Der König von England kam im Laufe dieses Jahres wieder über das Meer nach Deutschland. Mein Vater, der König, versäumte nicht, ihn aufzusuchen; er hoffte, meine Heirat endgültig zum Abschluss zu bringen. Da die Königin schon einmal so erfolgreich gewesen war, wurde sie wieder mit dieser Mission betraut. Sie begab sich also nach Hannover und wurde dort mit offenen Armen aufgenommen. Sie nahm bei ihrem königlichen Vater dieselbe Gesinnung betreffs einer Heirat zwischen unsern Häusern wahr wie in den vorhergehenden Jahren. Er sprach sich sogar sehr liebevoll über mich aus, hielt ihr jedoch vor, dass zwei Hindernisse seinen Wünschen im Wege stünden. Das erste sei, dass er uns nicht verheiraten dürfe, ohne zuvor die Einwilligung seines Parlaments eingeholt zu haben; das zweite sei unsere Jugend, denn ich sei erst sechzehn, der Herzog erst achtzehn Jahre alt. Um jedoch all diese Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, versprach er ihr, alles so zu ordnen, dass bei seiner nächsten Anwesenheit in Deutschland unsere Hochzeit gefeiert werden könne. Die Königin hoffte jedoch noch mehr zu erreichen; sie hatte sich nie zuvor so gut mit ihrem königlichen Vater gestanden wie jetzt. Er schien sogar von großer Zärtlichkeit für sie erfüllt, und so viel ist gewiss, dass er ihr alle erdenklichen Aufmerksamkeiten erwies. Sie bat deshalb den König, ihren Gemahl, um eine verlängerte Frist, innerhalb der, so schrieb sie, ihre Pläne gelingen sollten. Der König willfahrte ihr und gestattete ihr sogar, so lange in Hannover zu bleiben, als die Angelegenheiten es erfordern würden. Inzwischen stand ich in Berlin sehr in Gnaden bei dem König; ich unterhielt ihn jeden Nachmittag, und er speiste bei mir zu Abend. Er zeigte sich sogar sehr mitteilsam und sprach oft von Geschäften mit mir. Um mich noch mehr auszuzeichnen, befahl er, dass man mir gleich wie der Königin huldigen solle. Die Hofmeisterinnen meiner Schwestern wurden mir unterstellt und erhielten Befehl, nichts ohne meine Einwilligung vorzunehmen. Ich wollte die Gunst des Königs nicht missbrauchen. Ich war bei aller Jugend so vernünftig, wie ich es heute bin, und hätte also wohl die Erziehung meiner Schwestern leiten können. Aber ich hatte Einsicht genug, um zu erkennen, dass es sich nicht geziemt hätte; ebenso wenig wollte ich Cercle halten und begnügte mich damit, jeden Tag einige Damen zu mir zu bitten.
Schon seit sechs Monaten wurde ich von grausamen Kopfschmerzen geplagt, die so heftig waren, dass ich oft in Ohnmacht fiel. Trotzdem wagte ich nie das Zimmer zu hüten, da es die Königin nicht haben wollte. Sie, die von sehr kräftigem Körperbau war, wusste nichts von Krankheit; sie zeigte sich hierin von unerhörter Härte, und wenn ich manchmal halbtot war, musste ich doch vergnügt darein sehen, sonst konnte sie in schrecklichen Zorn gegen mich geraten. Am Vorabend ihrer Rückkehr befiel mich ein hitziges Fieber mit starkem Blutandrang und so starken Kopfschmerzen, dass man mich vom Schlosshof aus schreien hörte. Sechs Personen mussten mich Tag und Nacht halten, um zu verhindern, dass ich mich tötete. Fräulein von Sonsfeld schickte sogleich Eilboten an den König und die Königin, um sie von meinem Zustand in Kenntnis zu setzen. Die Königin kam abends an und war sehr besorgt, mich so krank zu finden. Die Ärzte verzweifelten schon an meinem Aufkommen, aber ein Geschwür im Kopfe, das am dritten Tag aufbrach, rettete mir das Leben; zum Glück floss der Eiter zum Ohre heraus, sonst wäre ich verloren gewesen. Der König begab sich zwei Tage später nach Berlin und suchte mich sofort auf. Mein kläglicher Zustand betrübte ihn so sehr, dass er Tränen darüber vergoss. Zur Königin ging er nicht und ließ alle Verbindungstüren zwischen seinen Gemächern und denen der Königin verbarrikadieren. Der Grund dieses Verfahrens war sein Zorn darüber, dass er durch falsche Versprechen hingehalten worden war. Er hatte sich so sehr auf den Einfluss der Königin bei dem König von England verlassen, dass er glaubte, meine Heirat würde noch in diesem Jahre zustande kommen. Er war nun überzeugt, sie habe ihm dies nur vorgespiegelt, um ihren Aufenthalt in Hannover verlängern zu können. Diese Entfremdung dauerte sechs Wochen, dann versöhnten sie sich. Ich erholte mich indes sehr langsam und musste zwei Monate lang das Zimmer hüten.
Meine Mutter, die Königin, ist von Natur aus sehr eifersüchtig. Die vielen Auszeichnungen, die mir der König zuteilwerden ließ, brachten sie wider mich auf; überdies wurde sie hierin von einer ihrer Damen ermutigt, der Tochter der Gräfin Fink, die ich nunmehr die Gräfin Amalie nennen werde, um sie von ihrer Mutter zu unterscheiden. Diese Person führte hinter dem Rücken ihrer Eltern eine Intrige mit dem preußischen Gesandten am englischen Hofe, der Wallenrodt hieß. Er war ein richtiger Geck, mit einem kurzen rundlichen Gesicht, der nur als Spaßmacher seines Amtes waltete. Diesem Manne hatte sie sich heimlich verlobt, und ihr Plan war dahin gerichtet, meine Oberhofmeisterin zu werden und mir nach England zu folgen. Zu diesem Zwecke hatte sie sich alle Mühe gegeben, um sich bei dem Herzog von Gloucester einzuschmeicheln, und ihm erzählen lassen, dass sie meine Freundin sei, was ihr vonseiten des Herzogs allerlei Aufmerksamkeiten eintrug. Aber es stand ihr noch Fräulein von Sonsfeld im Wege, und sie ließ nicht ab, die Königin gegen sie wie gegen mich zu erbittern.
Diese Person hatte einen allmächtigen Einfluss bei der Königin und nützte ihre Schwächen aus, um zum Ziele zu gelangen. Ich wurde täglich malträtiert, und die Königin warf mir fortgesetzt die Liebenswürdigkeiten vor, die mir der König erwies. Ich wagte kaum mehr, ihn zu liebkosen, und fürchtete jedes Mal die Folgen. Mit meinem Bruder war es ebenso. Sobald der König ihm etwas befahl, pflegte sie es ihm zu verbieten. Wir wussten uns oft nicht mehr Rat, da wir es nicht beiden recht machen konnten. Da aber unsere Zuneigung für die Königin größer war, richteten wir uns nach ihren Wünschen. Dies war die Quelle aller unsrer Leiden, wie man in der Folge sehen wird. Das Herz blutete mir jedoch, weil ich dem König meine Gefühle nicht mehr zu äußern wagte; ich liebte ihn mit Leidenschaft, und er hatte mir tausendfache Freundlichkeiten erwiesen, seit ich auf der Welt war; allein da ich mit der Königin leben musste, war ich genötigt, mich nach ihr zu richten.
Die Königin gebar zu Anfang des Jahres 1726 (Wilhelmine war 17jährig) einen Prinzen, der den Namen Heinrich erhielt. Sobald sie sich erholt hatte, begaben wir uns nach Potsdam, einer kleinen Stadt in der Nähe von Berlin. Mein Bruder blieb zurück; da er sich den Wünschen des Königs nicht unterwerfen wollte, konnte dieser ihn nicht leiden. Er ließ nicht ab, ihn zu schelten, und seine Erbitterung gegen ihn wuchs dermaßen, dass alle Wohlgesinnten der Königin den Rat erteilten, den Kronprinzen zu bewegen, dass er dem König seine Unterwürfigkeit bezeige, was sie bisher nie dulden wollte; dies gab Anlass zu einem recht lächerlichen Auftritt.
Ich hatte auf Befehl der Königin mehrere Dinge heimlich an meinen Bruder geschrieben, sowie auch den Entwurf eines Briefes verfassen müssen, den er an den König richten sollte. Ich saß zwischen zwei chinesischen Fachschränkchen über diesen Briefen, als ich den König kommen hörte; ein Wandschirm stand vor der Türe, so dass ich eben Zeit hatte, meine Papiere hinter eines jener Schränkchen zu schieben. Fräulein von Sonsfeld nahm die Federn, und da ich den König schon kommen sah, steckte ich den Tintenbehälter zu mir, ihn sorgfältig haltend, damit er nicht umstürze. Der König sprach einige Worte mit der Königin und wendete sich dann plötzlich den Schränken zu. „Sie sind gar schön“, sagte er, „und stammen von meiner Mutter, die viel darauf hielt.“ Zugleich näherte er sich, um sie zu öffnen. Das Schloss war ruiniert, er zog an dem Schlüssel, so fest er nur konnte; und ich erwartete jeden Augenblick, dass meine Briefe herausfallen würden. Die Königin kam mir zu Hilfe, aber dadurch geriet ich in eine andere Klemme. Sie hatte einen sehr schönen kleinen Bologneserhund, ich desgleichen, und die beiden Tiere befanden sich im Zimmer. „Meine Tochter behauptet, ihr Hund sei schöner als der meine“, sagte sie zum König, „und ich ziehe den meinen vor. Wollen Sie nicht entscheiden?“ Er lachte und fragte mich, ob ich denn meinen Hund sehr liebe? „Von ganzem Herzen“, sagte ich, „denn er ist so gut und gescheit“; die Antwort machte ihm Spaß, er umarmte mich mehrere Male, und ich war genötigt, das Tintenfass loszulassen. Alsbald floss die schwarze Flüssigkeit über mein Kleid und fing an, am Boden nieder zu tropfen; ich wagte nicht, mich vom Platze zu rühren, aus Furcht, der König könne es sehen. Ich war fassungslos vor Angst. Er erlöste mich, indem er sich entfernte; ich war mit Tinte bis zur Haut durchnässt und musste mich einer Waschung unterziehen; wir lachten herzlich über dies ganze Abenteuer. Der König versöhnte sich indes mit meinem Bruder, der uns nach Potsdam folgte. Er war der liebenswürdigste Prinz, den man sich denken konnte, schön und gut gewachsen, mit einem für sein Alter überlegenen Geist, und er war mit allen Gaben ausgestattet, die einen vollkommenen Fürsten kennzeichnen. Aber hier muss ich einer ernsteren Begebenheit gedenken, in der die Quelle aller Leiden zu suchen ist, die dieser geliebte Bruder und ich erfahren mussten.
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