»Das überrascht mich nicht im Geringsten. Herbert war ja nicht dumm. Ihm war klar, dass er es sich nicht erlauben konnte, auch noch mit Kai anzuecken. Und im Gegensatz zu mir hätte Kai dem Chef sicherlich die wahren Gründe für einen Streit genannt. Außerdem hatte ich Neumann klar zu verstehen gegeben, dass er seine Klappe halten sollte, wenn er seinen Job behalten wollte. Offensichtlich hatte er seine Lektion gelernt«, meinte der ehemalige WUSA-Angestellte.
»Können Sie uns etwas über das Privatleben von Herrn Neumann erzählen?«
»Ich weiß nicht mal, ob er überhaupt eins hatte. Selbst in der Anfangszeit, als wir uns noch gut verstanden haben, lebte er ziemlich zurückgezogen mit seiner Frau. Ich war nur zwei- oder dreimal bei ihm zu Hause. Nachdem sie letztes Jahr gestorben ist, hat er sich noch mehr eingeigelt. Freunde hatte er unter den Kollegen jedenfalls nicht.«
»Und Feinde?«, fragte Riedmann.
Georg Fuchs schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Aber er war ein schwieriger Zeitgenosse. Würde mich also nicht sonderlich überraschen, wenn er Feinde hatte.«
Hansen dachte über die nächste Frage nach. »Hatte Herbert Neumann Kinder?«, wollte er schließlich wissen.
»Glücklicherweise nicht. Er hasste Kinder. Er hat sich immer sehr abfällig über sie geäußert. Sie kosteten nur Zeit und Geld, hat er einmal gesagt. Da war er bei mir natürlich an der richtigen Stelle. Meine Frau und ich haben zwei Kinder und mittlerweile sind wir stolze Großeltern eines kleinen Jungen!«, sagte der Mann mit einem Lächeln.
»Dann haben wir für den Moment keine weiteren Fragen. Sollte noch einmal Redebedarf bestehen, wissen wir ja, wo wir Sie finden können. Viel Spaß bei den Renovierungsarbeiten«, meinte Hansen und reichte Fuchs zum Abschied die Hand.
»Ich hoffe, dass Sie den Mörder schnappen. Herbert war zwar sicherlich nicht der liebenswerteste Mensch auf Erden, aber einen gewaltsamen Tod hatte er ganz bestimmt nicht verdient.« Georg Fuchs begleitete die beiden Ermittler zur Wohnungstür und verabschiedete sich dann.
»Was sollte denn die Frage nach den Kindern?«, erkundigte sich Riedmann, als sie die Treppe zum Ausgang hinabstiegen.
»Weil wir schon am Tatort festgestellt haben, dass zu solch einer Tat nur jemand fähig ist, der entweder tiefen Hass empfindet, oder aber einfach nur Spaß am sadistischen Töten hat.«
»Ja und?« Riedmann runzelte die Stirn.
»Herbert Neumann war ein schwieriger Mensch, wie wir gerade erfahren haben. Es wäre ja denkbar gewesen, dass sich zum Beispiel sein Sohn auf diese Weise von dem tyrannischen Vater befreit hat. Aber diese Möglichkeit scheidet jetzt aus.«
Kapitel 5
Später im Büro begann Riedmann sofort damit, ein paar allgemeine Informationen über die Polizei der DDR zusammenzutragen. Er wollte vor allem verstehen, welche Strukturen innerhalb der Polizeibehörden geherrscht haben und in welche Aufgabenbereiche die einzelnen Abteilungen aufgeteilt gewesen waren. Darüber wusste er so gut wie gar nichts. Es überraschte ihn zu sehen, dass gewisse Sektionen der DDR-Polizei im Grunde direkt dem politischen Staatsorgan der SED untergeordnet waren. Riedmann hatte diesbezüglich eine sehr aufschlussreiche Dissertation im Netz gefunden. K1, wie auf Neumanns Polizeimarke zu lesen war, war die politische Polizei der DDR, genauer gesagt des Ministeriums des Innern, MdI. Neben der allgemeinen Arbeitsgebiete, wie dem Vorgehen gegen organisierte Wirtschaftskriminalität oder Straftaten gegen Leben und Gesundheit, zeichnete sich die Abteilung vor allem durch ein Arbeitsgebiet aus: Ermittlungen mit geheimdienstlichen Mitteln gegen potenzielle Staatsfeinde der DDR! Da Georg Fuchs ausgesagt hatte, dass Neumann vor der Wende in Dresden gewohnt hatte, wollte er hier ansetzen und die Dresdner Kollegen um Amtshilfe bitten. Er konnte nur hoffen, dass es überhaupt noch Unterlagen aus der Zeit bis 1989 gab.
Kapitel 6
Hansen wollte gerade einen Blick in die Kopie von Neumanns Personalakte werfen, die ihnen der Chef der WUSA ausgehändigt hatte, als es an der Tür klopfte. Laura Decker reckte ihren Kopf ins Zimmer.
»Was kann ich für dich tun?«
»Die Frage sollte eher lauten, was ich für dich tun kann, Karl?«, erwiderte sie keck, trat ein und nahm auf einem der beiden unbequemen Plastikstühlen vor Hansens Schreibtisch Platz. »Ich wollte dich an meinem profunden Wissen hinsichtlich des Tatortes in Herbert Neumanns Haus teilhaben lassen.«
»Na dann schieß mal los«, erwiderte er und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
»Der Täter muss Handschuhe getragen haben. Wir haben im gesamten Haus nur Fingerabdrücke vom Hausbesitzer selbst gefunden. Wir haben sowohl in der Küche als auch im Wohnzimmer Faserspuren sicherstellen können, die wir natürlich noch auswerten müssen. Am Hals, genauer gesagt an den Wundrändern der Strangulationsmale, haben wir ebenfalls Fasern sichergestellt. Ich vermute, dass es sich bei dem Seil, das verwendet wurde, um handelsübliche Massenware aus dem Baumarkt handelt. Der Abgleich mit der Datenbank läuft aber noch. Die Brandwunden, die wir auf dem Körper des Opfers gefunden haben, wurden dem Mann definitiv mit Zigaretten zugefügt. Wir haben Aschereste an der Leiche und im Bereich rund um den Stuhl sicherstellen können. Leider war der Mörder clever genug, die Zigarettenstummel einzustecken. Sonst hätten wir ein wunderbares Genprofil gehabt. Aber da wir diverse Hautschuppen an der Kleidung des Opfers gefunden haben, die vom Täter stammen könnten, bin ich zuversichtlich, dass wir da bald einen Schritt weiter sein werden.«
»Das hört sich schon einmal vielversprechend an.« »Außerdem haben wir ein paar Haare am Opfer sicherstellen können. Wir gehen davon aus, dass sie zum Täter gehören, da sie nicht zu Herbert Neumann passen. Demnach hatte unser Mörder kurzes schwarzes Haar. Aber da sie keine Wurzeln hatten, wird uns das im Moment nicht weiterbringen.«
»Habt ihr das Handy des Toten im Haus gefunden?«
»Haben wir. Ist bereits zur Auswertung im Labor. Ich habe auch schon eine Anfrage gestartet, ob ein anderes Handy am Wochenende am Tatort eingeloggt war.«
»Gibt es irgendeinen Hinweis darauf, ob bei dem Einbruch Wertgegenstände entwendet wurden? Vielleicht wurde Neumann ja gefoltert, weil er das Versteck für seinen Schmuck, sein Bargeld oder was auch immer nicht preisgeben wollte«, meinte Hansen.
»Da muss ich dich leider enttäuschen. Die Klunker seiner verstorbenen Ehefrau lagen unberührt in einem Kästchen. Es sah nicht so aus, als ob sich da jemand zu schaffen gemacht hat. Außerdem haben wir in einem Möbeltresor im Schlafzimmer ein paar Goldmünzen gefunden. Die hätte der Mörder wohl kaum dagelassen, wenn es ihm um Wertgegenstände gegangen wäre«, erklärte die KTU-Chefin.
»Nein, wohl kaum. Wie ist der Täter eigentlich in das Haus gelangt? Habt ihr Einbruchsspuren gefunden?«
»Ich kann dir mit Sicherheit sagen, dass er die Terrassentür aufgebrochen hat. Allerdings sind auch in diesem Fall unsere Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Mehr dazu dann später. Und sobald mir die Ergebnisse der Auswertungen der Fasern, Hautpartikel und Handydaten vorliegen, melde ich mich bei dir«, erklärte die KTU-Chefin und kaum, dass sie zu Ende gesprochen hatte, war sie auch schon wieder verschwunden.
Der Hauptkommissar widmete sich Neumanns Personalakte. Viel gab es da nicht zu lesen. Gerade, als er sie schließen wollte, weil keine neuen Erkenntnisse daraus zu gewinnen waren, klopfte es. Die Kollegen Beck und Marquardt hatten ihre Befragung von Neumanns Nachbarn beendet und wollten Bericht erstatten.
»Besonders ergiebig waren unsere Nachforschungen nicht gerade«, begann Marquardt, der normalerweise eher seinem Kollegen das Wort überließ. Offenbar hatte er wegen der Verspätung am Tatort heute Morgen ein schlechtes Gewissen, dachte Hansen. »Die Nachbarn meinten, dass Neumann ein komischer Kauz war. Irgendwie immer mies gelaunt. Er schlug regelmäßig Einladungen aus, und wenn er ausnahmsweise einmal auf einen Geburtstag ging, war er sehr wortkarg. Seit dem Tod seiner Frau war das alles noch schlimmer geworden. Sonja Neumann war laut übereinstimmenden Aussagen aller Nachbarn überhaupt der Grund, warum die Neumanns so etwas wie ein nachbarschaftliches Verhältnis hatten. Sie war wohl das genaue Gegenteil von ihrem Mann. Wahrscheinlich hätte seine Leiche noch einige Zeit unbemerkt im Haus gelegen, wenn Paulus ihn nicht zur Arbeit hätte abholen wollen. Jedenfalls konnten uns die Nachbarn nicht wirklich viel über den Mann erzählen. Allerdings haben wir mehrfach zu hören bekommen, dass er sich Kindern gegenüber nicht besonders einfühlsam gezeigt hatte. Das hat wohl auch immer mal wieder zu kleineren Streitigkeiten geführt, weil er zum Beispiel strikt die Einhaltung der Ruhezeit einforderte«, erklärte der Ermittler, löste das Gummi, mit dem seine schulterlangen Haare zusammengebunden waren, und band sie erneut zu seinem Zopf zusammen.
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