Wilhelm Hauff - Der Mann im Mond

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Der «Mann im Mond» ist dasjenige Werk Hauffs, das bei seinem Erscheinen am meisten Staub aufwirbelte und über dessen Entstehung auch jetzt noch keine Einigung unter den Literarhistorikern herrscht.

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Berner hatte schweigend den Brief noch einmal überlesen, und legte ihn dann mit einem mitleidigen Blick auf Ida zurück; »Nun, was sagen Sie zu dem sonderbaren Auftrag«, fragte der Präsident; »wahr ist es, der Martiniz ist nach dieser Beschreibung ein Goldfisch, den man nicht hinauslassen darf, ja, ja – man muß negocieren, daß er in unserem Kreise bleibt. Da könnte er zum Beispiel Wolldringen kaufen; um zweimal hunderttausend Tälerchen ist Schloß, Gut, Wiesen, Feld, Fluß, See, Berg und Tal, alles was man nur will, sein. Und dieser Preis ist ein Pappenstiel; so, so? die Aarstein also? nicht übel gekartet von den Herren; sie soll enorme Schulden haben, die am Ende doch der Fürst übernehmen müßte, die bekommt der Herr Graf in den Kauf. Du kennst die Aarstein, Ida? sahst du sie oft?«

»Nie!« antwortete Ida unter den Löckchen hervor, und sah noch immer nicht vom Teller auf.

»Nie?« fragte der Präsident gereizt, »ich will nicht hoffen, daß die gnädige Gräfin meine Tochter nicht in ihren Zirkeln sehen wollte; hat sie dich nie eingeladen, wurdest du ihr nicht vorgestellt?«

»O ja!« sagte Ida, »sie schickte wohl zwanzigmal, ich kam aber nie dazu, hinzugehen.«

»Was der T–! ich hätte geglaubt, du wärest ein vernünftiges gesittetes Mädchen geworden; wie kannst du solche Sottisen begehen, und die Einladungen einer Dame, die mit dem fürstlichen Hause so nahe liiert ist, refüsieren?«

»Man hat mich deswegen bei Hof nicht weniger freundlich aufgenommen«, antwortete Ida und hob das von Unmut gerötete Gesichtchen empor, »man hat sich vielleicht gedacht, daß es der Ehre eines unbescholtenen Mädchens wohl anstehe, so fern als möglich von der Frau Gräfin zu bleiben.«

»So sieht es dort aus?« fragte der Präsident kopfschüttelnd, »nun, nun! heutzutage setzt man sich, wenn man ein wenig Welt hat, darüber weg. Ich mag dir hierüber nichts sagen, ihr jungen Mädchen habt eure eigenen Grundsätze, nur wäre es wegen den jetzigen Verhältnissen besser gewesen, du hättest sie öfter gesehen, denn wenn sie sich hier in der Gegend ankaufen, nach Freilingen kommen sie doch auch alle Jahre ein paarmal, wir machen das erste Haus hier, du sollst in Zukunft die Dame des Hauses vorstellen, wie kannst du nun die Gräfin Martiniz empfangen, wenn du in der Residenz sie so ganz negligiertest.«

»Nun Gräfin Martiniz ist sie ja noch nicht«, meinte der Hofrat und lächelte dabei so geheimnisvoll, daß es sogar dem Präsidenten auffiel.

»Nun, Er spricht ja so sicher über diesen Punkt«, sagte dieser, »als kenne Er den Grafen Martiniz und seine Herzensangelegenheiten aus dem Fundament.«

»Seine Herzensangelegenheiten nun freilich nicht«, lächelte Berner, »aber den Grafen hatte ich die Ehre, gestern kennenzulernen. –«

»Wie«, unterbrach ihn der Präsident, »er ist schon hier, und wir schwatzen schon eine Stunde von ihm und Sie sagen nichts –«

»Fräulein Tochter ist nicht minder in der Schuld als ich«, entgegnete jener, »sie kennt ihn sogar genauer als ich.«

»Ich glaube, Ihr seid von Sinnen, Berner, oder mein Laubenheimer hat Euch erleuchtet; du, Idchen, du kennst ihn?«

»Nein – ja –« antwortete Ida, noch höher errötend, »ich habe mit ihm getanzt, das ist alles.« –

»Er war also gestern auf dem Ball? schon bei Jahren, natürlich, ein ältlicher Mann? schon in unserm Alter, Berner?«

»Nicht so ganz«, sagte dieser mit Hohn, »er mag so seine drei- bis vierundzwanzig Jährchen haben. Übrigens können Exzellenz seine Bekanntschaft recht wohl machen, er logiert drüben im Mond.«

Der Präsident war zufrieden mit diesen Nachrichten; er sann nach, wie der junge Mann am besten zu halten sein möchte, denn er trieb alles gerne nach dem Kanzleistil. Freund und Tochter, die er zu Rat zog, rieten, ihn einzuladen und ihm soviel Ehre und Vergnügen als möglich zu geben; der Hofrat nahm es über sich, die Sache einzuleiten und der Präsident ging um ein Geschäft leichter in sein Kollegium.

Operationsplan

Als er weg war, sahen sich Ida und Berner eine Zeitlang an, ohne ein Wort zu wechseln. Der Hofrat, dem das lange Schweigen peinlich wurde, zwang sich, obgleich ihm die wehmütige Freundlichkeit in Idas Gesicht, ihr tränenschwerer Blick bis tief ins Herz hinein weh tat, zum Lächeln. »Nun wer hätte es«, sagte er, »wer hätte es dem leidenden Herrn von gestern nacht angesehen, daß er drei Milliönchen habe; wie dumm ich war, daß ich glaubte, er weine in seinem Landau, weil er keine Wechselchen mehr habe; wer hätte es dem trübseligen Schmerzenreich angesehen, daß er bald eine so glänzende lustige Partie machen würde?«

Ida schwieg noch immer; es war als scheute sie sich vor dem ersten Wort, das sie vor dem Freund, der ihr Herz so tief durchschaut hatte, auszusprechen habe.

»Oder wie?« fuhr er fort, »wollen wir eine Allianz schließen, mein liebes Aprillenwetterchen, daß die Gräfin Aarstein ihre Schulden nicht zahlen kann, daß –«

»O Berner, verkennen Sie mich nicht«, sagte Ida unter Tränen; »es ist gewiß nur das reine Mitleiden, was mich nötigt, auszusprechen, was sonst nie gesprochen worden wäre. Sehen Sie, dieses Weib ist die Schande unseres Geschlechts; sie ist so schlecht, daß ein ehrliches Mädchen erröten muß, wenn es nur an ihre Gemeinheit denkt. Prüfen Sie den jungen Mann da drüben, und wenn er ist, wie er aussieht, wenn er edel ist und trotz seines Reichtums unglücklich, so machen Sie, daß er nicht noch unglücklicher wird; suchen Sie ihn aus den Schlingen, die man um ihn legen wird, zu reißen –«

»Das kann niemand besser, als mein Idchen«, entgegnete jener und sah ihr recht scharf in das Auge; »wenn mich nicht alles trügt, hängt das Goldfischchen an einem ganz andern Haken als dem, womit ihn der Minister ködern will, nur nicht gleich so rot werden, Kind; ich will alles tun, will ihm sein Leben angenehm machen, wenn ich kann, will ihm die Augen auftun, daß er sieht, wohin er mit der Aarstein kommt; will machen, daß er sich in unserer Gegend ankauft und seine drei Millionen ins Land zieht, will machen, daß er mein Mädchen da lie–«

»Still, um Gottes willen«, unterbrach ihn die Kleine und preßte ihm das kleine weiche Patschhändchen auf den Mund, daß er nicht weiterreden konnte. »Wer spricht denn davon; einen Millionär mag ich gar nicht; es wäre ganz gegen meine Grundsätze, nur die Schlange im Residenz-Paradies soll ihn nicht haben; vom übrigen kein Wort mehr, unartiger Mann! –«

Verschämt, wie wenn der Hofrat durch die glänzenden Augen hinabschauen könnte auf den spiegelklaren Grund ihrer Seele, wo die Gedanken sich in geheim drängten und trieben, sprang sie auf und an den Flügel hin, übertönte die Schmeichelworte des Hofrats mit dem rauschendsten Fortissimo, drückte sich die weichen Knie rot an dem Saitendämpfer, den sie hinauftrieb, um die Töne so laut und schreiend als möglich zu machen, um durch den Sturm, den sie auf den Elfenbeintasten erregte, den Sturm, der in dem kleinen Herzchen keinen Raum hatte, zu übertäuben.

Verzweiflungsvoll über den hallenden Schmetter dieses Furioso enteilte der Hofrat dem Salon; aber kaum hatte er die Türe geschlossen, so stieg sie herab aus ihrem Tonwetter, die gellenden Akkorde lösten sich auf in ein süßes, flüsterndes Dolce, sie ging über in die schöne Melodie: »Freudvoll und leidvoll«, mit Meisterhand führte sie dieses Thema in Variationen aus, die aus ihrem innersten Leben heraufstiegen, durch alle Töne des weichsten Moll klagte sie ihren einsamen Schmerz, bis sie fühlte, daß diese Töne sie viel zu weich machen und ihr Spiel ohne seine Dissonanzen aufzulösen, schnell wie ihre Hoffnung endete.

Die Mondwirtin

Im Goldnen Mond drüben ging es hoch her. Drei Zimmer in der Beletage vorn heraus hatte schon lange Zeit kein Fremder mehr gehabt; die Mondwirtin hatte daher alles aufgeboten, um diese Zimmer so anständig als möglich zu dekorieren. Das mittlere hatte sie durch einen eleganten Armoir zum Arbeits-, durch ein großes Sofa zum Empfangzimmer eingerichtet. Das links nannte sie Schlafkabinett, das rechts, weil sie ihren ganzen Vorrat überflüssiger Tassen und eine bronzierte Maschine auf einen runden Tisch gesetzt hatte, das Teezimmer. Auch an der Table d'hôte, wo sonst nur einige Individuen der Garnison, einige Forst- und Justizassessoren, Kreissteuereinnehmer und dergleichen, selten aber Grafen saßen, waren bedeutende Veränderungen vorgegangen. Zum Dessert kam sogar das feinere Porcellain mit gemalten Gegenden und die damaszierten Straßburger Messer, die sonst nur alle hohe Festtage aufgelegt wurden.

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