Just in dem Moment, als die Ermittler auf den Bürgersteig traten, hielt das Auto der beiden Kollegen Markus Beck und Jens Marquardt vor dem Haus.
»Ach nee, der Rest des Teams gibt sich auch noch die Ehre. Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben«, sagte Hansen.
»Da können wir uns bei Jens bedanken«, erwiderte Beck genervt. »Dank seiner neuesten Bekanntschaft vom Wochenende, durfte ich einmal quer durch die Innenstadt und wieder zurückfahren, um ihn abzuholen, weil seine Karre nicht angesprungen ist. Und das bei den vielen Baustellen«, erklärte der zweifache Familienvater mit vorwurfsvollem Blick in Richtung Marquardt.
»Jetzt, da ihr da seid, könnt ihr euch auch nützlich machen. Hört euch mal bei den Nachbarn in der Straße um. Vielleicht ist ihnen am Wochenende etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Außerdem möchte ich, dass ihr herausfindet, was sie über den Toten zu sagen haben. Tragt alles zusammen und erstellt mir bitte ein Profil. Und wir beide fahren dann jetzt gleich zur WUSA«, meinte Hansen an Riedmann gewandt. »Mal sehen, was Neumanns Chef und seine Kollegen uns über den Toten berichten können. Außerdem will ich so schnell wie möglich mit diesem Georg Fuchs reden.«
»Wer fährt?«, wollte Riedmann wissen.
»Hatte ich doch glatt vergessen. Wir sind ja beide mit dem Wagen da. Ich fahre. Auf dem Rückweg kannst du dann dein Auto abholen.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl«, witzelte Riedmann.
Kapitel 4
Schon wenige Minuten später erreichten die beiden das Betriebsgelände der WUSA in der Zieglerstraße im Gewerbegebiet Eilendorf Süd. Die Befragung starteten die Ermittler mit dem Chef der Firma, Markus Schmitz, in dessen karg ausgestattetem Büro. Doch der konnte leider nicht viel über seinen Mitarbeiter berichten. Neumann wäre ein korrekter Angestellter gewesen, der seinen Dienst gewissenhaft verrichtete. Privaten Kontakt hatte es zwischen dem Chef und dem Wachmann allerdings so gut wie nie gegeben. Sah man einmal davon ab, dass Neumann im vergangenen Jahr seine Kollegen allesamt zum Beerdigungskaffee anlässlich der Trauerfeier seiner Frau eingeladen hatte. Im Großen und Ganzen deckten sich Schmitz´ Aussagen mit denen von Paulus. Deshalb konnte ihnen Neumanns Chef auch keine Informationen über das soziale Umfeld des Ermordeten geben. Ähnlich verhielt es sich mit der Sekretärin, die ebenfalls nicht viel über den Wachmann erzählen konnte. Da ansonsten kein anderer Mitarbeiter der WUSA anwesend war, war die Befragung schnell beendet. Immerhin verließen die Ermittler die Firma nicht gänzlich mit leeren Händen. Schmitz´ Sekretärin hatte ihnen die Personalakte von Herbert Neumann ausgehändigt und auch Georg Fuchs´ Adresse hatten sie jetzt. Eine kurze Überprüfung ergab, dass die Anschrift in Richterich immer noch gültig war. Unverzüglich machten sich die Kommissare direkt auf den Weg zu Neumanns ehemaligem Partner.
Keine Viertelstunde, nachdem sie das Firmengelände verlassen hatten, standen Hansen und Riedmann vor dem Mietshaus in der Berensberger Straße. Sie klingelten und nach wenigen Augenblicken ertönte der elektrische Türöffner. Als Georg Fuchs seine Wohnungstüre öffnete und sich die beiden Ermittler vorstellten, war er sichtlich irritiert.
»Mordkommission?«, fragte er verdutzt nach. »Was ist denn passiert?«
»Das würden wir Ihnen lieber in der Wohnung erklären und nicht unbedingt hier auf dem Flur«, erwiderte Hansen.
»Sicher. Kommen Sie erst mal rein. Und entschuldigen Sie bitte, wie es bei mir aussieht. Ich bin gerade dabei, die Wohnung zu renovieren.«
Fuchs führte die beiden Ermittler in sein Wohnzimmer, wo absolutes Chaos herrschte. Aber irgendwie schafften es die drei, sich auf das Sofa zu quetschen, das eigentlich nur für zwei gemacht war. Hansen, der in der Mitte saß, wandte sich an Fuchs.
»Der Grund unseres Besuches ist leider wenig erfreulich. Heute Morgen wurde Ihr ehemaliger Kollege Herbert Neumann tot in seinem Haus aufgefunden. Genauer gesagt: Er wurde ermordet!«
»Ermordet?«, echote Georg Fuchs bestürzt. »Das kann doch nicht sein. Wie? Wann?«, stammelte er.
»Vermutlich ist er seit letztem Samstag tot. Zu den Einzelheiten seiner Ermordung möchten wir aus ermittlungstechnischen Gründen keine Angaben machen. Wann haben Sie Herrn Neumann zuletzt gesehen oder gesprochen?«
»Sie denken doch hoffentlich nicht, dass ich etwas mit Herberts Tod zu tun habe, Herr Kommissar?«
»Wir stehen gerade erst am Anfang unserer Ermittlungen. Das ist also zunächst einmal eine reine Routinebefragung«, erwiderte Hansen ruhig. »Wir befragen alle Menschen aus dem direkten Umfeld des Ermordeten. Und Sie wurden uns als einer der engsten Vertrauten von Herbert Neumann genannt. Also, wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Ich verstehe. Wobei das mit dem engen Vertrauten mehr als übertrieben ist. Ich habe Herbert schon länger nicht mehr gesehen, das letzte Mal auf der Beerdigung seiner Frau. Und dann haben wir vielleicht noch ein- oder zweimal telefoniert. Seit ich Frühpensionär bin, hatten wir kaum Kontakt.«
»Was für ein Mensch war er?«
Georg Fuchs überlegte nur einen kurzen Moment, bevor er antwortete. »Ganz am Anfang war Herbert echt in Ordnung. Wir haben uns gut verstanden, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Aber das war nur der erste Eindruck. Je länger wir uns kannten, desto mehr habe ich meine Meinung diesbezüglich geändert.«
»Und was heißt das konkret?«, bohrte Hansen nach.
»Um ehrlich zu sein, war er ein Arschloch. Ein riesengroßes Arschloch!«
Die Vehemenz der Antwort und der Wortwahl irritierte die beiden Ermittler, die einen kurzen Blick austauschten.
»Können Sie uns das etwas genauer erklären?«, bat der Hauptkommissar.
»Es war ein schleichender Prozess. Es ist ihm wirklich lange gelungen, seine Fassade aufrechtzuerhalten. Aber nach und nach ist die dann gebröckelt. Herbert war ein absoluter Pflichtfanatiker. Er hatte immer etwas an mir zu nörgeln, was meine Arbeitsdisziplin anging. Ich glaube, er kam nicht damit klar, dass er nach der Wende in einem demokratischen Rechtsstaat leben musste. Er hat wohl schon kurz nach dem Mauerfall seinen Job bei der Polizei drüben verloren. Irgendwas muss da vorgefallen sein. Aber bevor Sie nachfragen, ich weiß nicht, was das gewesen sein könnte. Nur eins war klar, er hatte definitiv ein Problem mit der politischen Neuorientierung. Die Uhren im Westen gingen halt ein bisschen anders als im Osten. Gegen Zucht und Ordnung ist ja nichts einzuwenden. Aber er war ein regelrechter Fanatiker, wenn Sie mich fragen.«
»Das klingt interessant. Was kann ich mir genau darunter vorstellen?«, wollte Hansen wissen.
»Gefühlt jeder zweite Satz begann damit, dass sie in der DDR ja alles ganz anders gemacht haben und dass damals ja sowieso alles viel besser war. Es gab keine Arbeitslosigkeit, die Kindererziehung war spitze, die Kriminalitätsrate war niedriger als hier im Westen. Und mit Verbrechern ginge man ja in der BRD ohnehin viel zu lasch um. Lauter solches Zeug!« Fuchs machte eine wegwerfende Handbewegung. »Irgendwann ist mir mal der Kragen geplatzt, und ich bin mit ihm aneinandergerasselt. Hab meinen Chef anschließend darum gebeten, mit einem anderen Partner auf Schicht gehen zu dürfen. Und das, obwohl ich nicht mehr lange hatte bis zur Rente. Es ging einfach nicht mehr«, erklärte Fuchs fast schon entschuldigend.
»Wie haben Sie diesen Wunsch begründet?« Diesmal hakte Riedmann nach.
»Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Partner hin und wieder getauscht werden. Außerdem habe ich ihm nicht erzählt, was der Grund für meinen Wunsch war. Solange die Arbeit gut erledigt wird, stellt der Chef keine Fragen!«
»Und so wurde Kai Paulus der neue Partner von Herbert Neumann. Komisch nur, dass weder Paulus noch Ihr ehemaliger Chef uns etwas von diesen Besonderheiten Ihres Kollegen erzählt haben«, wunderte sich Hansen.
Читать дальше