„Aber was hat das zu bedeuten?“, fragte Kes .
„Das kann ich auch nicht sagen, im ersten Moment hatte ich geglaubt, auf das Versteck unserer Bewacher gestoßen zu sein, aber das können wir nach dem weiteren Ablauf der Ereignisse mit Sicherheit ausschließen.“
Pierre griff in die Diskussion ein: „Also gibt es noch eine zweite Gruppe, denen es genauso geht wie uns.“
Jörg stimmte ihm zu. „Davon gehe ich auch aus. Es wäre ungemein wichtig, mit ihnen in Kontakt zu treten.“
Ben stand auf. „Darüber reden wir später, jetzt werde ich mich erst mal um deine Verletzungen kümmern, Sue wird mir bestimmt gern assistieren.“
Es gab einen Medizinschrank, der erstaunlich gut ausgestattet war: Mullbinden, Pflaster, Salben, Durchfallmittel und sogar Tabletten zur Malariaprophylaxe. Jörg schaute Ben fragend an.
„Die haben wir nie genommen, die Nebenwirkungen sind unverhältnismäßig stark, besser man achtet darauf, erst gar nicht gestochen zu werden.“
Ben erwies sich als ein sachkundiger Sanitäter. „Das Schlimmste sind deine Kopfverletzung und dein geprelltes Knie. Deine Kopfwunde ist inzwischen verschorft und wir machen am besten gar nichts. Ich binde dir eine Mullbinde um, damit du dich nicht aufkratzt. Zieh dich aus.“
Er blickte auf Sue, aber sie zuckte nur mit der Schulter und nickte aufmunternd. „Du hast einige Abschürfungen, aber die sind nicht ernsthaft und werden schnell ausheilen. Sue wird auf die betroffenen Stellen eine kühlende Heilsalbe auftragen. Die Kniescheibe deines Knies ist unverletzt, es ist offenbar nur eine schmerzhafte Prellung. Ich habe ein Kühlspray gefunden, das du ab und zu verwenden solltest, ansonsten würde ich das Bein einfach ruhigstellen und hochlegen.“
Jörg ließ die Behandlung über sich ergehen und legte sich draußen in den Schatten. Sue setzte sich neben ihn und die anderen besprachen die neue Situation.
Jörg analysierte. „Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass es ihnen ähnlich wie uns geht. Aber wir wissen nicht, ob sie mit ihnen dasselbe vorhaben wie mit uns. Warum halten sie uns getrennt? Wer sind sie? Und wie viele?“
Fragen über Fragen. Sie kamen überein, dass man ihnen unbedingt einen Besuch abstatten müsste. Pierre bot sich an: „Ich bin der Jüngste und wahrscheinlich auch der Kräftigste und Schnellste.“
Kes wandte ein: „Aber du kennst den Weg nicht!“
„Jörg kann ihn mir beschreiben.“
„Wie denn, es gibt keine markanten Punkte und es ist halb dunkel.“
„Ich würde zuerst versuchen, den Bergkamm zu erreichen!“
„Selbst wenn du ihn findest, es gibt keine Zweige, die dir den Weg zur Lichtung zeigen.“
„Jörg hat sie auch gefunden!“
„Aber das war reiner Zufall.“
Die Diskussion stoppte. Alle blickten auf Jörg. Sue griff ein: „Das geht auf keinen Fall, sein Knie braucht Ruhe, das hast du selbst gesagt, Ben.“
Ben nickte. „Wir müssen abwarten.“
Am nächsten Tag fühlte Jörg sich entscheidend besser. Er hatte den halben Nachmittag und die ganze Nacht durchgeschlafen, diesmal wieder in seinem Bett. Sue und er wollten die anderen nicht provozieren. Zum Frühstück verkündete er: „Ich bin bereit, wenn mich Pierre begleitet und stützt, schaffe ich es zumindest bis in die Nähe. Sobald die Lichtung erreicht ist, zeige ich ihm den Baum, an dem man den Draht überquert, ich werde dann zurückbleiben und mich ausruhen, bis er wiederkommt.“
Sie stimmten zögernd zu. Jörg ging wieder ins Haus, um eine verbesserte Karte anzufertigen. Er hatte gerade den Bachlauf eingezeichnet, als er draußen fremde Stimmen hörte.
„Wo ist euer fünfter Mann?“
Jörg humpelte ins Freie. Was er sah, verschlug ihm die Sprache. Vor ihm stand Osama bin Laden. Er schaute zu seinen Kameraden: „Aber der ist doch tot!“
Der Fremde wurde von zwei Wächtern begleitet, die im Hintergrund mit entsicherten Maschinenpistolen auf sie zielten, zwischen ihnen stand eine weitere Person mit einem Aktenkoffer. Der Mann, der wie bin Laden aussah, ignorierte seine Bemerkung.
„Was ist mit Ihnen passiert, haben Sie mit jemand gekämpft?“ Seine Stimme war ruhig, aber bestimmt, er verfügte offenbar über eine gute Selbstbeherrschung.
Jörg versuchte eine Erklärung. „Ich bin gelaufen und unglücklich gefallen.“
„Ziehen Sie Ihr Hemd aus!“ Er betrachtete die Abschürfungen und rief den Wachen einen Befehl zu, die unverzüglich nähertraten und die Gewehre auf seinen Kopf richteten.
„Ihr Ungläubigen seid alle erbärmliche Lügner, aber Sie sind auch ein schlechter Lügner. Sie haben nur eine einzige Chance, dies zu überleben. Sie sagen mir jetzt die volle Wahrheit, ein Zweifel von mir und Sie sind tot.“
Sue schrie auf, die anderen blickten zu Boden. Jörg hatte keine Chance. Er berichtete von seinem Ausflug in allen Einzelheiten, wie er entlang der Bergkette gegangen war, wie er die Küste erreicht und ihn der Taifun überrascht hatte, wie er auf dem Rückweg auf den reißenden Bach gestoßen und bei dem Versuch, ihn zu überqueren, hineingefallen war und wie er sich schließlich ans Ufer gerettet hatte.
„Wie sind sie zurückgekommen?“
„Ich hatte mir ein Bein aufgeschlagen und mir deshalb eine Krücke gefertigt. Dann bin ich, so schnell ich konnte, zurückgehumpelt.“
„Was ist auf dem Rückweg passiert?“
„Nichts Besonderes, ich bin häufig gestolpert, aber ich wollte so schnell wie möglich ins Camp, ich hatte Angst, ein neuer Taifunausläufer könnte kommen und ich die Orientierung verlieren.“
„Wie weit war die Stelle, wo Sie ans Ufer gingen, vom Bergkamm entfernt?“
„Das weiß ich nicht, aber ich konnte ihn schwach in der Ferne erkennen. Ich habe deshalb einen Winkel von fünfundvierzig Grad eingeschlagen, um abzukürzen. Am Ende des Kamms angekommen, kannte ich den Weg wieder und ging auf gerader Strecke zurück.“
Bin Laden sah ihn durchdringend an. „War das Ihr einziger Ausflug?“
„Nein, ich war insgesamt fünfmal unterwegs, immer nachts.“
„Was wollten Sie mit Ihren Ausflügen erreichen?“
„Ich wollte mir einen Überblick über die örtlichen Verhältnisse verschaffen, meine Hoffnung war, dass wir vielleicht auf dem Festland oder einer Halbinsel sind. Dann hätten wir vielleicht einen Weg gefunden, um zu fliehen.“
„Was war das Ergebnis Ihrer Nachforschungen?“
„Es handelt sich um eine Insel, ich habe eine provisorische Karte angefertigt.“
Bin Laden schien mit einmal wie elektrisiert. „Zeigen Sie mir die Karte.“
Sue und die anderen erstarrten, sie ahnten, was das bedeutete. Jörg holte die Karte und übergab sie dem Mann. Der zeigte die Karte den Wächtern, sie warfen einen kurzen Blick darauf und nickten. Alle warteten auf die Exekution, Sue sank ohnmächtig zu Boden. Jörg war seltsam ruhig. Hatte er mit dem Leben abgeschlossen?
Bin Laden bestätigte. „Die Karte hat ziemlich exakte Entfernungsangaben, wie haben Sie die herausgefunden und wie haben Sie sich in der Dunkelheit überhaupt orientieren können?“
Jörg beschrieb ihm sein Verfahren in allen Einzelheiten, die Situation war unwirklich, es klang beinah wie ein Gespräch unter Bekannten.
„Wo haben Sie das gelernt?“
„So etwas lernt man nicht, man hat ein Problem, sucht nach vorhandenen Hilfsmitteln, und improvisiert.“
Bin Laden erschien mit einem Mal hochzufrieden. „Diese Fähigkeit werden Sie in den nächsten Monaten gut brauchen können, ich werde Ihnen jetzt mitteilen, warum Sie hier sind.“
Alle waren jetzt auf Höchste gespannt. Der Mann winkte einen Wächter zu sich und öffnete den Koffer. „Ich habe hier Unterlagen, die wir aus dem Internet heruntergeladen haben. Es handelt sich um allgemeine Informationen über die Funktionsweise eines atomaren Sprengkörpers. Die Beschreibungen sind teilweise sehr detailliert, aber es gibt nirgends eine exakte Konstruktionszeichnung und natürlich auch keine Detailzeichnungen. Sie sind ein Team, das über alle Fähigkeiten verfügt, die erforderlichen Konstruktionspläne anzufertigen.“
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