1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 „Und das haben wir ja dann auch getan, Da.“ Wir lassen uns beide auf die abgewohnte Couch sinken, die ich bereits kenne, seit ich denken kann. In nostalgische Gedanken versunken ignorieren wir völlig, dass sie unter unserem Gewicht ächzt. „Wir sind jeden Sommer hergekommen und Tante Mhairi hat sich jedes Mal gefreut, als hätten wir eine Weltreise auf uns genommen. Dabei sind wir nur die knapp 80 Meilen von Dumfries nach Edinburgh hochgefahren.“
„Deine Großtante war eine alte Frau, die niemals irgendwohin gereist ist. Sie lebte in diesem Haus seit ihrer Kindheit und ist, soweit ich weiß, niemals herumgekommen.“
Ich schlucke unwillkürlich, erinnert mich das irgendwie an mich. Auch ich verschwende in letzter Zeit keinen Gedanken mehr ans Reisen und die zweistündige Fahrt nach Dumfries wäre für mich eine Qual, während der ich vermutlich von einer Panikattacke in die nächste fliegen würde.
„Wollte Tante Mhairi nie weg oder konnte sie nicht?“, frage ich zögerlich.
Mein Vater legt den Kopf schief und sieht mich merkwürdig an, das Gesicht ein wenig sorgenvoll. In diesem Moment poltert Ma mit einem Tablett beladen ins Wohnzimmer, sodass mein Vater nicht mehr dazu kommt zu antworten.
„Kann mir das mal jemand abnehmen?“, fragt sie schwer schnaufend, als würde sie gerade Gewichte stemmen.
Sofort springe ich auf. Das Tablett ist, wie erwartet, nicht sonderlich schwer. Meine Mutter übertreibt gerne ein wenig, um immer die volle Aufmerksamkeit zu bekommen. Das ist vermutlich normal, wenn man mit sechs Geschwistern aufgewachsen ist. Da und ich finden ihr Verhalten manchmal sehr befremdlich, schließlich können wir das als Einzelkinder nicht nachvollziehen.
Als schließlich alle mit einer Tasse Tee dasitzen, versuche ich, meinen Eltern ins Gesicht zu sehen, doch sie starren beide wie gebannt in das dampfende Gebräu, als wollten sie mir ausweichen.
„Hast du heute gar keinen Nachmittagsunterricht?“, fragt Ma schließlich mäßig interessiert.
„Nein.“
Sonst wäre ich ja kaum hier, würde ich gerne ergänzen, beiße mir aber auf die Zunge .
„Schön.“ Sie nippt an ihrem Tee, verzieht das Gesicht, weil er noch zu heiß ist und stellt die Tasse auf dem Tisch ab. Dann fährt sie sich mit beiden Händen über das blondgefärbte Haar, das wie ein Helm an ihrem Kopf anliegt und dreht die Spitzen ein, als würden sie es jemals wagen, sich nach außen zu drehen. Es ist eine Angewohnheit von ihr, ständig ihr Äußeres zu kontrollieren, so wie sie alles um sich herum im Griff haben will. Dabei sieht sie immer gut aus; ein wenig wie Olivia Newton-John finde ich, allerdings ohne Botox und Schönheits-OPs.
„Was führt euch denn an einem Montagnachmittag zu mir?“, wage ich einen Vorstoß.
„Als wenn wir, deine Eltern, dich nicht einfach mal besuchen dürften.“ Beleidigt verzieht Ma das Gesicht.
Da starrt zu Boden und studiert eingehend das Muster des Perserteppichs, den er bestimmt schon tausend Mal gesehen hat.
„Was sagst du dazu, Allan?“, ereifert sich meine Mutter, ihre sonst so blassen Wangen färben sich sofort scharlachrot. „Da beschließt man spontan eine zweistündige Autofahrt auf sich zu nehmen, um sein einziges Kind zu besuchen, und dann wird man so empfangen.“ Theatralisch breitet sie die Hände aus, ihre weiten Ärmel flattern, sodass sie tatsächlich große Ähnlichkeit mit einer Fledermaus hat.
Der Knoten in meinem Magen wird immer größer, drückt nun sogar gegen meine Rippen und nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich stelle meine Tasse ein wenig zu heftig auf dem Couchtisch ab, damit ich die Hände frei habe. Schützend lege ich sie auf den schmerzenden Oberbauch.
„Jean, sie hat doch nur gefragt…“ Mein Vater blickt gequält auf.
„Ich weiß schon, was sie gefragt hat. Warum wir einfach hier auftauchen. Aber weißt du was, junge Dame…?“ Sie erhebt den Zeigefinger.
Ich hasse es, wenn sie ‚junge Dame‘ zu mir sagt, als wäre ich noch ein kleines Kind; als wüsste sie nicht, dass ich dieses Jahr bereits fünfunddreißig Jahre werde.
„Nun lass sie doch, Jean.“ Beschwichtigend legt Da eine Hand auf ihren Arm.
Selbst Sherlock eilt mir zu Hilfe und schmeißt sich an Mas Bein, den tieftraurigen Blick zu ihr erhoben. Vermutlich will er einfach nur einen Cookie erbetteln, aber irgendwie hat seine Aktion eine positive Wirkung, denn Ma seufzt tief und lässt die Hand sinken, um den Hund unterm Kinn zu kraulen. Dabei kann sie es aber nicht lassen, ihm zuzugurren, dass er der einzige in der Familie ist, der nett zu ihr ist. Ich presse die Lippen feste zusammen, damit meinem Mund nicht irgendetwas Boshaftes entfleucht.
Das Schweigen, das sich ausbreitet, hat etwas Unangenehmes. Es gibt zwei Kategorien von Schweigen. Mit Izzy kann ich schweigen und es fühlt sich kein bisschen komisch an, wir genießen es manchmal, nebeneinander zu sitzen und einfach nichts zu sagen. Ganz anders ist das mit meinen Eltern. Bei ihnen fühlt sich Schweigen immer schlecht an, wie eine stumme Anklage. Ma nippt verdrießlich an ihrem Earl Grey, Da betrachtet begehrlich die Cookies, traut sich aber nicht, davon zu nehmen, aus Angst, dass seine Cholesterin- und Blutzuckerwerte darunter leiden könnten, die bereits seit 20 Jahren von schwankender Qualität sind. Sein Arzt hat ihm zwar versichert, dass das kein Grund zur Besorgnis sei, aber Da glaubt nicht wirklich daran. Was ich sehr gut nachvollziehen kann.
„Es ist schön, dass ihr mich besucht“, bringe ich schließlich vor, auch wenn ich es nicht so meine. Die drückende Stimmung, die mit ihrer Ankunft hier eingezogen ist, muss ich danach irgendwie wieder loswerden. Izzy wird sicher irgendeinen Zauber kennen, mit dem man die Atmosphäre reinigt, sie glaubt an kosmische Schwingungen, Karma und ähnliches. Als wir noch zusammen in diesem Haus gewohnt haben, hat sie nach Partys immer Unmengen an Räucherstäbchen abgebrannt, um das Haus wieder zu ‚entgiften‘. Vielleicht habe ich ja noch ein paar von diesen Dingern von ihren früheren Duftorgien.
„Tatsächlich?“, fragt Ma spitz und dreht ihre Teetasse versonnen in den Händen hin und her. Sie fixiert irgendeinen Punkt im Raum, um mich nicht ansehen zu müssen. „Liz hat uns gestern besucht. Sie freut sich, wenn sie uns sieht.“
„Ach…“ Mehr fällt mir dazu nicht ein.
„Du erinnerst dich an deine Cousine Liz?“
„Natürlich erinnere ich mich, Ma. Liz war früher oft bei uns auf Besuch, weil du immer wolltest, dass wir uns anfreunden.“
„Was du nie getan hast.“ Mas Blick schwenkt zu mir, aber nur, um mich anklagend anzusehen.
„Sie ist fünf Jahre älter als ich, wir hatten nicht besonders viel gemeinsam.“
Ich erinnere mich an Liz sehr gut. Sie sieht aus wie eine Kopie meiner Ma und ich kam mir neben ihr immer ziemlich unscheinbar vor, was zu einem guten Verhältnis zwischen uns sicherlich nicht beigetragen hat.
„Ich mochte Liz immer ausgesprochen gerne“, betont Ma unnötigerweise. Das weiß ich schon. Liz war die Tochter, die sie gerne gehabt hätte. Stattdessen hat sie mich.
„Wie geht es ihr?“, frage ich, denn ich merke, wie sich die Erinnerungen daran, wie Ma lieber mit Liz als mit mir ins Einkaufszentrum ging, unliebsam ins Gedächtnis drängen und das möchte ich auf keinen Fall. „Lebt sie jetzt nicht in England?“
„Bereits seit etlichen Jahren.“ Wieder klingt Mas Stimme anklagend; als müsse ich das doch wissen. Aber ehrlich gesagt, bin ich froh, dass wir uns aus den Augen verloren haben, als ich nach der Schule zum Studium nach Edinburgh ging. „Sie ist dort mit einem Zahnarzt verheiratet.“
„Stimmt. Bert soundso“, rate ich, während ich mein Gehirn nach Infos durchforste.
„Brian“, korrigiert Da schnell, bevor meine Mutter wieder beleidigt gucken kann. „Dr. Brian Bothwell.“
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