„Ganz sicher nicht!“, fauche ich wütend, lasse meine Hand sinken, die nun neben mir hängt, als würde sie nicht zu mir gehören. Ich wünschte zumindest, sie würde tatsächlich nicht zu mir gehören.
Glücklicherweise hat Damon nicht gemerkt, dass ich ihn mit meiner idiotischen Winkerei meinte. Wie auch, er weiß vermutlich nicht mal, dass ich existiere. Aber Nell weiß es und sie hat sehr wohl mitbekommen, was ich getan habe. Sie wirft mir einen spöttischen Blick zu, dann rutscht sie zu Damon in die Bank und flüstert ihm etwas ins Ohr, dabei ruckt sie mit dem Kinn immer wieder in meine Richtung. Mir wird heiß vor Scham, deswegen drehe ich mich schnell zur Auslage.
„Mit einem Sitzplatz sieht es schlecht aus. Wir könnten uns aber für eine Kugel anstellen“, schlägt Lewis arglos vor, der die Sache mit dem Winken zum Glück nicht vertieft.
Ganz sicher werde ich mich nicht in diese endlose Schlange stellen, um den Blicken der Basketball-Asse der Gosforth Academy ausgesetzt zu bleiben. Mittlerweile sehe ich aus dem Augenwinkel, dass Damon mich anstarrt und dabei bis über beide Ohren grinst.
„Meine Sorte ist heute nicht dabei“, knurre ich deswegen nur unfreundlich, drehe auf dem Absatz um und verlasse das Creams so schnell wie möglich.
Ich wache mit einem schalen Geschmack im Mund auf und fühle mich nicht annähernd ausgeschlafen, wie so oft. Eigentlich meistens, denn abends steigt meine innere Unruhe kometenhaft an und lässt mich oft nicht vor zwei Uhr nachts müde werden und selbst wenn ich dann die Augen nicht mehr offenhalten kann, wecken mich nächtliche Panikattacken alle paar Stunden.
Die Sonne schickt ihre Strahlen durch das Fenster meines Schlafzimmers, wie um mir ein schlechtes Gewissen zu machen, dass ich immer noch im Bett liege. Ziemlich zerschlagen krieche ich unter der leichten Sommerdecke hervor, tapse auf bloßen Füßen über die Dielen zum Badezimmer und blicke in mein von der gestrigen Schminke verschmiertes Gesicht. Sofort sind die Erinnerungen an den Abend im Dalriada wieder präsent. Unliebsam aufdringlich, begleitet von einem Knoten im Magen.
„Oh Gott, ich habe mich so blamiert.“ Ich stöhne leise, während der Gedanke laut von meinen Lippen kommt. Meine Hand fährt durch wirre Locken, die mir in die Stirn fallen. Ausgeschlossen, dass ich je wieder ins Dalriada gehen kann, wo mir jemand begegnen könnte, der meinen peinlichen Auftritt mitbekommen hat – allen voran der attraktive Barkeeper.
Zum Glück reißt mich das aufdringliche Klingeln meines Telefons aus meinem Gedankenkarussell, das beginnt, sich unaufhörlich zu drehen, sodass mir schon ganz schwindelig ist. Ich stolpere die Treppe hinunter und fliege förmlich den letzten Absatz hinunter, auf das Kästchen zu, wo das Telefon ausnahmsweise mal auf seiner Station liegt. Unsanft lande ich mit der Hüfte an der Ecke des Möbelstückes und ich schreie leise auf, als ich den Anruf entgegennehme.
„Was ist los?“ Ich höre Izzys alarmierte Stimme, als sie meinen gedämpften Schmerzensschrei vernimmt.
„Nichts. Ich bin mal wieder über meine eigenen Füße gestolpert“, murre ich, dabei reibe ich über die leidgeplagte Hüfte, die schon so manches Eck mitgenommen hat. Das gibt garantiert einen blauen Fleck.
„Das ist ja nicht das erste Mal.“ Izzys Grinsen kann ich förmlich hören.
„Bist du gestern noch gut heimgekommen?“, frage ich, um vom Thema abzulenken. Allerdings bekomme ich sofort ein schlechtes Gewissen, weil ich Izzy gestern im Pub alleine gelassen habe.
„Ja, bin ich. Sonst könnte ich wohl kaum heute frisch und munter bei dir anrufen.“ Sie sagt es fröhlich, aber ein vorwurfsvoller Unterton ist deutlich merkbar.
Früher ist mir Izzy bei solchen Aktionen hinterhergelaufen, weil sie Angst um mich hatte. Das macht sie schon seit ein paar Monaten nicht mehr. Ich knabbere verlegen an meiner Unterlippe, weil ich mir plötzlich ziemlich dumm vorkomme.
„Es tut mir leid, dass ich so plötzlich abgehauen bin.“
„Das ist ja nicht das erste Mal.“
„Hmpf.“ Mehr fällt mir dazu nicht ein.
„Lauren, es wird immer schlimmer mit deiner Angst. Merkst du das denn gar nicht?“
„Es ist alles in bester Ordnung“, fauche ich zurück, denn obwohl ich weiß, dass sie Recht hat, fühle ich mich angegriffen.
„In bester Ordnung? Du bist schon aus Supermärkten weggelaufen, wenn dir die Schlange an der Kasse zu lang war. Ein paar Mal hast du auch schon fluchtartig ein Café oder Restaurant verlassen, wenn es dir zu voll geworden ist oder der Kellner schlicht zu lange gebraucht hat. Aber so schnell wie gestern warst du noch nie irgendwo raus. Wir waren ja kaum im Piratenpub angekommen, da bist du schon davongelaufen, als wäre der Teufel hinter dir her. Was um alles in der Welt wolltest du eigentlich am Tresen? Dein Glas war doch noch fast voll.“
Genervt stoße ich die Luft aus. Izzys Frage ist durchaus berechtigt. Aber so genau kann ich sie nicht beantworten.
„Mir tat der arme Liam einfach leid.“
„Wer?“
„Liam.“ Mir fällt ein, dass sie nicht wissen kann, wie der Typ heißt, deswegen ergänze ich: „Der Barkeeper mit den roten Haaren.“
„Oh, das Leckerchen, das die ganze Junggesellinnenbande mit Haut und Haaren auffressen wollte.“ Sie kichert.
„Genau der.“ Ich bin froh, dass man durch das Telefon nicht sehen kann, wie mir die Röte ins Gesicht schießt.
„Warum wolltest du ihn denn retten? Gefällt er dir vielleicht?“, fragt Izzy hoffnungsvoll. Es ist ewig her, dass ich mich für einen Mann interessiert habe. Vor lauter Angst habe ich für solch profane Dinge keinen Kopf mehr, weiß aber, dass Izzy förmlich darauf brennt, dass ich jemanden kennenlerne. Sie vertritt die Theorie, dass eine richtig romantische Affäre meine Ängste vertreiben könnte – warum auch immer.
„Spinnst du?“ Ich schüttele energisch den Kopf, dann tapere ich mit dem Telefon in die Küche, um mit einer Hand Teewasser aufzusetzen.
„Also so abwegig ist das ja nun nicht. Er ist nicht unattraktiv und verdammt gut gebaut.“
„Ich glaube, ich habe genug Baustellen. Einen Mann brauche ich im Moment garantiert nicht.“ Und der Gedanke daran macht mir, ehrlich gesagt, auch ganz schön Angst. Ich komme so schon nicht mit meinen Gefühlen zurecht. Noch schlimmer wäre es, wenn zu meiner tagtäglichen Aufregung auch noch die übliche Nervosität des Verliebtseins hinzukommen würde – ganz egal, welche Auffassung Izzy hat.
„Apropos Mann. Der andere Barkeeper – der, vor dem du weggelaufen bist – hat sich bei mir erkundigt, ob mit dir alles in Ordnung ist.“
„Oh nein!“ Mir rutscht fast die Tasse aus der Hand, die ich gerade aus dem Schrank hole. Jetzt ist ganz klar, dass ich leider nie wieder ins Dalriada gehen kann. Was ich ehrlich bedauere. Dass man draußen sitzen kann, findet meine Angst nämlich ziemlich gut. „Was hast du ihm gesagt?“
„Dass du total irre bist?“, meint Izzy trocken. „Quatsch! Ich habe ihm gesagt, dass du dich die ganze Zeit schon nicht wohlgefühlt hast und dir wahrscheinlich übel war. Ich bin dann auch gegangen. Du verzeihst mir, dass ich nicht mehr bei dir vorbeigeschaut habe?“
„Schon gut“, murmele ich beschämt.
„Ich weiß ja, dass du am Liebsten deine Ruhe haben willst, wenn die Panik abebbt.“
Das stimmt. Nach einer schlimmen Angstattacke – und nichts anderes ist es, das weiß ich, auch wenn ich mir gerne einrede, dass ich körperlich krank bin – bin ich meist ziemlich erschöpft. So auch gestern. Ich bin ins Bett gekrochen ohne mich abzuschminken und trage immer noch das rosafarbene Top. Lediglich Schuhe und Hose habe ich mir noch abgestreift, ehe ich todmüde umgefallen bin, so ausgelaugt, als hätte ich einen Marathon hinter mir.
Читать дальше