Am Dienstag fuhren Dominik und ich wieder zusammen durch die Straßen und es war ruhig. Nichts spannendes passierte bis auf ein paar Jugendliche, die den Morgen genossen und es mit dem Alkohol übertrieben hatten. Wir brachten einen Jungen zur Schule, der Schwänzen wollte. Alles war wie immer und als wir wieder in der Polizeiwache waren, wollte ich Tom abholen, da er darauf bestand, dass wir zusammen heimfuhren. Als er zehn Minuten zu spät war, und er eigentlich immer überpünktlich war, ging ich zu seinem Büro und klopfte. Nichts. Keiner machte auf. Ich drückte die Tür auf und die automatische Lichtanlage ging an. Mhm, komisch. Wo war er nur? Ich ließ meinen Blick durch sein Büro schweifen und er blieb an der Tafel mit den vermissten Mädchen hängen. Neben den Bildern waren noch Karten aufgehängt, wo man die Mädchen gefunden hatte, wo man sie zuletzt gesehen hatte und Namen hingekritzelt waren. Und dann kam mir eine Idee. Schnell nahm ich mein Handy, lehnte die Tür an, sodass mich keiner sah und fotografierte die Tafel. Anschließend ging ich zum Schreibtisch. Ich wusste, dass Tom seine Unterlagen immer in der Schublade einschloss. Ich zog an der Schublade und wie sollte es auch anders sein, sie war zu. Schnell suchte ich den Tisch nach dem Schlüssel ab, fand ihn unter einem mehr als kitschigen Briefbeschwerer in roter Herzform, den ich Tom mal geschenkt hatte und schloss die Schublade auf. Darin lagen die Unterlagen, die ich brauchte. Fahrig, weil ich keine Zeit verlieren wollte, fotografierte ich jede einzelne Seite und schloss die Schublade wieder zu. Ich steckte den Schlüssel wieder unter den Briefbeschwerer, auf dem ein Foto von mir und Tom geklippst war. Er starrte mich an und ich bildete mir seinen tadelnden Blick ein, wenn er wütend war. Ach Tom. Dann fuhr ich auf. Ich hörte Schritte und schnell sprang ich zum Fenster. Die Tür wurde aufgestoßen und Tom stand darin. "Was machst du denn hier?", fragte er vorwurfsvoll und ich zuckte mit den Schultern. "Ich habe dich gesucht. Du warst ja nicht da. Ich war jedenfalls da", band ich ihm auf die Nase. Geschieht ihm nur Recht.
Abends kamen noch Dana und Dominik bei Tom vorbei und wir aßen selbstgemachte Lasagne. Tom machte die beste Lasagne auf der ganzen Welt und wir verloren kein einziges Wort über die Mädchen. Doch meine Gedanken schweiften immer wieder zu ihnen. Bisher hatte ich noch keine Zeit gehabt, die Fotos, die ich gemacht hatte genau anzuschauen.
Ich sagte Tom, dass es mir nicht gut ging und er begleitete mich noch in meine Wohnung.
Endlich allein, schmiss ich meinen Laptop an, zog die Fotos auf die Festplatte und druckte sie aus.
Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste dringend mit jemandem reden, der kein Polizeiabzeichen hatte und mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte. Mir fiel nur eine Person ein. Bea.
Ich packte meinen Schlüssel, die Fotos, die ich in meine Tasche stopfte und schloss die Tür hinter mir zu. Als ich die Treppe runterlaufen wollte, ging die Tür zu Toms Wohnung auf und ich drückte mich gegen die Wand, um mit ihr zu verschmelzen und unsichtbar zu werden. Aber leider gibt es ja sowas wie Bewegungsmelder, damit die Lichter angingen und er starrte mich böse an.
"Ich dachte dir geht’s nicht gut?", sagte er, während er zu mir runterkam, und mich die Stufen an der Hand wie ein ungezogenes Kind hochzog.
"Was hast du für ein Problem? Ich will doch nur zu Bea!"
"Was willst du denn bei der?", fragte er. Ich hatte ihm von Bea erzählt, dass sie eigentlich meine einzige Freundin war, aber er hatte sich nie mehr nach ihr erkundigt.
"Reden?"
"Ave… du sollst nicht mit anderen darüber reden, was in der Arbeit passiert. Das weißt du doch?"
Ich räusperte mich und sah ihn an.
"Es gibt auch noch andere Dinge, die ich mit ihr bereden will. Zum Beispiel, ähm, über Jungs. Sie hat mir geschrieben, dass sie wen kennengelernt hat und dass sie mir von ihm erzählen will. Also warum sollte ich nicht zu ihr fahren?"
Er seufzte und hielt mir die Hand her.
"Was?", fragte ich verwirrt und starrte total bescheuert seine Hand an.
"Handy. Ich will das sehen. Das was sie dir geschrieben hat."
Ich konnte es nicht fassen. Einen Moment später, als die Worte mein Hirn erreicht hatten, hatte ich einen Wutausbruch.
"Sag mal geht’s noch? Du willst jetzt auch noch mein Handy kontrollieren? Ich sag dir eins, Tomas Kellner, wenn ich dich einmal auch nur ein einziges Mal an meinem Handy sehe, dann… dann.."
Er lehnte sich gegen das Treppengelände und zog wieder die Augenbrauen nach oben.
"Dann was?"
"Dann… dann… dann setzt es was und zwar gewaltig!"
"Ja klar… Okay, ich glaub dir. Aber Babe, es ist sieben Uhr an einem Freitag Abend. Meinst du nicht, sie hat was zu tun, wenn sie gerade jemanden kennengelernt hat?"
"Nein, ich hab sie angerufen und sie freut sich, wenn ich komm", log ich und versuchte, seinem Blick Stand zu halten. Er glaubte mir anscheinend, ziemlich unerwartet weil ich eine lausige Lügnerin war, und er zog mich die restlichen Treppen rauf und in seine Wohnung.
Er griff nach den Schlüsseln und sagte den anderen zwei, dass er gleich wieder da wäre.
"Was machst du?", fragte ich ihn, als er mich in den Aufzug drückte, meine Proteste ignorierte (ich bin furchtbar klaustrophobisch) und auf den Erdgeschossknopf drückte.
"Naja, ich fahr dich zu ihr. Und ich will mit ihr reden, dass sie dich danach heimfährt, bzw du bei ihr über Nacht bleibst und ich dich morgen abholen kann."
"Du führst dich auf wie mein Vater", meinte ich beleidigt und hämmerte mit dem Finger auf den Erdgeschossknopf. Dass Aufzüge auch immer so langsam sein müssen.
Als die Tür aufsprang, sprintete ich hinaus und an der frischen Luft angekommen, atmete ich erst mal tief durch.
Als wir bei Bea angekommen waren, machte er Anstalten, auszusteigen.
"Nein, du bleibst hier. Ich will nicht, dass du wie mein Bodyguard oder so mit ihr redest. Ich kann das selbst. Ich verspreche dir, dass ich dich später anrufe, okay?"
Er sah aus, als würde er rasend schnell Pro und Contra in seinem Gehirn durchrattern, doch dann entschied er sich dafür, im Auto zu bleiben.
"Gut, aber ich warte bis du drin bist. Und ich will, dass du mich sofort anrufst, wenn du weißt, wann ich dich abholen soll, ist das klar? Ich will nicht, dass du allein nach Hause gehst!"
Ich zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür.
"Bekomm ich keinen Kuss?", fragte er leise und ich hielt inne.
Upps, wie konnte ich das nur vergessen?
Ich beugte mich zu ihm und gab ihm einen sanften Kuss, doch er zog mich an sich und ich merkte, dass er Angst hatte, an der Art, wie er mich festhielt.
Ich drückte ihn sachte weg, lächelte ihn an und schloss die Tür. Seine Blicke durchbohrten meinen Rücken, als ich zu Beas Wohnungstür ging.
Ich klingelte und eine Mitbewohnerin von Bea, die glaub ich Ellen hieß, öffnete und lies mich in die Wohnung.
"Hi Ellen. Ist Bea hier?", fragte ich sie und ich merkte an der Lautstärke, dass hier eine Party in vollem Gang war.
Sie schüttelte den Kopf und mein Herz sank in die Hose. Na toll. Hätte ich sie doch bloß vorher angerufen.
"Sie ist glaub ich bei den Pferden. Wenn du willst, dann fahr ich dich hin?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, schon gut. Kann ich mir nur ein Fahrrad leihen? Ich bin mit… ähm mit einem Freund hergefahren."
"Klar. Du kannst meins haben."
Sie gab mir ihren Fahrradschlüssel und ich kontrollierte erst mal, ob Toms Auto noch da war, als ich die Tür öffnete.
Nichts zu sehen.
Den Weg zu dem Hof, auf dem Bea ritt, kannte ich auswendig, da ich schon oft dort gewesen war.
Ich blickte auf die Uhr. Es war sieben Uhr abends. Nicht allzu spät.
Gut dass es Sommer war, und bis ungefähr zehn hell war, denn ein bisschen gruselte es mich schon, wie ich so ganz allein durch die gottverlassene Landschaft fuhr.
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