Wilhelm Hauff - Der Mann im Mond
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Der «Mann im Mond» ist dasjenige Werk Hauffs, das bei seinem Erscheinen am meisten Staub aufwirbelte und über dessen Entstehung auch jetzt noch keine Einigung unter den Literarhistorikern herrscht.
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Umsonst bat der alte Robert seinen Herrn, er möchte doch seine Gesundheit bedenken und sich jetzt zur Ruhe legen; er schien es gar nicht zu hören, schweigend warf er in der Haustüre den Mantel ab, gab ihn dem Alten und eilte die Treppe hinan. Kopfschüttelnd folgte ihm der Diener; hatte er doch seit einer langen, traurigen Zeit nicht bemerkt, daß sein armer Herr Freude an rauschender Lustbarkeit hatte; es mußte etwas Eigenes sein, das ihn noch einmal da hinauf zog, denn, wenn er sich sonst auch in das fröhlichste Gewühl gestürzt hatte, so war er doch immer nach einem halben Stündchen wieder zurückgekommen. Und heute hatte er ihn sogar an die Stunde mahnen müssen; heute ging er zu einer Zeit, wo er sonst erschöpft von Kummer und Unglück dem Schlaf in die Arme geeilt war, noch einmal auf den Tanzboden. »Gott gebe, daß es zu seinem Heil ist«, schloß der treue Diener seine Betrachtungen, und wischte sich die Augen.
Der Saal war noch leer, als Emil oben eintrat, nur die Musikanten stimmten ihre Geigen, probierten ihre Hörner und ließen die Schlegel dumpf auf die Pauken fallen, um zu sondieren, ob das tiefe C recht scharf anspreche, mittendurch netzten sie auch ihre Kehlen mit manchem Viertel, denn ein ellenlanger Kotillon sollte den Ball beschließen. Löffel- und Messergeklirr, das Jauchzen der Anstoßenden tönte aus dem Speisesaal; ein schwermütiges Lächeln zog über Emils blasses Gesicht, denn er gedachte der Zeiten, wo auch er keiner fröhlichen Nacht ausgewichen war, wo auch er unter frohen, guten Menschen den Becher der Freude geleert und, wenn kein liebes Weib, doch treue Freunde geküßt hatte und mit fröhlichem Jubel in das allgemeine Millionen-Hallo und Welt-Hurra der Freude eingestimmt hatte; unter diesen Gedanken trat er in den Speisesaal. In bunten Reihen saßen die fröhlichen Gäste die lange Tafel herab; man hatte soeben die hunderterlei Sorten von Geflügel und Braten abgetragen und stellte jetzt das Dessert auf. Gewiß! man konnte nichts Schöneres sehen, als die Präzision, mit welcher die Kellner ihr Dessert auftrugen, die Bewegungen auf die Flanken und ins Zentrum gingen wie am Schnürchen, die schweren Zwölfpfünder der Torten und Kuchen, das kleinere Geschütz der französischen Bonbons und Gelees wurde mit Blitzesschnelle aufgefahren, in prachtvoller Schlachtordnung, vom Glanz der Kristallüsters bestrahlt standen die Guß-, Johannisbeeren-, Punsch-, Rosinentorten, die Apfelsinen, Ananas, Pomeranzen, die silbernen Platten mit Trauben und Melonen. Aber Hofrat Berner hatte sie auch eingeübt, und den besten Kellnerrekruten schwur er hoch und teuer in acht Tagen so weit bringen zu wollen, daß er einen bis an den Rand gefüllten Champagnerkelch auf eine spiegelglatte silberne Platte gesetzt die Treppe herauf springen könne, ohne einen Tropfen zu verschütten, was in der Geschichte des Servierens einzig in seiner Art ist. Wenn die Festins, die er zu arrangieren hatte, herannahten, hielt er auf folgende Art völlige Übungen und Manövres. Er setzte sich in den Salon, wo gespeist werden sollte, ließ eine Tafel zu dreißig bis vierzig Couverts decken, und wie den Rekruten ein fingierter Feind mit allen möglichen Bewegungen gegeben wird, so zeigte er ihnen auch Präsidenten, Justizräte, Kollegiendirektoren, Regierungsräte und Assessoren mit Weib und Tochter, Kind und Kegel und mahnte sie, bald diesem ein Stück Braten, jener diese Sauciere zu servieren, bald einem Dritten und Vierten einzuschenken und dem Fünften eine andere Sorte vorzusetzen; da sprangen und liefen die Kellner sich beinahe die Beine ab, aber probatum est – wenn der Tag des Festes herannahte, durfte er auch gewiß sein, zu siegen. Wie jener große Sieger, der nur mit feierlichem Ernst die Worte sprach, »Heute ist der Tag von Friedland«, oder »Sehet die Sonne von Austerlitz«, so bedurfte es von seinem Mund auch nur einige ermahnende tröstliche Hindeutungen auf frühere Bravouren und gelungene Affären, und er konnte darauf rechnen, daß keiner der zwanzig Kellergeister über den andern stolperte, oder ihm die Aalpastete anstieß, oder daß sie mit Sauce und Salat einander rannten, purzelten und auf dem Boden die ganze Bescherung servierten.
Mit dieser Präzision war also auch heute die Tafel serviert worden; der Nachtisch war aufgetragen, die schweren Sorten als da sind Laubenheimer, Nierensteiner, Markebrunner, Hochheimer, Volnay, feiner Nuits, Chambertin, beste Sorte von Bordeaux, Roussillon wurden weggenommen und der zungenbelebende Champagner aufgesetzt. Hatte schon der aromatische Rheinwein die Zungen gelöst und das schwärzliche Rot des Burgunders den Liliensamt der jungfräulichen Wangen und die Nasen der Herren gerötet, so war es jetzt, als die Pfropfe flogen und die Damen nicht wußten, wohin sie ihre Köpfe wenden sollten, um den schrecklichen Explosionen zu entgehen, als die Lilienkelche bis an den Rand mit milchweißem Gischt gefüllt, kredenzt wurden, wie auf einem Bazar im asiatischen Rußland, wo alle Nationen untereinander plappern und maulen, gurren und schnurren, zwitschern und näseln, plärren und jodeln, brummen und rasaunen; so schwirrte in betäubendem Gemurmel, Gesurre und Brausen in den höchsten Fisteltönen bis herab zum tiefsten, dreimalgestrichenen C der menschlichen Brust das Gespräch um die Tafel.
Das Urteil der Welt
Aber der größte Teil der Konversation wenigstens am untern Ende des Tisches galt Präsidents Ida. Dort gingen die zahnlosen Mäulchen der Tanten und Mütter wie oberschlächtige Mühlen, und die Posaunen-Seraphs-Gesichter der Töchter nickten ihren Konsens aus den kleinen Kalmuckenäugelein. Wie hatte doch das Mädchen vor Gott gesündigt und gefrevelt dadurch, daß es so wunderhübsch geworden war! Wäre sie zurückgekommen wie eine wilde Hummel, oder wie so manche, die man als Gagak in die Residenz schickt, um sie »Bildung und Blumenmachen« lernen zu lassen, und die als Gagak wiederkehrt, da hätte es geheißen, »An der ist Hopfen und Malz verloren, mich dauern nur die Eltern«. Jetzt, wo sie mit ihrem Tannenwuchs, mit ihrer unnachahmlichen Grazie bescheiden und doch voll so erhabener Würde hereintrat, das strahlende Diadem in den geschmackvoll geordneten Ringellocken und Löckchen, im feuersprühenden Auge Geist und Liebe, verschmolzen mit schuldloser, anspruchloser Natürlichkeit; die Wangen von Gesundheit gerötet, in den feinen Grübchen den kleinen, kleinen Schelm, den Mund so würzig, so kußlich, die aphroditische Schwanenbrust mit dem fürstlichen Schmuck, mit dem Pariser Hofkleid umschlossen – Nein! das Mädchen durfte nicht schön, durfte nicht unschuldig und tugendhaft sein. – »Hah, ha, ha, Frau Oberforstmeisterin!« lachte die Kammerdirektorin, ohne darauf zu achten, daß sie die acht unschuldigen Ohren ihrer erwachsenen Töchterlein beleidigen könnte, »tugendhaft? Wir kennen die Residenztugend noch aus unserer Zeit! Da müßten sich die Steine umgekehrt haben, die Garde-Ulanen-Rittmeister müßten ihre engschließende Uniform ausgezogen und die Herren Archidiakonen und Superintendenten um ihr ehrbares Kostüm ersucht haben, müßten in schwarzen Mäntlein, weißen Beffchen, kurzen Höschen und seidenen Wädchen, die Bibel unter dem Arm einhergehen, wenn man bei siebzehnjährigen Mädchen Tugend finden sollte in Sodum!«
»Wahrhaftig, Sie haben recht«, schnatterte es über die Tafel herüber, »und die gerühmte Schönheit? ist alles Lug und Trug, das kann man alles dort ums liebe Geld haben; meinen Sie denn, diese Locken dort, diese Zöpfe seien echt? Bewahre; man hat ja gesehen, was für Haar Mamsell Sausewind in die Residenz nahm; wo sind die gelben Zähne hingekommen? Meinen Sie etwa, ein so herrlicher Mund voll, wie jene hat, schiebe sich im sechzehnten, siebzehnten Jahre noch nach? Lauter Seehund, nichts als Seehund.«
»Ja, Frau Gevatterin«, unterbrach eine dritte, »und die handbreiten Brüssler Kanten, der Amethystschmuck, mit welchem man meinen Torweg pflastern könnte – von der Fürstin Romanow soll er sein? Ha, ha, ha, man hat auch seine Nachrichten; die Fürstin, Gott halte sie in Ehren, ist eine splendide Frau, auch reich, steinreich, gebe alles zu – aber so einem nasenweisen Kind, das kaum hinter den Ohren trocken ist, dieses Diadem, diese Ohrenringe, dieses Kollier, dieses Kreuz zu schenken – nein, dazu ist die Frau Fürstin Hoheit doch zu vernünftig. Haben Sie aber nie von ihrem Neffen, dem Prinzen Ferdinand gehört? soll ein splendider, artiger Herr sein, der Prinz, und wenn man nur gegen ihn gefällig ist, ist er es wohl auch wieder, ha, ha, ha –«
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