Bevor ich ein wenig ruhen konnte, um mich von dem ereignisreichen Tag zu entspannen, fuhr Kai mit mir schon wieder los. Selbstverständlich hätte er mich auch bei Gunnar im Hotel lassen können, aber der litt seit der Kindheit an einer Fell-Phobie. Wenn ich ihn im Büro ein bisschen ärgern wollte, strich ich langsam an seinem Bein entlang und schupperte mich daran wie eine Katze. Wau … das war lustig, wenn er angeekelt aufsprang.
Nach kurzer Fahrtzeit erreichten wir einen merkwürdigen Platz, an dem es nach Benzin und Petroleum stank. Auch andere Wagen standen dort herum, die noch kaputter waren, als Kais Auto. Was wollte er mit mir hier? Würde er meine Strafe ausweiten? An diesem Gott verlassenen Ort zurücklassen?
Ich konnte mich beruhigen – unser Auto sollte hier repariert werden. Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, dass da noch was zu machen wäre. Kai sprach mit einem Mann, der sehr bedrückt und blass wirkte, als er sich unserem Wagen näherte. Der sagte nichts mehr, der guckte nur noch. Der Außenspiegel auf der Fahrerseite fiel in dem Moment ab, als Kai die Autotür öffnete, um ihm den Innenraum zu zeigen. Bei dem Anblick strauchelte der Mann etwas.
»Wildunfall.« erklärte ihm Kai.
»Auch drinnen?«
»Jepp.«
»Und was soll ich jetzt mit der Karre machen? Schrottpresse?«
»Ausbeulen und innen kleben.«
Mit der Hand strich sich der Mann erst über seine Stirn, danach kratzte er sich ausgiebig am Kopf. Entweder er verstand nichts von dem, was Kai ihm auftrug oder er hatte Flöhe.
Und da weiß ich, wovon ich belle, die hatte ich nämlich auch mal. Das zwickte ganz fies und ich scheuerte mir fast das Fell weg. Mit einem speziellen Shampoo vom Tierarzt gingen die dann weg. Sollte der Mann auch mal ausprobieren.
Kai ließ unsere Karre dort zurück. Doch wie sollten wir jetzt zurück zum Hotel kommen? Wir gingen zu Fuß. Ein letztes Mal hob mich Herrchen hoch und zeigte mir zur Erinnerung noch einmal den zerfetzten Innenraum. Ich winselte – ich hatte verstanden.
Neben meinem Kai den Fußweg entlang zu trippeln war sehr schön. Ich war gerne in Kais Nähe. Wir waren Freunde – ein tolles Team, auch wenn er unser Leben auf´ s Spiel gesetzt hatte.
Unkraut drängte sich zwischen den Wegplatten hindurch. Kleine Käfer krabbelten umher. Doch mir blieb keine Zeit, dem näher nachzugehen, denn während Kai einen Schritt machte, brauchte ich vier. Ich freute mich des Lebens. Ab und zu schaute ich zu meinem Herrchen hoch und hechelte laut, damit er mich bemerkte. Tat er auch, manchmal. Dann schaute er zu mir hinunter und lächelte mich an. Ob er mir das mit dem Auto schon verziehen hatte?
Wir bogen um eine Hausecke und plötzlich duftete es verführerisch. Ich trippelte jetzt schneller voran und zog an der Leine. Natürlich war ich neugierig, was sich hinter dem Geruch verbergen würde.
Ich schnüffelte, hatte die Nase ganz nah am Boden. Das Grünzeug zwischen den Gehwegplatten war es nicht. Ein vorbeikrabbelnder Käfer auch nicht. Der Laternenpfahl ebenfalls nicht, da roch es nur nach Schäferhund und Dackel. Der Wind wirbelte einige Blätter direkt an meinem Gesicht vorbei. Ich versuchte sie mit meiner Pfote zu stoppen. Dabei blieb eines davon auf meiner Nase kleben. Ich wollte dieses blöde Blatt abstreifen, doch das war gar nicht so einfach. Ich musste niesen und dabei flog es von alleine weg.
Jetzt kamen wir geruchstechnisch der Sache schon näher. Ein Schwall verschiedener, leckerer Düfte umkreiste mich. Es war fast wie eine Droge. (Kenntnis natürlich nur durch Überlieferung.) Ich hatte meinen Kopf angehoben und schnüffelte in der Luft über mir. Kai blieb plötzlich vor einem Laden stehen und band mich an einem Haken an der Hauswand fest. Nun ging er – ohne mich – durch eine Tür aus Glas. Beim Öffnen dieser Tür wäre ich fast kollabiert. Ganz wundervolle Gerüche entwichen aus dem Geschäft und waberten unter meiner Nase vorbei. Eine Überreizung meiner sensiblen Flimmerhärchen hatte begonnen. Die nahmen alles an Informationen auf, die sie bekommen konnten und leiteten diese an mein Gehirn weiter. Nun wurden alle meine Sinne geschärft. Mein gesamter Speichel floss mittig in der Schnauze zusammen und sammelte sich auf meiner Zunge. Kai sagte im Hineingehen noch etwas von einem Laden der Tante Emma. Ich wusste gar nicht, dass er hier Verwandtschaft hatte. Schön für ihn. Ich wollte auch so gerne mit hinein, aber an der Tür war unmissverständlich ein Schild mit einem durchgestrichenen Hund zu erkennen. Inzwischen wusste ich, was das bedeutete. Eine ganze Hundenation wurde ausgesperrt. Aber so sind die Menschen – egoistisch.
Ich war so aufgeregt, dass ich die Wand anspritzte. Mein Speichel floss, simultan zum Pieseln, von meiner hechelnden Zunge, aus meiner Schnauze direkt auf die Gehwegplatten. Es hatte sich schon eine kleine Pfütze unter meinen Pfoten gesammelt. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür zum Paradies und Kai kam mit einer großen Tüte wieder heraus. Er atmete tief ein, pustete fest wieder aus und lächelte sogar. Ihm ging es scheinbar gut. Er roch nach Wurst, Käse und Brot. Mein Schwänzchen führte ein Eigenleben. Es wedelte in einer Tour. Ich hüpfte vor Kai herum, sprang ihn an und winselte. In diesem Moment kam seine Tante Emma aus dem Laden und rief mir ganz laut verschiedene Vokale entgegen, als sie mich sah. Zusätzlich quiekte sie vor Entzücken (was ich sehr gut verstehen konnte, ich war ja auch ein Süßer). Sie bückte sich zu mir hinunter, kraulte mit einer Hand meinen Kopf und mit der anderen hielt sie mir tatsächlich ein Würstchen unter die Schnauze. »Hier, möchtest du?« fragte sie mich und während ich kurz überlegte, ob das eine Fangfrage sein sollte, biss ich zu. Man soll eben nicht zu lange nachdenken. Ich kann nicht beschreiben, wie herrlich das war. Ich schwebte in Gedanken, mit meiner Wurst, auf einer Wolke gen Himmel und schlug einen Purzelbaum … und noch einen. Was für ein Genuss. Hoffentlich sollte das für heute nicht mein einziges Fressen bleiben. Doch so schnell ich mental aufgestiegen war, so schnell landete ich wieder im Jetzt.
Kai trug die Tüte mit den Leckereien knapp über meiner Schnauze spazieren und ich tänzelte direkt darunter neben ihm her. Vielleicht würde er etwas fallen lassen. Beinahe wäre ich gestolpert, weil ich kurz mal nicht auf den Weg geschaut hatte. Im Hotel angekommen, ließ ich die Tüte nicht aus den Augen. Kai stellte sie auf dem Bett ab und die Bescherung begann. Gunnar bekam etwas, Kai hatte sich schon auf dem Weg ins Hotel bedient und nahm sich noch mehr. Kein Wunder, dass sein Bauch immer dicker wurde. Und ich? Ich sollte das Vergnügen von Hundefutter in Dose mit Geflügelgeschmack haben. Na toll.
Kai und Gunnar mussten sich im Hotel ein Bett teilen. Aber auch für mich war die Nacht schrecklich. Kai schnarchte die ganze Zeit und Gunnar trommelte mit seinen Fingern im Takt auf der Bettkante herum. Am nächsten Morgen beschwerte er sich darüber, dass auch ich geschnarcht hätte. So ein Quatsch! Mit meiner kleinen flachen Schnauze kann ich gar nicht schnarchen. Außerdem hätte ich das ja wohl gemerkt. Hier zum Beweis im Profil – flache Schnauze – süß, nicht wahr!? Wenn ich überhaupt Geräusche machen würde, wäre das eher so ein … schnurren.
Nicht nur in meiner Blase war eine allgemeine Anspannung zu fühlen.
Wir alle hatten schlecht geschlafen. Ich ganz besonders, mein Magen hatte die halbe Nacht geknurrt.
Nach einem kurzen Pinkeln und einem minimalistischen Frühstück ging es zur hiesigen Wache. Eine unauffällige, heruntergekommene Klitsche war das. Hier residierte Polizeimeister Dirk Schwartz.
Der kam aus dem Dorf und kannte jeden persönlich.
Zu jedem Bürger, der am Tatort angetroffen wurde, konnte PM Schwartz genaue Angaben über Persönlichkeit, Beruf, Gehalt und soziale Kompetenz machen.
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