1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 Sue war seiner Ausführung aufmerksam gefolgt. „Das war wirklich sehr aufschlussreich für mich. Dass deine Religion so viel Trost spenden kann und auch Hoffnung bringt, war mir bisher nicht bewusst. Und tatsächlich sehe auch ich eine enge Verbindung zwischen unserer Meditation und eurem intensiven Beten zu Gott. Ich danke dir aufrichtig für diese Erkenntnis.“
Pierre wirkte etwas verlegen.
Ben pflichtete Sue bei. „Auch ich kenne aus meiner Kindheit ebenfalls dieses Gefühl der Geborgenheit, das die Nähe zu Gott bietet, und habe versucht, mir dieses Gefühl zu erhalten. Mich hat vor allem beeindruckt, mit welcher Offenheit du dein religiöses Empfinden geschildert hast. Wir haben immer bedauert, dass du so wenig an unseren Zusammenkünften teilgenommen hast, es wäre schön, wenn du das ändern würdest.“
Pierre zögerte etwas. „Ich muss zugeben, dass ich damit Probleme habe. Ihr seid ein Kreis von Akademikern, ich habe bei euch immer ein Gefühl der Minderwertigkeit.“
Alle waren überrascht über dieses offene Statement. Keiner hätte erwartet, dass Pierre zu so einem Geständnis in der Lage war.
Ben fasste sich als Erster. „Aber das ist vollkommener Quatsch. Ich möchte dir versichern, dass du für mich ein vollwertiger Kollege bist, wir kommen nur von verschiedenen Seiten. Ich habe immer Mitarbeiter bewundert, die Maschinen, die wir entworfen haben, dann auch wirklich realisierten. Ich sehe da überhaupt keinen Rangunterschied.“
Jörg pflichtete ihm bei. „Ich habe gerade eine Baustelle betreut und kann Ben nur zustimmen. Ich hatte ein Team von hervorragenden Monteuren, und ich sehe sie als vollkommen gleichwertig an. Ohne ihren Einsatz wäre die Realisierung unserer Ideen nicht möglich, ich habe mich deshalb immer um ein gutes Verhältnis zu ihnen bemüht, und das wurde auch von ihnen gern angenommen, wir waren sozusagen eine Schicksalsgemeinschaft. Auch ich würde es sehr begrüßen, wenn du dich uns ohne solche überflüssigen Vorbehalte anschließen würdest.“
Pierre wirkte immer verlegener. „Ich danke euch, ich werde versuchen, ab jetzt meine Einstellung zu ändern. Wenn es mir nicht immer gelingen sollte, bitte ich schon jetzt um eure Nachsicht.“
Alle waren erleichtert. Ben nahm den Faden wieder auf. „Ich für meinen Teil bete jeden Abend, dass das Ganze für uns alle gut ausgeht.“
Und Jörg ergänzte: „Wie sagt doch der wahre Gläubige? Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Ich werde heute Nacht die vierte Himmelsrichtung erkunden, danach wissen wir genügend, um über die weiteren Schritte zu entscheiden.“
Es war ein guter Wochenanfang. Diplomingenieur Robert Sommer lehnte sich zurück und las das Anschreiben noch einmal. Es war eine Anfrage für die Projektierung und Installation eines Windkanals in Malaysia. Was für ein glücklicher Zufall. Er überflog die Spezifikation. Der Kanal war gedacht für die aerodynamische Entwicklung von Personenkraftwagen und Lastkraftwagen, offenbar hatte das aufstrebende Land beschlossen, in dieser Richtung zu expandieren. Die Größenordnung und Ausstattung entsprach etwa der des Kanals in Bandung, dessen Abnahme gerade erfolgreich abgeschlossen war. Der Abschlussbericht war vor einer Woche eingegangen, alle Restmängel waren behoben und das Ergebnis vom Kunden bestätigt. Die Zahlung der Restsumme von fünf Millionen Euro war damit gesichert. Alles in allem war die Abwicklung dieses Auftrages erfolgreich, auch wenn der Gewinn wesentlich kleiner war, als ursprünglich kalkuliert. Er blätterte die Anfrage noch einmal durch und strahlte.
„Hey, Bob, what’s the matter with you, im Lotto gewonnen?““ Der Fragende war sein Chefkonstrukteur Heinz Schäfer, er hatte zwei Jahre in Boston bei der amerikanischen Schwesterfirma Trebel gearbeitet und das prägte immer noch seine Sprüche.
Sommer antwortete: „Wir haben eine Anfrage, für genau das richtige Objekt, für genau den richtigen Zeitpunkt und für genau den richtigen Ort.“
Schäfer trat neugierig näher und blätterte die Spezifikation durch. „Wahnsinn, das liegt ja nur einen Steinwurf von unserem letzten Projekt entfernt, und die Größenordnung scheint mir recht ähnlich.“
Sommer bestätigte: „Stimmt, der Unterschied besteht im Wesentlichen in der Messkabine, sie wollen eine eingebaute Drehscheibe haben, um die Seitenwindempfindlichkeit zu untersuchen, und sie wollen im Boden die Integration eines Rollenprüfstandes, um die Motorleistung unter realistischen Bedingungen zu messen.“
Sein Chefkonstrukteur nickte. „Kein Problem, das ist konventionelle Ingenieurarbeit, den Entwurf machen wir in einer Woche. Und die Genauigkeitsanforderungen sind geringer als bei dem indonesischen Kanal.“
Schäfer bemerkte: „Mr. Noproblem wird begeistert sein!“
Den Namen verdankte Jörg der Bedienmannschaft des Kanals in Indonesien, er pflegte auf Fragen mit: „No problem, you have only to …“ zu antworten.
Sommer bemerkte zufrieden: „Klar, er ist noch vor Ort und kann den potentiellen Kunden kontaktieren. Wo ist er jetzt eigentlich?“
Schäfer dachte nach. „Er hatte sich vor zwei Wochen abgemeldet, um auf Bali in einem Tempel zu meditieren.“
Sommer war ungeduldig. „Können wir ihn erreichen?“
Schäfer nickte. „Es gibt keinen Handykontakt, aber wir könnten unsern Vertreter vor Ort hinschicken, der hat sicher nichts gegen einen kleinen Ausflug.“
Am nächsten Tag war Robert Sommer beunruhigt. Die E-Mail von Nauroth ließ keinen Zweifel zu: Sein Chef Jörg Breithaupt war nie am Tempel angekommen. Und es gab keine Spur, wo er sich aufhalten könnte. Sommer überlegte, Jörgs Sohn anzurufen, aber er zögerte. Dieser befand sich bei seiner Mutter in Kanada, der geschiedenen Frau von Jörg. Er wollte ihn einerseits nicht beunruhigen, andererseits konnte dieser ihm vielleicht weiterhelfen. Robert entschloss sich schließlich zu einer unverfänglichen E-Mail an den Sohn, ob sein Vater vielleicht bei ihm war. Auch seine Antwort war negativ, mit dem Hinweis, mal auf Bali nachzufragen. Robert Sommer sah jetzt die Zeit gekommen, den Vorstand zu informieren. Das für die Entwicklung zuständige Vorstandsmitglied war Dr. Ing. Jakoby, der Mann, dem sie den Auftrag in Indonesien verdankten. Er war in früheren Jahren ein Studienfreund von Dr. Habibi gewesen, dem jetzigen Staatsminister für Forschung und Entwicklung. Habibi hatte bei Fokke Wulf promoviert und anschließend in seinem Land schnell Karriere gemacht und das Forschungszentrum Puspiptek gegründet, auf einem riesigen Gelände in Serpong. Er hatte die Vision, der erste Flugzeughersteller in seiner Region zu werden und deshalb den Windkanal in Auftrag gegeben, aber auf dem selben Gelände wurden außerdem ein Forschungsreaktor von Siemens und andere spektakuläre Einrichtungen installiert.
Jakoby teilte die Besorgnis von Sommer, er lehnte sich zurück und überlegte.
„Wir haben also drei Probleme. Das dringendste ist zweifelsohne das Verschwinden von Herrn Breithaupt. Was schlagen Sie vor?“
Sommer sagte nachdenklich: „Auf alle Fälle soll Nauroth vor Ort eine Vermisstenanzeige aufgeben, ich habe aber keine Ahnung, wie dort sowas funktioniert. Ich habe auch kein großes Vertrauen in die dortigen Behörden.“
Jacoby gab Hilfestellung: „Ich werde Habibi um Hilfe bitten, er soll veranlassen, dass die Passagierlisten aller Flüge der letzten zwei Wochen überprüft werden, vielleicht geht sowas auch für Schiffspassagen. Falls eine Meldepflicht bei den Hotels existiert, wäre das vielleicht eine weitere Möglichkeit.“
Sommer ergänzte: „Wir sollten in allen größeren Zeitungen ein Foto veröffentlichen und eine Belohnung ausschreiben.“
Jakoby stimmte zu: „Sehr gut, ich denke, zehntausend Euro wären angemessen, wenn sie zum Auffinden von Breithaupt führen. Die beiden anderen Probleme sind keine. Wir brauchen für die Zeit von Breithaupts Abwesenheit einen kommissarischen Leiter für die Abteilung, das übernehmen Sie. Und wir müssen uns um die neue Anfrage kümmern. Jemand muss vor Ort recherchieren, das übliche, wo ist der Standort, wie ist er erreichbar, welche Unternehmen kommen als Subunternehmer in Frage und so weiter. Na, Sie wissen schon.“ Sommer wusste aber bereits, wer das machen würde.
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