„Gerne, mein Name ist Jörg Breithaupt, Breithaupt wie Dickkopf, und ich komme aus Deutschland.“
Seine Vorstellung brach das Eis und auch die restlichen drei stellten sich vor. Es war eine gemischte Runde. Da war Pierre Dupont, er war Franzose, und noch relativ jung. Kes Groothof war offensichtlich der Senior, er war kam aus den Niederlanden, lebte aber in Bandung, einer Industriestadt im Norden Javas. Die einzige Frau in der Runde war wohl eine Eurasierin. Sie war hübsch, schlank und sehr apart, aber sie war ungemein verschüchtert, so dass Pierre ihre Vorstellung übernahm, sie hieß Sue Maillin und kam aus Singapur. Nach der Vorstellung zog sie sich ins Innere der Hütte zurück. Jörg hatte tausend Fragen auf den Lippen, aber die anderen bedeuteten ihm erst mal, Platz zu nehmen und etwas zu trinken.
Ben übernahm wieder die Gesprächsführung. „Wir waren am Anfang nicht sicher, ob Sie vielleicht zu denen gehören und uns endlich mal sagen, was die von uns wollen.“
Die Bemerkung überraschte Jörg, offenbar wussten die anderen genau so wenig wie er. Er fragte: „Was denken Sie, warum Sie uns gekidnappt haben?“
„Wir glaubten anfänglich natürlich, es handelt sich um Lösegeld, aber wir sind schon länger hier, ohne dass irgendwelche derartigen Aktivitäten stattgefunden haben.“
Jörg fragte nach: „Aber was sagen denn unsere Entführer?“
Ben war offenbar der Wortführer, er versuchte eine Antwort. „Während der ganzen Zeit, die wir hier sind, haben sie kein einziges Wort mit uns gewechselt. Sie verpflegen uns, indem sie zweimal die Woche Brot, Gemüse und Fisch bringen, sie stellen einfach alles vor die Hütte und verschwinden wieder. Für Getränke haben wir einen Wasservorrat, der für mehrere Monate reicht, nicht besonders beruhigend, was unsere vorgesehene Verweildauer hier angeht.“
Jörg war verwirrt. „Gibt es den überhaupt keine Instruktionen?“
Jetzt übernahm Pierre die Antwort: „Nur eine, und die ist klar definiert, du kannst sie auf dem Schild am Eingang nachlesen: Sie dürfen sich auf der Lichtung frei bewegen, wer versucht, sie zu verlassen, wird getötet.“
Jörg war verstört. „Klingt ernst!“
Pierre fuhr fort. „Es ist ernst. Du hast sicher bemerkt, wie verstört Sue ist.“
Jörg bestätigte. „Ja, sie wirkt auf mich traumatisiert, so, als ob ihr etwas Schreckliches angetan wurde.“
„Nicht ihr, aber das Ergebnis ist das Gleiche.“
Kes übernahm die Aufgabe, von dem schrecklichen Ereignis zu berichten. Er wirkte ausgesprochen abgeklärt, vielleicht eine Folge seines fortgeschrittenen Alters. „Vor etwa einer Woche tauchte plötzlich ein junges Pärchen auf der Lichtung auf. Sue hatte draußen ihr tägliches Tai Chi praktiziert, wir waren im Haus und haben vor uns hin gedöst. Das Mädchen stolperte und fiel hin und Sue eilte herbei, um ihr zu helfen. Sie hatten nur ein kurzes Gespräch, die beiden waren auf einer Inseltour und wollten ein wenig wandern. Sie haben einen Trampelpfad gefunden und sind ihm gefolgt. Bis hier. Dann war buchstäblich alles zu Ende. Einer unserer Bewacher tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf und hat die beiden mit zwei Salven aus seiner Maschinenpistole exekutiert. Ohne jede Frage, ohne irgendeine Regung, einfach so. Sue bekam einen Weinkrampf und sackte zusammen. Wir stürmten aus dem Haus und konnten zunächst gar nicht begreifen, was gerade passiert war. Aber es war Realität, vor uns lagen zwei junge Menschen, die einige Minuten vorher wahrscheinlich noch unbeschwert gelacht hatten, und jetzt lagen sie da, reglos, leblos, tot. Der Wächter bedeutete uns mit Gesten, dass wir sie begraben sollte. Sie waren noch warm, als wir das Grab zuschauf…“
Die Stimme versagte ihm und er bedeckte seine Augen.
Ben übernahm: „Wenn wir bisher noch etwas Hoffnung gehabt hatten, dann war spätestens jetzt klar, das hier ist blutiger Ernst.“
Dieser Bericht gab Jörg den Rest, er wollte sich nur noch zurückziehen und nichts mehr hören, nichts mehr denken, nichts mehr tun. Er hatte im Haus Feldbetten gesehen und fragte, welches er benutzen könnte.
Pierre antwortete. „Es gibt nur noch eins, und du kannst es hinstellen, wo du willst. Lediglich die Lady hat ein abgeteiltes Segment.“
Jörg fiel sofort in einen unruhigen Schlaf, der immer wieder durch Aufwachphasen unterbrochen wurde, aber irgendwann kam er zur Ruhe. Es war inzwischen dunkel und er beschloss durchzuschlafen.
Er wurde durch ein Geräusch wach, das er nicht zuordnen konnte. Der Raum war halbdunkel, es war also etwa sechs Uhr morgens. Er fragte sich, ob es eine Uhr im Raum gab. Er hatte Hunger und musste auf die Toilette. Dies führte ihn nach draußen und er fand am Rand der Lichtung ein kleines Häuschen. Der Holzsitz war sauber, darunter war ein etwa zwei Meter tiefes Loch. Es gab auch Papier. Es stank und er beeilte sich, fertig zu werden. Als er wieder ins Haus kam, waren die anderen gerade dabei sich anzuziehen. Sie empfingen ihn schweigend, die Stimmung war gedrückt. Er fragte sich, ob dies wohl ein Dauerzustand war, und er fragte, wie das mit dem Frühstück geregelt war.
Es stellte sich heraus, dass die Verpflegung überraschenderweise ausgezeichnet war. Das Brot war einigermaßen frisch und schmeckte aufgebacken ausgezeichnet. Es gab Butter, Marmelade und man konnte sich Eier kochen. Zum Kochen gab es einen vierflammigen Gasherd, die Propangasflaschen waren außerhalb angebracht. Es gab Instantkaffee und Teebeutel. Ben eröffnete das Gespräch.
„Du bist gestern Abend schnell verschwunden und eingeschlafen, das ist sicher verständlich, nach dem, was dir passiert war, aber nun sind wir natürlich alle neugierig und wollen mehr von dir erfahren.“
Jörg berichtete über seine Tätigkeit auf Java, über seine Absicht, einen Tempel auf Bali zu besuchen, über die Taxifahrt, die so unvermittelt mit einer Reise in einem Boot endete, und über seinen Weg ins Camp. Ab hier wurde er ausführlicher: „Ich habe versucht, die Entfernung und die Richtung zum Camp zu bestimmen. Wir sind in nahezu senkrechter Richtung zum Strand in den Dschungel eingedrungen. Aus dem Stand der Sonne habe ich geschlossen, dass wir uns etwa in südlicher Richtung bewegten. Der Richtung war immer geradeaus, mit einigen Abweichungen, wenn ein Sumpf auf dem Weg lag. Die Entfernung der Lichtung zum Strand beträgt etwa zweitausendfünfhundert Meter. Mehr weiß ich nicht, ich habe keine Ahnung, ob dies Festland oder Insel ist.“
Ben unterbrach ihn. „Wir haben gesehen, aus welcher Richtung du angekommen bist, genau entgegengesetzt zu der Richtung, aus der wir nach und nach ankamen, das lässt jetzt zumindest den Schluss zu, dass es sich entweder um eine wirkliche Insel oder um eine Halbinsel handelt. Wir wissen, dass sich im Gebiet von Indonesien hunderte von Inseln befinden, von denen viele unbewohnt sind. Wenn ich mich und meine Opfer verstecken wollte, würde ich auf jeden Fall eine dieser Inseln wählen.“
In Jörg begann jetzt sein beruflicher Instinkt zu erwachen. „Wenn man verschiedene Informationen zusammenfügt, ist das Ergebnis oft mehr als die Summe seiner Teile. Ich schlage vor, wir fassen alles zusammen, was wir wissen, wer hat noch was beobachtet?“
Kes begann; „Ab und zu hören wir weit aus der Ferne das Horn eines Schiffes, offenbar ist eine Schifffahrtslinie in der Nähe.“
Jörg bestätigte. „Dies könnte nützlich sein. Kann man erkennen, aus welcher Richtung es kommt?“
Ben ergänzte. „Etwa aus der Richtung, aus der wir auf die Lichtung aufgetroffen sind.“
Bernd war zufrieden. „Gut, das bedeutet, in südlicher Richtung von hier aus ist ebenfalls Meer. Was wissen wir noch?“
Alle schüttelten den Kopf „Nichts.“
„Vielleicht doch, wie groß schätzt ihr die Entfernung ein, die ihr vom Strand zum Camp zurückgelegt habt?“
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