Donald Trump hatte die Amerikaner endgültig gegeneinander aufgehetzt. Und je näher die schicksalhafte Wahl rückte, mit der Trump eine dritte Amtszeit erreichen wollte, desto drastischer wurden seine Worte, und er wandte sich nun wieder dem Thema zu, das schon in seinem ersten Wahlkampf vor acht Jahren so gut funktioniert hatte: kriminelle Mexikaner. Und damit meinte er alle Mexikaner. Die demokratische Partei hatte er längst zu Komplizen Mexikos erklärt, zu Kommunisten, Sozialisten, Linksradikalen, kurzum zu Feinden Amerikas. Wer die Demokraten wählt, greift damit all das Großartige an, für das Amerika steht. Das war seine simple Botschaft. Und er hatte Erfolg damit. Trump saß fester im Oval Office als je zuvor. Mindestens die Hälfte der Amerikaner unterstützte ihn, die andere Hälfte nicht. Fünfzig-fünfzig ist eine denkbar schlechte Ausgangslage für eine Versöhnung.
Für Bezirksrichterin Ruth Buttworth waren die Obama-Jahre acht verlorene Jahre gewesen. Die beiden Amtszeiten, in denen Trump jetzt schon das Sagen hatte, schien Amerika für sie wieder zu dem Ort gemacht zu haben, der er sein sollte. Ein Ort, an dem amerikanische Interessen immer an erster Stelle kamen. Wie schmutzig und skrupellos sich Trump seine zweite Amtszeit ergaunert hatte, spielte für sie überhaupt keine Rolle, im Gegenteil. Wie so viele Amerikaner war auch sie fest davon überzeugt, dass die Demokraten bei der letzten Wahl betrogen hatten und Trump in Wahrheit gewonnen hatte. Und war er nicht im Recht? Wie sonst hätte er sich im Amt halten können? Das war die krude Logik von Menschen wie Bezirksrichterin Ruth Buttworth.
Und so fand sie alle drei Monate einen weiteren Grund, warum nicht jetzt über unseren Asylantrag entschieden werden konnte. Und alle drei Monate mussten wir damit rechnen, noch in Buttworths Büro festgesetzt und abgeschoben zu werden. Es führte kein Weg an der knochigen Richterin vorbei zu einer höheren Instanz. In diesem Bezirk hatte sie das Sagen. Und woanders leben durften wir nicht. Wir waren an Santa Roca gebunden und Ruth Buttworth ausgeliefert. Hätte sie unseren Antrag abgelehnt, so hätten wir dagegen Einspruch einlegen können, und über den würden dann andere Richter entscheiden. Aber Buttworth ließ uns nicht von ihrem Haken.
Nach jeder Anhörung waren wir am Boden zerstört, und Pfarrer Brown hatte seine rechte Mühe, uns wieder aufzurichten. Er begleitete uns fast zu jedem Termin und wartete geduldig vor der Tür. Auch ihm entging nicht, dass Buttworth im Begriff war, Rosalie und mich zu entzweien. Doch er war klug genug, nicht alleinige Partei für einen von uns beiden zu ergreifen. Aber selbst dem stets zuversichtlichen Pfarrer Brown fiel es von Anhörung zu Anhörung schwerer, nicht die Hoffnung zu verlieren. Sosehr er sich auch bemühte, uns das nicht spüren zu lassen, so gelang es ihm von Mal zu Mal weniger.
Doch was Rosalie und mich anging, so war es nicht die Art, wie Richterin Buttworth uns behandelte, sondern vielmehr die Art, wie ich mich ihr gegenüber verhielt. Was Rosalie jeden Tag ein Stück weiter von mir entfernte, war mein Glaube, dass in jedem Menschen, selbst in Bezirksrichterin Ruth Buttworth, irgendwo tief drinnen ein guter Kern steckte. So hatte ich es von meinem Pfarrer aus Kindheitstagen gelernt. Jeder Mensch kommt gut und rein auf die Welt, niemand kommt böse auf die Welt. Und diesen guten Kern trägt ein Mensch sein Leben lang in sich, auch wenn er nicht immer sichtbar ist. Wenn ein Mensch Böses tut, dann nur, weil ihm selbst Böses widerfahren ist. Und umso mehr braucht er die Nachsicht der guten Menschen. So schwer das fallen mag. „In Richterin Buttworth existiert nichts Gutes mehr. Wenn es das jemals gab, dann ist es schon lange verschwunden.“ Rosalies Meinung war klar, und Richterin Buttworth zeigte uns bei jedem Besuch deutlich, dass es naiv von mir war, daran zu zweifeln.
Rosalie hatte das früh erkannt, ich aber nicht. Jetzt weiß ich, ich wollte es nicht erkennen. Vielmehr wollte ich weiterhin daran glauben, dass selbst Ruth Buttworth in ihrem tiefsten Inneren noch etwas von dem Guten hatte, mit dem sie, wie alle Menschen, auf die Welt gekommen war. Und daran, dass wir irgendwann von diesem guten Kern profitieren würden und einen positiven Asylbescheid erhielten, wenn es uns gelang, ihn durch unsere beharrliche Freundlichkeit freizulegen. Doch in Wahrheit trieb Bezirksrichterin Buttworth Rosalie und mich immer weiter auseinander.
Nach drei Jahren zwischen Stillstand und der ständigen Angst, beim nächsten Gerichtstermin festgesetzt und abgeschoben zu werden, waren wir irgendwann sogar an den Punkt gelangt, an dem wir ernsthaft darüber nachdachten, unter welchen Umständen wir nach Mexiko zurückkehren könnten. Doch was würde dann aus Ana und Teresa? Die USA waren ihre Heimat geworden, und sie hatten inzwischen mehr Zeit ihres Lebens hier verbracht als in Mexiko. Die Situation zermürbte mich so sehr, dass ich begann, nachts mit den Zähnen zu knirschen. So heftig, dass immer wieder kleine Stücke abbrachen. Wenn ich am Morgen aufwachte, schmerzte mir der Kiefer. Doch wenn wir an Richterin Buttworths Bösartigkeit nicht zugrunde gehen wollten, durften wir nicht aufhören, an eine Zukunft zu glauben, in der alles gut werden würde. Auch wenn wir unterschiedliche Vorstellungen von dem Weg in diese Zukunft hatten. Der Blick zurück, der Streit zum Umgang mit Buttworth, all das richtete sich letztlich nur gegen uns selbst.
Inzwischen waren es nur noch wenige Wochen bis zur schicksalhaften Wahl, bei der Donald Trump sein schmutzig erkämpftes Amt verteidigen wollte. In den vergangenen acht Jahren hatte er das Land an den Rand des Abgrundes geführt oder sogar schon ein Stück darüber hinaus, was Hunderttausende Amerikaner so sahen, die durch Trumps miserables Management der Covid-Krise Angehörige verloren hatten. Aber Trump erklärte sich weiterhin zum perfekten Krisenmanager, der durch sein konsequentes Handeln im Kampf gegen das China-Virus, wie er es hartnäckig nannte, Millionen amerikanische Leben gerettet habe. Dann war der erste Impfstoff auf den Markt gekommen, weitere folgten und beendeten die Pandemie innerhalb eines Dreivierteljahres. Für Trump war das die Bestätigung, dass sein Handeln zu jedem Zeitpunkt richtig gewesen war. Er hatte den Menschen einen schnellen Impfstoff versprochen, und tatsächlich war der noch im Jahr 2020 gefunden. Dass dies ausgerechnet ein paar Tage nach der Wahl bekannt gegeben wurde, war für Trump ein weiterer Beweis dafür, dass eine große Verschwörung gegen ihn im Gange war. Und seine Anhänger glaubten ihm. Wahrscheinlich war es sogar besser für Trump gewesen, dass der Impfstoff nicht ein paar Wochen früher entwickelt worden war. Trump erklärte den Menschen, dass die Verschwörung gegen ihn, hinter der selbstverständlich die Demokraten steckten, eine halbe Millionen Amerikaner das Leben gekostet hatte.
Aber Trump sprach jetzt nicht mehr über das Virus, sondern nur noch über Mexiko. Wie versprochen habe er die Mauer fertiggestellt und Mexiko dafür bezahlen lassen. Alle wussten, dass dies nicht stimmte, aber Trump ignorierte es stumpf. Er hetzte gegen die Mexikaner im Land, die nicht nur jede Menge Straftaten begingen, sondern vor allem den Amerikanern die Jobs streitig machten. Jobs, die er geschaffen habe – für Amerikaner! Die Demokraten wollten seinen Erfolg zerstören, denn sie ertrügen es nicht, dass kein Präsident der Geschichte, nicht mal Abraham Lincoln, mehr für das Land getan habe als er, Donald John Trump. Für ihn war die Sache klar: Er hatte in den Geschichtsbüchern die Führung übernommen!
America first! Wer dieser Losung nicht uneingeschränkt folgte, wurde vom Präsidenten pauschal zum Feind Amerikas erklärt. Mit seinen Worten säte er Wind, und im ganzen Land folgte der Sturm. Die Amerikaner standen sich unversöhnlicher gegenüber als jemals zuvor. Auf den Straßen, an der Arbeit, in den Familien. Doch die Demokraten konnten davon nicht profitieren, ihr schwacher Präsidentschaftskandidat kam gegen Trumps Gebrüll nicht an. Der Präsident lag in den Umfragen vorn.
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