Schäfer nickte. „Ich habe drei mögliche Lösungen ausgearbeitet, sollten alle funktionieren.“
Nauroth hatte eine Bitte. „Ich bin übrigens Peter, wir sollten unsere Kommunikation erleichtern.“
Sie gingen das Projekt noch einmal durch. Das Problem war typisch für die kleineren Schwierigkeiten, mit denen seine Abteilung häufig konfrontiert wurde: Die im Lager gestapelten Rohre wurden über ein Rollensystem zur Verladestation geführt. Am Ende war eine Waage zur Erfassung des Verladegewichts angebracht. Gewünscht war ein System, das auf dem Weg zur Verladestation die Länge automatisch erkennen und protokollieren konnte. Im Prinzip eine leichte Aufgabe, die Schwierigkeit lag in der geforderten Genauigkeit von zwei Millimeter.
Auf der Fahrt zur Hafenanlage erhielt Nauroth einen Anruf aus Serpong. Es war Herr Bam, der Betriebsleiter des Windkanals. Was er Nauroth erzählte, war so erschreckend, dass dieser den Wagen stoppte.
Schäfer fragte erschrocken: „Was ist los?“
Die Antwort von Nauroth war beunruhigend. „Es gibt in Serpong einen Entführungsfall. Sie vermissen seit gestern einen deutschen Ingenieur, der für Siemens arbeitet.“ „Siehst du einen Zusammenhang mit Breithaupt?“
„Schwer zu sagen, aber es scheint mir doch sehr wahrscheinlich.“
Die Fahrt zu Mannesmann erfolgte in gedrückter Stimmung. Der Empfang war herzlich, Nauroth war dort gut bekannt. Schäfer präsentierte seine Vorschläge.
„Die erste Möglichkeit ist typisch mechanisch, wir installieren und integrieren ein Reibrad in die Rollenbahn und messen den Umlenkwinkel, während sich das Rohr über das Rad bewegt.“ Diese Lösung scheiterte an der geforderten Genauigkeit von zwei Millimetern.
Schäfer präsentierte den nächsten Vorschlag. „Die zweite Lösung ist rein elektronisch, wir platzieren unter der Rollenbahn eine sechs Meter lange Fotodioden-Kette mit einem Diodenabstand von einem Millimeter, das ist dann auch gleichzeitig die garantierte Genauigkeit. Die Kette wird von oben beleuchtet und die Länge ergibt sich aus der Zahl der Dunkelsignale. Dies wäre meine bevorzugte Lösung, da der Genauigkeitsnachweis garantiert ist.“
Der Betriebsleiter machte seine Hoffnung zunichte. „Das ist im Prinzip sicher richtig, allerdings scheitert diese Lösung an den Schmutzbedingungen in unseren Lagern, wir können nicht alle Stunden die Dioden saubermachen.“
Schäfer war enttäuscht, nickte aber. „Das verstehe ich. Kommen wir damit zu einer typisch mechatronischen Lösung. Dazu komme ich auf die ohnehin vorhandene Waage an der Verladestation zurück. Wenn das Rohr in einer definierten Position gestoppt wird, können wir die Länge aus dem Verhältnis der Kraftsensoren der linken zur rechten Seite berechnen. Diese Lösung erfordert den minimalsten Aufwand, wir müssen nur eine Formel in den Bilanzierungscomputer eingeben und das Problem ist gelöst. Allerdings müssen die Kraftsensoren gegen genauere ausgetauscht werden und die Signalverarbeitung muss verbessert werden, dies ist der elektronische Anteil. Letztendlich müssen wir noch einen mechanischen Stopp einfügen, der durch einen Endschalter kontrolliert wird. Es handelt sich also um eine typisch mechatronische Lösung.“
Der Einkäufer von Mannesmann war hochzufrieden.
„Dann bitten wir um die Ausarbeitung eines Preisangebotes mit möglichst kurzer Lieferzeit.“
Sie wurden zum Essen in die Werkskantine eingeladen. Der Einkäufer war neugierig.
„Sie wirken irgendwie bedrückt, gibt es dafür irgendeinen Grund?“
Nauroth berichtete über das Verschwinden der zwei deutschen Mitarbeiter aus Serpong.
„Und es gibt keine Lösegeldforderungen?“
Nauroth schüttelte den Kopf. „Nein, nichts, kein Lebenszeichen und auch keinen Hinweis, warum sie entführt worden sind.“
Ein Mannesmann-Mitarbeiter zog aus seiner Tasche eine Zeitung heraus. Es handelte sich um das Singapur News Journal, auf der ersten Seite war das Foto einer jungen attraktiven Asiatin abgebildet. Laut dem beigefügten Kommentar handelte es sich um die Tochter eines Unternehmers, der sich auf hochentwickelte Fernsteuersysteme spezialisiert hatte. Seine Tochter war die Leiterin der Entwicklungsabteilung. Sie war vor fünf Wochen spurlos verschwunden. Die erwartete Lösegeldforderung blieb bisher aus und ihr Vater machte sich große Sorgen. Er hatte eine Belohnung von hunderttausend Dollar ausgesetzt.
Um neun Uhr morgens klingelte das Telefon im Vorstandssekretariat.
„Hier spricht die Sekretärin von Dr. Habibi in Jakarta, er möchte dringend Dr. Jakobi sprechen.“
Jakobi war sofort am Telefon. „Guten Morgen, Hal, wie geht es bei euch, ihr habt sicher besseres Wetter als wir.“
„Wie man es nimmt, gestern hatten wir einen mittleren Taifun. Mein Anruf hat allerdings einen ernsten Hintergrund.“
Jakobi fragte begierig; „Etwas Neues von Breithaupt?“
„Leider nein, es ist noch schlimmer geworden. Seit gestern sind wir sicher, dass ein weiterer Kollege aus Deutschland entführt worden ist.“
„Was macht euch so sicher, dass es sich in diesem Fall wirklich um eine Entführung handelt?“
„Die Umstände, der Firmenwagen sprang nicht an und der Kollege hatte sich ein Taxi bestellt. Genau wie bei Breithaupt. Er kam nicht im Hotel an, und es gibt auch keinen Unfallbericht von der Strecke.“
„Gibt es eine Lösegeldforderung?“
„Bis jetzt noch nicht, und ehrlich gesagt, erwarten wir auch keine, die Ähnlichkeit mit dem Verschwinden Breithaupts ist offensichtlich.“
„Um wen handelt es sich diesmal?“
„Um einen Serviceingenieur von Siemens. Er ist ein bekannter Spezialist für die Kalibrierung von Kernreaktoren. Unsere Wissenschaftler am Kernreaktor wollen das Spektrum ihrer Versuche erweitern, dies erfordert eine Neueinstellung der Parameter, die die Reaktionsgeschwindigkeit bestimmen.“
„Was ist das für ein Reaktor, wie groß ist seine Leistung?“
„Es handelt sich nur um einen Forschungsreaktor, die Leistung geht bis maximal zwei Kilowatt. Der Aufbau des Kerns ist relativ einfach, zwei Kernhälften werden kontrolliert aufeinander zubewegt, bis sich die gewünschte Leistung einstellt. Die kritische Masse, bei der die Kettenreaktion beginnt, lässt sich so sicher einstellen. Der Bewegungsablauf wird durch voneinander unabhängige Sensorsysteme kontrolliert und im Störfall sofort zurückgefahren. Wir können die Geschwindigkeit sogar so einstellen, dass die Funktion einer Atombombe simuliert wird, natürlich ohne die darauffolgende unkontrollierte Kettereaktion.“
„Habt ihr entsprechende Versuchsergebnisse bereits veröffentlicht?“
„Sicher, das ist ja der Hauptzweck dieser Forschung. Der Siemensmitarbeiter hat den Mechanismus mit Hilfe eines Servicetechnikers komplett zerlegt, es müssen einige Teile neu dimensioniert und das Ganze wieder zusammengesetzt und kalibriert werden.“
„Was habt ihr jetzt vor?“
„Laut Siemens ist ein qualifizierter Ingenieur bereits unterwegs. Wir werden ihn sicherheitshalber auf dem Forschungsgelände im Gästehaus unterbringen. Ich überlege, ob zwischen unseren beiden Entführten Gemeinsamkeiten bestehen. Beide sind anerkannte und erfolgreiche Ingenieure, beide haben promoviert, und beide sind etwa dreißig-vierzig Jahre alt. Ihre fachlichen Tätigkeiten und Erfahrungen sind aber total verschieden.“ Jakobi dachte kurz nach.
„Lass mich das nochmal checken. Ich habe übrigens heute Morgen schon einen Anruf von einem meiner Ingenieure erhalten. Er ist auf Erkundungstour für einen geplanten Windkanal in Malaysia. Er hat mich über einen Zeitungsbericht informiert, in dem von der fünf Wochen zurückliegenden Entführung der Leiterin einer Entwicklungsabteilung die Sprache ist, das Unternehmen entwickelt hochspezialisierte Fernsteueranlagen.“
„Also gibt es bis auf die hochwertige Ingenieurtätigkeit auch hier keine Übereinstimmung.“
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