fummelte erneut nervös an dem Saum ihres T-Shirts herum. Die Treppenstufen knarzten laut unter den stampfenden Schritten von Davids wütender Mutter.
„Alles in Ordnung, meine Große. Sie ist weg und schreit niemanden mehr an“, beruhigte er sie und nahm sie in den Arm. Sie umarmte ihn ebenfalls und krallte ihre Finger in seinen Rücken.
„Hört auf, immer zu streiten“, bat sie ihn traurig. Sie wurde jedes Mal furchtbar traurig, wenn sich jemand stritt. Kein Wunder, wenn sie ähnliche Szenarien tagtäglich zuhause zwischen ihren Eltern erleben musste.
„Wieso ist dir das so wichtig?“, fragte David sie und fand die Frage im Nachhinein selbst ziemlich blöd, da er dachte, dass er die Antwort darauf eigentlich schon wusste.
„Weil sie bald ganz sehr tot sein könnte und du dann nicht weißt, wie sehr lieb sie dich eigentlich hat“, antwortete Zoe mit wässrigen Augen. Ihre Antwort war bei weitem nicht das, was David erwartet hatte. Ihre Antwort handelte von Tod und davon, dass sie ihn doch eigentlich lieben würde. Beide Aussagen waren sowohl unerwartet, da er nicht wusste, dass sie über so etwas nachdachte und woher sie wissen wollte, dass sie ihn eigentlich liebte. Zudem verwirrte ihn der häufige Gebrauch des Wortes „sehr“. Es wirkte zwar so, als hätte sie es grade erst gelernt und machte deswegen so regen Gebrauch davon, aber es schien – unabhängig von der brüchigen Grammatik - trotzdem angebracht.
„Da mach dir mal keine Sorgen. So schnell stirbt es sich nicht“, sagte er und begann, ihren Rücken zu streicheln. Auch wenn es ihn interessierte wie sie überhaupt auf diesen Gedanken gekommen war, fragte er sie nicht danach. Es war ihm unangenehm, über mütterliche Liebe, die er in der Form nie erhalten beziehungsweise anerkannt hatte, zu reden. Er merkte wie ihre wässrigen Augen langsam sein T-Shirt benässten, und versuchte, sie daher möglichst schnell wieder auf andere Gedanken zu bringen.
„Hey.“ Er hockte sich hin und hielt ihren Kopf mit beiden Händen fest, „Wollten wir nicht Pfannkuchen machen?“ Anstatt etwas zu sagen, nickte sie wieder nur. Diesmal jedoch nur schwach.
„Wie sieht es aus? Möchtest du ein paar Erdbeeren naschen?“ Dieses Mal hatte seine Frage die gewünschte Wirkung, und ihr Gesicht hellte sich mit einem Mal auf. Sie ließ sich von ihm hochnehmen und neben die Spüle setzen, wo die Schale mit den Erdbeeren schon bereits fertig zum Abspülen stand. Gezielt nahm sie sich die größte Erdbeere heraus, die sie auf die Schnelle gesehen hatte, hielt sie zwei Sekunden unter den kalten Wasserstrahl und biss genüsslich von ihr ab. Als sie mit der ersten fertig war, griff sie sofort nach der zweiten und verspeiste auch die in kürzester Zeit.
„Hey, Hey, Hey“, unterbrach David sie, „Wir brauchen auch noch welche für die Pfannkuchen. Es sei denn, du willst deine Pfannkuchen mit Sardinen essen. Die hätten wir auch noch da.“
„Ihhh“, sagte Zoe, wobei sie das Gesicht verzog, als hätte sie grade in eine Zitrone gebissen. Sie überlegte nicht lange und entschied sich doch für die Erdbeervariante und hörte auf zu naschen.
„Darf ich die Eier und die Milch vermischen?“, fragte Zoe und beugte sich interessiert über den Messbecher, in den David grade die Milch aus der Tüte goss.
Der restliche Nachmittag verlief ohne weitere Zwischenfälle. Zoe und David aßen Pfannkuchen mit Erdbeeren und Ahornsirup, während sie sich auf dem Sofa sitzend „Frozen“ ansahen. Etwas unpassend für die Jahreszeit, fand David, aber das störte Zoe nicht. Ihr Glas Kool Aid hatte sie nicht bekommen. Stattdessen hielt sie nun ein Glas Orangensaft, den sie durch einen blauen Strohhalm trank, in der Hand und schaute gebannt zu, wie Anna und Kristoff sich grade auf dem Bildschirm küssten. David kannte die Szene in und auswendig. Schließlich sahen sie sich den Film gefühlt jede Woche an, da Zoe auch nicht bereit war, mal etwas Neues auszuprobieren. Sie hing etwas in dem Wunschdenken fest, dass sie eines Tages als Anna in David ihren Kristoff finden würde. Doch so lange sich dieser Wunsch nicht erfüllt hatte, blieb ihr nur der sehnsüchtige Blick auf den Fernseher und ihre Fantasie. Der Abspann des Filmes begann und David schaltete den Fernseher aus.
„Nochmal“, sagte sie müde und begann zu gähnen. Mittlerweile war es viertel nach sechs geworden.
„Oh Nein“, lachte David und nahm ihr das Glas aus der Hand, um es auf den Tisch zu stellen.
„Du musst gleich nach Hause und dann bald ins Bett, so müde wie du bist“, erklärte er ihr und stupste mit einem Finger ihre Nase an.
„Bin nicht müde“, entgegnete sie ihm empört und richtete sich aus ihrer liegenden Pose über seinem linken Oberschenkel wieder auf.
„Natürlich nicht.“ Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„David?“
„Ja, Zoe? Was ist?“
„Wirst du in den Ferien hier sein?“, fragte sie und kletterte auf seinen Schoß.
„Nicht jeden Tag, aber im Großen und Ganzen, ja. Wieso fragst du?“ Er griff ihr unter die Arme und half ihr auf seinen Schoß zu kommen. Sie zuckte mit den Achseln.
„Ich weiß nicht. Ich will nicht, dass du weg gehst. Du sollst hier bei mir bleiben. Dann beschütze ich dich“, erklärte sie ihm und lehnte sich mit dem Rücken an seine Brust an.
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