Wilhelm Hauff - Der Mann im Mond
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Der «Mann im Mond» ist dasjenige Werk Hauffs, das bei seinem Erscheinen am meisten Staub aufwirbelte und über dessen Entstehung auch jetzt noch keine Einigung unter den Literarhistorikern herrscht.
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Der Kotillon
In rauschenden Tönen klangen die Hörner und Trompeten durch den Saal, in verschlungenen Gruppen, bald suchend, bald fliegend hüpften die Paare den fröhlichen Reigen, und Idas liebliche Gestalt tauchte auf und nieder in der Menge der Tanzenden wie eine Nixe, die neckend bald dem Auge sich zeigt, bald in den Fluten verschwindet. Oft wenn der Augenblick es gestattete, wagte sie einen Viertelseitenblick über den Saal hinüber nach ihm, zu welchem ein unerklärbares Etwas sie noch immer hinzog, und wenn die Flöten leiser flüsterten, wenn die weichen gehaltenen Töne der Hörner süßes Sehnen erweckten, da glaubte sie zu fühlen, daß diese Töne auch in seiner Brust widerklingen müssen. In glänzender Kette schwebten jetzt die Mädchen in der Runde, bis die Reihe sich löste und sie den Saal durchschwärmten, um selbst sich Tänzer zu suchen. Emil stand wieder an seine Säule gelehnt. Kaum den Boden berührend schwebte eine zarte Gestalt, auf dem Amorettengesichtchen ein holdes, verschämtes Lächeln auf ihn zu – es war Ida. Lächelnd neigte sie sich, zum Tanz ihn einzuladen; er schien freudig überrascht, eine flüchtige Röte ging über sein bleiches Gesicht, als er das holde Engelskind umschlang und mit ihr durch den Saal flog.
Aber ängstlich war es Ida in seinen Armen; kalt war die Hand, die in der ihrigen ruhte, schaurige Kälte fühlte sie aus des Fremden Arm, der ihre Hüfte umschlang, in sie eindringen, scheu sucht ihr Auge den Boden, denn sie fürchtete, seinem Flammenblick zu begegnen, jetzt erst fiel ihr auch ein, daß es sich doch nicht so recht schicke, den ganz fremden Menschen, der ihr von niemand noch vorgestellt war, zuerst zum Tanze aufgefordert zu haben.
Aber ein freudiges Flüstern des Beifalls begleitete sie durch die Reihen; bedeutender schien des Fremden edles Gesicht von der Bewegung des Tanzes leicht gerötet, bedeutender erschien seine edle Gestalt, sein hoher, königlicher Anstand; und dem schönen Mann gegenüber erschien auch Ida in noch vollerem Glanz der Schönheit. Mit dankendem Blick schied er, als er sie an den Platz zurückführte, wieviel stiller Gram, wieviel Wehmut lag in diesem langen Blick; ja, wenn sie sich den Ausdruck seines Auges noch einmal zurückrief, wieviel Dank lag darin, wieviel Lie–
Sie drückte geschwind die Augen zu, um nur den Gedanken zu entgehen, die sie unablässig verfolgten, sie tanzte rascher und eifriger, nur um sich durch den raschen Wirbel zu zerstreuen; aber da wisperte von der einen Seite der Xeres, von der andern kicherte der Champagner ihr ins Ohr, er liebt dich, du bist es ja, nach welcher er immer sieht, wegen dir ist er noch einmal auf den Ball gekommen. Der Kotillon hatte jetzt seine glänzendste Höhe erreicht; eine Tour, die in Freilingen noch nie getanzt worden, sollte eingeschoben werden. Die Dame, welche die Reihe traf, setzte sich, von ihrem Tänzer geführt, auf einen in die Mitte des Kreises gestellten Sessel; mit einem seidenen Tuch wurden ihr die Augen verbunden und dann Tänzer jeglicher Gattung zur blinden Wahl vorgeführt. Die Ausgeschlagenen stellten sich als Gefangene und besiegt hinter den Stuhl, der Erwählte flog mit der von der Binde erlösten Tänzerin durch den Saal. Die Tour an sich war gerade nicht so kühn erfunden, um durch sich selbst sehr bedeutungsvoll zu werden; sie ward es aber dadurch, daß der Vortänzer, ein gerade von Reisen zurückgekommener Herr aus Freilingen behauptete, in Wien werde diese Tour für sehr verhängnisvoll gehalten, denn es gelte dort bei dieser blinden Wahl das Sprichwort: »Der Zug des Herzens sei des Schicksals Stimme«, und mehr denn hundertmal habe er den Spruch bei dieser Tour eintreffen sehen. Die Freilinger Schönen machten zwar Spaß daraus und behaupteten, die Wiener Damen werden unter dem Tuch hervorgesehen haben; doch mochten sie abergläubisch genug sein und wünschen, des Schicksals Stimme möchte dem Zug ihres Herzens nachgeben, und ihnen den schönen Major, oder den Jagdjunker mit dem Stutzbärtchen, oder einen dergleichen vor die blinden Augen führen.
Auch an Ida kam jetzt die Reihe sich niederzusetzen, der sauersüße Kreissekretär führte sie zum Stuhl, fragte mit schalkhaft sein sollendem Lächeln, das aber sein Gesicht zur scheußlichen Fratze verzog, ob er den Herrn Hofrat Berner bringen solle? band ihr das Tuch vor die Augen und in wenigen Augenblicken standen schon drei arme Unglückliche von der spröden, blinden Mamsell Amor-Justitia verschmäht hinter dem Stuhl. Es war ihr wohl auch der Gedanke an Martiniz durch das Köpfchen gezogen; aber sie hatte sich selbst recht tüchtig ausgescholten und vorgenommen, ihr Herzchen möge sie ziehen wie es wolle, das Schicksal möge noch so gebietend rufen, sie lasse drei ablaufen und den vierten wollte sie endlich nehmen.
»Numero vier! gnädiges Fräulein!« meckerte der Kreissekretär. Sie ließ die Binde lösen, sie schlug die Augen auf und sank in Emils Arme, der sie im schmetternden Wirbel der Trompeten, im Jubelruf der Hörner im Saal umherschwenkte; die Sinne wollten ihr vergehen, sie hatte keinen deutlichen Gedanken als das immer wiederkehrende – »Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme«; ach! so hätte sie durch das Leben tanzen mögen, ihr war so wohl, so leicht, wie auf den Flügeln der Frühlingslüfte schwebte sie in seinem Arme hin, sie zitterte am ganzen Körper, ihr Busen flog in fieberhaften Pulsen, sie mußte ihn ansehen, es mochte kosten was es wollte, sie hob das schmachtende Gesichtchen, ein süßer Blick der beiden Liebessterne traf den Mann, der ihr in wenigen Stunden so wert geworden war; das edle Gesicht lag offen vor ihr, wenige Zollbreit Auge von Auge, Mund von Mund, ach wie unendlich hübsch kam er ihr vor, wie fein alle seine Züge, wie schmelzend sein Auge, sein Lächeln, sie hätte mögen die paar Zöllchen breite Kluft durchfliegen, ihn zu lieben, zu kü–
Klatsch, klatsch, mahnten die ungeduldigen Herren, indem sie die glacierten Handschuhe zusammenschlugen, daß die zarten Nähte sprangen; will denn dies Paar ewig tanzen! Ach ihr Kurzsichtigen, wenn ihr wüßtet, wieviel namenlose Seligkeit in einer solchen kurzen Minute liegt, wie die Pforten des Lebens sich öffnen, wie die Seele hinter die durchsichtige Haut des Auges heraufsteigt um hinüberzufliegen zu der Schwesterseele – wahrlich, ihr würdet diesen Moment des süßesten Verständnisses nicht durch euer Klatschen verscheuchen.
Der Ball war zu Ende; der Hofrat nahte, Ida den Shawl anzulegen und das wärmende Mäntelchen umzuwerfen; er nahm dann ihren Arm, um sie zur Abkühlung noch ein wenig durch den Saal zu führen. »Sie haben mit ihm getanzt, Töchterchen?« »Ja«, antwortete sie, »und wie der tanzt, können Sie sich gar nicht denken; so angenehm, so leicht, so schwebend!« »Idchen, Idchen«, warnte der Hofrat lächelnd, »was werden unsre jungen Herren dazu sagen, wenn Sie sie über einem Landfremden so ganz und gar vergessen?« »Nun, die können sich wenigstens über das Vergessen nicht beklagen, denn ich habe nie an sie gedacht! Aber sagen Sie selbst, Hofrat, ist er nicht ganz, was man interessant nennt?« »Ihnen wenigstens scheint er es zu sein«, antwortete der neckische Alte. »Nein, spaßen Sie jetzt nicht, ist nicht etwas wunderbar Anziehendes an dem Menschen? etwas, das man nicht recht erklären kann.« Der Hofrat schwieg nachdenklich; »Wahrhaftig, Sie können recht haben, Mädchen«, sagte er, »habe ich doch den ganzen Abend darüber nachgesonnen, warum ich diesen Menschen gar nicht aus dem Sinne bringen kann.«
»Aber noch etwas«, fiel Ida ein, »wissen Sie nicht, wo er so plötzlich mit dem alten Diener hinging?« »Das ist es eben!« sagte jener, »eine ganz eigene Geschichte mit dem Grafen da; kommt auf den Ball, tanzt nicht, geht fort, bleibt über eine Stunde aus, kommt wieder und wo blieb er? wo meinen Sie wohl? Er war im Münster!!«
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