Mit dem ganzen Geheimnis hatte es aber die folgende Bewandtnis. Die englische Nation verlangte dringend, dass sich der Prinz in seinem zukünftigen Königreich aufhalte. Sie hatte mehrmals sehr ausdrücklich bei dem König darauf bestanden, doch ohne einen günstigen Beschluss zu erlangen. Denn der König wollte seinen Sohn nicht nach England kommen lassen, weil er voraussah, dass seine Anwesenheit Parteiungen hervorrufen würde, die seinem eignen Ansehen nur zum Nachteil gereichen konnten. Er hatte jedoch eingesehen, dass er sich dem Wunsche der Nation nicht dauernd widersetzen durfte. So hatte er heimlich an seinen Sohn geschrieben, er möge sich nach Berlin verfügen und mich heiraten; doch verbot er ihm zugleich, ihn, den König, mit diesem Schritt zu kompromittieren. Auf diese Weise war ein guter Vorwand gefunden, um sich mit dem Prinzen von Wales zu überwerfen und ihn in Hannover zu lassen, ohne dass die Nation sich darüber beschweren konnte. Die Indiskretion der Königin und das Schreiben Dubourgays machten diesen ganzen Plan zunichte und zwangen den König, die Forderung der Engländer zu erfüllen. Der arme de la Motte musste den Sündenbock abgeben; er wurde auf zwei Jahre in die Festung Hameln eingesperrt und dann kassiert. Aber mein Vater nahm ihn nach seiner Freilassung in seinen Dienst, und er steht heute noch an der Spitze eines Regiments. Dies alles verschlimmerte nur mein Los. Der König war mehr denn je gegen seinen Schwager aufgebracht und beschloss, nunmehr rücksichtslos vorzugehen, sofern ihm nicht durch meine Heirat Genugtuung geboten würde.
Wir folgten ihm bald darauf nach Potsdam, wo er an beiden Füßen von heftigen Gichtschmerzen befallen wurde. Diese Krankheit im Verein mit dem Ärger über seine zerstörten Hoffnungen machten, dass er von unerträglich schlechter Laune war. Die Leiden des Fegefeuers konnten den unseren nicht gleichkommen. Wir waren gezwungen, früh neun Uhr in seinem Zimmer zu erscheinen; wir speisten dort und durften es unter keinem Vorwand verlassen. Den ganzen Tag überhäufte er meinen Bruder und mich mit Schmähungen. Der König nannte mich nur noch die englische Canaille, und mein Bruder hieß der Schuft von einem Fritz. Er zwang uns, Dinge zu essen und zu trinken, die uns widerstanden oder die unsrer Konstitution zuwider waren, was uns manchmal nötigte, in seiner Gegenwart alles von uns zu geben, was wir im Magen hatten. Jeden Tag kam es zu bösen Auftritten, und man konnte nicht aufschauen, ohne irgendeinen Unglücklichen auf eine oder die andere Weise gequält zu sehen. In seiner Ungeduld hielt es der König nicht im Bett aus, er ließ sich in einem Rollstuhl durch das ganze Schloss fahren. Seine beiden Arme waren auf zwei Krücken gestützt. Wir folgten diesem Triumphwagen wie arme Gefangene, die ihres Urteiles harren. Der arme König hatte große Schmerzen und eine schwarze Galle, die sich in sein Blut ergossen hatte war Grund an seiner üblen Laune.
Eines Morgens, da wir zur Begrüßung bei ihm eintraten, schickte er uns weg. „Hinaus mit Ihren verwünschten Kindern!“ fuhr er die Königin an, „ich will allein bleiben.“ Die Königin wollte antworten, allein er gebot ihr zu schweigen und befahl, dass man bei der Königin auftrage. Die Königin war beunruhigt; aber mein Bruder und ich waren beide hocherfreut, denn wir wurden spindeldürr, so wenig hatten wir zu essen. Kaum waren wir aber bei Tische, als einer der Lakaien atemlos hereinlief. „Um Gottes willen, Majestät, kommen Sie“, rief er, „der König will sich erdrosseln.“ Die Königin eilte sehr erschrocken hinzu. Sie fand den König, einen Strick um den Hals und dem Ersticken nahe, wäre sie nicht zu Hilfe gekommen. Er hatte starkes Fieber, und das Blut stieg ihm heftig zu Kopfe; gegen Abend fühlte er sich jedoch etwas besser. Wir waren alle hocherfreut, da wir hofften, seine Verstimmung würde sich jetzt legen; allein es kam anders. Er sagte mittags zur Königin, dass er Briefe aus Ansbach erhalten habe, die ihm mitteilten, dass der junge Markgraf im Mai nach Berlin zu kommen beabsichtige, um meine Schwester zu heiraten, und dass er seinen Hofmeister, Herrn von Bremer, senden würde, um ihr den Verlobungsring zu überreichen. Er fragte meine Schwester, ob sie sich freue und wie sie ihren Hausstand einzurichten gedenke. Meine Schwester hatte sich mit ihm auf den Fuß gestellt, dass sie ihm alles freiheraus sagte, sogar Wahrheiten, ohne dass es ihn erzürnte. Sie gab ihm also mit ihrer üblichen Offenheit zur Antwort, dass sie einen guten und reichlich bestellten Tisch führen würde, „der“, fügte sie hinzu, „besser als der Ihre sein wird; und wenn ich Kinder bekomme, so werde ich sie nicht malträtieren wie Sie, noch sie zwingen, Dinge zu essen, die ihnen widerstehen.“ „Was meinen Sie damit“, fragte der König, „was ist es, das auf meinem Tische fehlt?“ „Es fehlt daran“, sagte sie, „dass man nicht satt wird und dass das wenige nur aus schweren Gemüsen besteht, die wir nicht vertragen können.“ Der König war schon über die erste Antwort aufgebracht, über diese letzte geriet er außer Rand und Band, aber sein ganzer Zorn fiel auf meinen Bruder und mich. Er warf erst einen Teller an den Kopf meines Bruders, der dem Wurfe auswich; dann ließ er einen in meine Richtung fliegen, und ich vermied ihn ebenso. Auf diese ersten Feindseligkeiten folgte nun ein Hagel von Schmähungen. Er wandte sich wider die Königin und warf ihr die schlechte Erziehung ihrer Kinder vor; und zu meinem Bruder gewendet, sagte er: „Sie sollten Ihre Mutter verwünschen, denn sie ist schuld an Ihrer schlechten Disziplin. Ich hatte einen tüchtigen Mann zum Hofmeister und erinnere mich stets einer Geschichte, die er mir in meiner Jugend erzählte: Es war einmal ein Mann in Karthago, der wegen mehrerer Verbrechen zum Tode verurteilt worden war. Auf dem Wege zum Richtplatz verlangte er, mit seiner Mutter zu sprechen. Man ließ sie kommen. Er näherte sich ihr, wie um ihr etwas ins Ohr zu sagen, biss ihr aber dabei mit den Zähnen ein Stück davon ab. ‚Ich behandle dich also‘, sagte er zu ihr, ‚damit du anderen Eltern als Beispiel dienst, die nicht Sorge tragen, ihre Kinder tugendhaft zu erziehen‘. Merken Sie sich dies“, fuhr er, immer zu meinem Bruder gewendet, fort; und da dieser ihm keine Antwort gab, fing er von neuem an, uns zu schmähen, bis er nicht mehr sprechen konnte. Wir erhoben uns von Tische; und da wir an ihm vorbeigehen mussten, schlug er mit seiner Krücke nach mir, aber ich wich zum Glück aus, sonst hätte er mich zu Boden geschlagen. Er verfolgte mich noch eine Zeitlang von seinem Rollstuhl aus, doch die, welche ihn schoben, ließen mir Zeit, in das Zimmer der Königin zu entfliehen, das sehr entfernt lag. Ich kam halbtot vor Schrecken und so zitternd dort an, dass ich auf einem Stuhl zusammenbrach, unfähig, mich auf den Füßen zu halten. Die Königin war mir gefolgt und tat alles, um mich zu trösten und mich zu bewegen, zum König zurückzukehren. Die Teller und Krücken hatten mich so erschreckt, dass ich mich recht schwer entschloss, ihr zu willfahren. Wir gingen jedoch in das Zimmer des Königs zurück und trafen ihn in ruhiger Unterhaltung mit seinen Offizieren. Ich blieb nicht lange, weil mir schlecht wurde; und ich verfügte mich wieder in das Gemach der Königin, wo ich zweimal in Ohnmacht fiel. Ich blieb eine Weile dort. Die Kammerfrau der Königin, die mich aufmerksam beobachtet hatte, rief: „Mein Gott! Hoheit, was fehlt Ihnen? Sie sehen furchtbar aus!“ „Ich weiß nicht“, sagte ich, „aber ich fühle mich recht elend.“ Sie brachte mir einen Spiegel, und ich war sehr erstaunt, Gesicht und Hals voll roter Flecken zu finden; ich schrieb es der gehabten Aufregung zu und achtete nicht darauf. Aber sobald ich in das Zimmer des Königs zurückkehrte, verschwand diese Röte wieder, und ich fiel abermals in Ohnmacht. Es kam daher, dass ich eine ganze Flucht von ungeheizten Zimmern passieren musste, in denen eine schreckliche Kälte herrschte. Nachts wurde ich von einem heftigen Fieber befallen und fühlte mich tags darauf so krank, dass ich mich bei der Königin entschuldigen ließ. Aber sie ließ mir sagen, dass ich tot oder lebendig zu ihr kommen müsse. Ich ließ ihr antworten, dass ich einen Ausschlag habe und unmöglich erscheinen könne. Doch ließ sie wieder denselben Befehl an mich ergehen. So schleppte man mich denn nach ihrem Zimmer, wo ich von einer Schwäche in die andere fiel; und in diesem Zustand wurde ich vor den König geführt.
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