Ich bog in die Landstraße ein, an deren Ende der Hof lag. Von weitem konnte ich schon die Pferde sehen.
Langsam fuhr ich durch das Hoftor und vorbei an den Koppeln. Der Schotter auf dem Weg rüttelte mich ordentlich durcheinander.
Ich stellte das Rad ab und wunderte mich, dass hier fast keiner war.
Im Stall traf ich dann endlich auf jemanden. Ein Mädchen mit hübschen, blonden Haaren und das noch viel kleiner war als ich, mühte sich gerade mit der Mistgabel ab, die fast genauso groß wie sie war.
"Hallo. Ähm, ich suche Bea", sagte ich zu ihr und sie hielt inne, sah mich an und lächelte. Sie legte die Mistgabel ab, wischte sich die Hände ab und kam zu mir rüber.
"Hi, ich bin Eva. Bea ist glaub ich auf dem Reitplatz. Du musst einfach nach hinten über den Hof gehen, dann müsstest du sie schon sehen."
Ich folgte ihrer Beschreibung, fluchte ziemlich laut, als ich in Pferdemist stieg und sah Bea, wie sie auf einem schönen schwarzen Hengst ritt. Elegant sah sie aus, mit ihren langen blonden Locken, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte und den dunkelblauen Reiterklamotten. Ihre ganze Haltung war ziemlich anmutig. Ich stellte mir gerade vor, wie ich wohl auf einem Pferd aussehen würde, als sie mich entdeckte und mir zu winkte. Ich winkte zurück, während sie von dem Pferd sprang und auf mich zu kam.
"Ave! Das ist ja schön, dass du vorbeikommst!"
Sie umarmte mich und drückte mir Küsschen auf die Wangen, was sie immer tat, wenn wir uns sahen. Ich musste unwillkürlich lächeln, denn sie war eine große Frau und überragte mich um Längen.
"Was tust du hier?", fragte sie mich und band den Hengst an dem Zaun an.
"Ähm, ich wollte einfach nur mal mit dir Quatschen. Haben wir schon lange nicht mehr gemacht."
Sie strahlte wie immer übers ganze Gesicht. Gottseidank. Sie freute sich wirklich, mich zu sehen.
"Tut mir leid, Ave. Wenn du angerufen hättest, dann hätten wir was anderes machen können. Aber nicht so schlimm. Komm, wir setzen uns auf die Bank. Wie geht es Tom?"
Wir setzen uns und ich fing an, ihr zu erzählen, dass alles gut war, doch sie merkte schnell, dass ich log und dann erzählte ich ihr unter Tränen, was wirklich los war. Sie hörte mir zu und drückte meine Hand, ganz so, wie eine Freundin es tat und ich war zum ersten Mal in meinem Leben richtig froh darüber, dass ich sie hatte.
Sie unterbrach mich kein einziges Mal und als ich fertig war und wir uns in den Armen lagen, erzählte sie mir von dem Mann, den sie kennengelernt hatte.
"Er ist wirklich toll! Wahnsinnig gutaussehend und seine Augen…", fing sie an zu schwärmen und ich schaltete irgendwann ab, denn ich wollte es eigentlich gar nicht hören, wie glücklich sie war, während mein Glück langsam in Millionen Stücke zerbrach.
"Ave?", fragte sie mich und ich merkte, dass ich etwas zu lang abgeschaltet hatte.
"Jaja, hört sich echt super an! Wann lern ich ihn mal kennen?"
Sie sah mich etwas komisch an und meinte: "Das hab ich dir doch gerade gesagt. Er ist hier. Eigentlich müsste er gleich wieder da sein."
Ich konnte nicht mehr als ein Oh hervorbringen, denn da sah ich ihn.
Er war ein Mann, der alle Blicke auf sich zog, wenn er auftaucht und das auch weiß. Ein Mann, bei dem jede Frau in seinem Umkreis das Atmen aufhört, innehält und ihn einfach nur anstarren muss. Mit einem selbstsicheren Gang und einem breiten Grinsen kam er auf uns zu und fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare, die ihm etwa bis zum Kinn reichten. Seine breiten Muskeln spannten sich unter seinem Shirt und ich konnte schon von weitem seine schlanken, muskulösen Beine sehen.
Bea musste gemerkt haben, dass ich ihn schamlos anstarrte und vermutlich auch noch sabberte, denn sie kicherte leise und stieß mir den Ellenbogen in die Rippen, sodass ich aus meiner Trance gerissen wurde.
Als er vor uns stand und Bea aufsprang und ihm einen Kuss auf die Wange drückte, erhob ich mich so schnell, dass mein Fuß einknickte und ich vor ihm in den Staub gefallen wäre, wenn er mich nicht aufgefangen hätte. Schüchtern sah ich ihm in die Augen und das waren die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte. Dunkel, fast schwarz und so ausdrucksstark, dass meine Knie zitterten und ich nicht wusste, ob ich stehen konnte, wenn er mich losließ.
Er drückte mich auf die Bank und würdigte Bea keines Blickes, die sich an seinen Arm klammerte.
Ich blickte ihn verwirrt an, dann sah ich Bea an und er sagte etwas zu ihr, sah ihr dabei fest in die Augen und sie nickte, ging zum Pferd und ließ uns allein. Mich wunderte das, denn normal hätte sie ihn mir vorgestellt.
Er setzte sich neben mich und ich hatte Angst, dass ich wieder zu sabbern anfing, wenn ich ihn ansehen würde. Also starrte ich auf meine Hände und zwang mich, sie ruhig zu halten, denn sie zitterten unaufhörlich.
"Hallo", sagte er mit einer tiefen Stimme und das Schweigen nach diesem Hallo brachte mich dazu, ihn anzusehen und ein Hi herauszuquetschen. Ich hörte mich jämmerlich an, doch er lächelte und tat so, als hätte er den quietschenden Ton nicht gehört.
Irgendwo her kannte ich den doch, schoss es mir durch den Kopf.
"Ich bin Jared", sagte er und streckte mir die Hand hin.
Ich starrte sie an, als könnte sie sich jeden Moment in eine Giftschlange verwandeln, doch dann nahm ich sie und schüttelte sie wie eine Wilde. Er lächelte wieder.
"Wie heißt du?", fragte er und ich zwang mich, mich zusammenzureißen. Was war ich nur für eine, die sich so wegen einem Mann aus dem Konzept bringen ließ?
Ich räusperte mich und hörte, dass meine Stimme nun wieder normal war.
"Ich bin Avenae."
Ich schüttelte immer noch seine Hand und als ich es merkte, zog ich sie blitzschnell zurück.
"Freut mich, dich kennenzulernen, Avenae. Außergewöhnlich schöner Name für eine außergewöhnlich schöne Frau."
Jaah, mich freut es auch, dich kennenzulernen, dachte ich, aber sagte nichts. Ich konnte einfach nichts sagen.
Woher kenn ich dich nur, fragte ich mich wieder, als ich ihn ansah und seine schwarzen Augen mich zu durchbohren schienen.
Ich wurde unterbrochen, denn mein Handy fing an zu läuten. Als ich nicht hinging, meinte Jared, ich solle doch rangehen.
Schnell zog ich ungeschickt mein Handy aus der Tasche und hörte Toms Stimme, als ich abhob.
Achja, den gibt’s ja auch noch.
Er sagte etwas von wegen warum ich nicht angerufen hätte und was los sei. Ich sagte ihm schlicht, dass ich bei Bea schlafen würde und sie mich morgen heimbringen würde.
Dann legte ich auf, ohne die gewohnte Ich-liebe-dich-Floskel und ich fing wieder Jareds Blick auf, der mich unentwegt ansah.
"Dein Freund?", fragte er und ich schüttelte instinktiv den Kopf.
"Nein, nur ein Bekannter." Wow, so schnell kann's gehen.
Ich erhob mich, als mir einfiel wo wir überhaupt waren. Ich sah zu Bea, die immer noch bei dem Pferd stand und uns nicht mal ansah. Seltsam.
Ich ging zu ihr und sie sah mich erst an, als Jared zu uns kam, ihr eine Hand auf den Rücken legte und etwas ins Ohr flüsterte. Äußerst seltsam.
Ihre Stimme war irgendwie komisch und sie gab sich ziemlich unecht.
"Ich muss schnell in den Stall und Nero reinbringen. Ihr könnt euch ja so lange unterhalten, wenn ihr wollt. Ich muss jetzt dann sowieso bald los. Arbeit…", meinte sie gespielt fröhlich und ich ging mit ihr zusammen zu dem Stall, Jared hinterher, dessen Blicke ich die ganze Zeit spüren konnte.
"Arbeit? Achja stimmt, du musst ja Freitag arbeiten, hab ich ganz vergessen. Schade", sagte ich und meinte es wirklich ernst. Ich hätte gerne mit ihr geredet und Zeit verbracht.
"Ja, tut mir leid. Ich fahr gleich von hier aus in die Stadt. Wenn du willst, dann kann Jared dich heimbringen?"
Ich schüttelte den Kopf, denn ich war ja mit dem Rad von Ellen da und wollte das erst zurückbringen.
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