Gummistiefel wären jetzt natürlich praktisch gewesen. Während er weiterhin meckerte, begann ich sofort mit dem Schnuppern. Von weitem sah ich einige Menschen, die sich wie ein Rudel Hyänen um einen Trecker drängten. Zwei von ihnen machten Fotos mit dem Handy und wurden von dem Dorfpolizisten zusammen geschissen. (Bevor Sie sich Ihre Gedanken machen: der Begriff Handy und die Dinge, die Menschen damit machen konnten, wurden mir von meiner Ghostwriterin vorab erklärt.)
Als ich näher kam, konnte ich die Füße einer Frau erkennen, die unter riesigen Traktor-Reifen im Matsch lagen. Der Rest von ihr war auch Matsch. Grässlich. Neben ihr lag ein Fahrrad – auch Matsch. Ich wusste nicht, dass Fahrradfahren auch für Menschen so gefährlich sein konnte.
Kuhfladen lagen wie Tretminen herum. Bunt-schillernde Fliegen tummelten sich darauf, um die letzten verwertbaren Spurenelemente aufzusaugen. Ein einziger Kuhfladen ist für Fliegen … wie soll ich sagen … wie ein ›Tischlein deck dich‹ … die haben ja tagelang was davon.
Ich schnupperte weiter und beobachtete, wie der Verursacher dieser abscheulichen Tat verarztet und in einem Krankenwagen abtransportiert wurde. War das ein Unfall? Zufall? Sekundenschlaf? Oder vielleicht doch überhöhte Geschwindigkeit?
Ich weiß nicht genau, aber wieviel macht so ein Trecker? Dreißig Km/H?
Leider wurde ich an weiteren Ermittlungen gehindert, da mich Kai wie einen Rucksack unter den Arm klemmte. Ich wollte gar nicht mit, konnte mich aber nicht dagegen wehren. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre riesig wie ein Riesenschnauzer, ein irischer Wolfshund oder ein Pony. Ja – die konnte man nicht so leicht zusammenfalten und auf dem Arm herumtragen.
Kai ging mit mir zu der Gruppe Menschen hinüber, die dort herumlungerten und fragte, wer die Frau gefunden hätte. Ein kleiner Mann, schwarz gekleidet, graues, struppiges Fell meldete sich. Er sah aus wie Gevatter Tod selbst und so roch er auch – moderig. Er schien der Bestatter und gleichzeitig der Pastor zu sein. Mein Gott, was für eine passende Kombi. Sozusagen eine Win-win-Situation.
Ich musste mal dringend, was kein Wunder war, denn Kai drückte mit seinem Arm gegen meine Blase. Sollte ich mich irgendwie äußern? Gott sei Dank setzte er mich in diesem Moment auf dem Weg ab.
Oh oh, jetzt schnell … bevor ich überlaufe. Schnell noch … oh, ganz schön dünn.
Gut, dass mich Kai rechtzeitig aus seiner Umklammerung gelöst hatte. Wer weiß, wie lange ich meinen Schließmuskel noch unter Kontrolle gehabt hätte. Das mussten noch die Nachwirkungen der Aufregung sein. Langsam ging es mir besser. Ich war nun abgelenkt und schaute mich ein bisschen um. An die tote Frau kam ich sowieso nicht mehr ran, dort war für ihren Abtransport schon alles vorbereitet. Die Hardware rollte an. Ein Kranwagen fuhr auf den Hof. Man kann es auch übertreiben, dachte ich, bis ich schnallte, dass der für den Trecker bestimmt war.
Mmm … das Leben ist schön. Was ist das? Kleine Krabbeltiere weckten nun mein Interesse. Cool, wie die so hintereinander herlaufen. Mal sehen, wo die hin wollen. Ist ja spannend. Und wie schnell die sind. Ich werde mal näher rangehen und ein bisschen schnuppern. Herrchen rief mich. Ich kann jetzt nicht . Er rief mich schon wieder. Ich tat, als würde ich ihn nicht hören.
Och Männo, hab keine Lust. Ist grad so lustig hier. Der Boden riecht so gut. Und die Blätter rascheln toll. Na gut, werde mal lieber schnell zu ihm rüber laufen, bevor er meckert. Ich liebte das Herumtollen im Grünen und das Laub mit meiner Nase wie eine Bugwelle vor mir her zu treiben.
Wo bist du Kai! Wo bist du? Ich reckte meinen Hals gen Himmel. Auf meiner Nase kitzelte es. Ich wischte mit meiner Pfote darüber, aber es kitzelte immer noch. Ich wischte ein zweites Mal. Es hörte nicht auf.
Wieso gucken die mich alle an? Die sollen sich um ihre eigenen Sachen kümmern. Herrchen kam mir entgegen und nahm mich auf den Arm. Er lachte, während er mir mit seiner Hand über meine Nase wischte. Was sollte das? Wie ich erfuhr, hatten sich einige Ameisen darauf verlaufen.
Noch bevor der Tatort wieder freigegeben wurde, fuhren Kai, Gunnar und ich mit dem Schrotthaufen weiter. Es dauerte eine Zeit, bis wir auf einem großen Platz vor einem riesigen Gebäude stoppten. Ich stellte mich auf die Hinterpfoten und stützte mich an der Rückenlehne ab. Nun konnte ich hinaussehen. Mit dem Hochhaus, den langgezogenen Gebäude-Komplexen, den Taxen vor dem Haupteingang und den an- und abfahrenden Krankenwagen, musste es das Krankenhaus sein. Kai wollte den Raser verhören, der hier abgeliefert wurde. Inzwischen war es draußen komplett dunkel geworden, aber der Platz war beleuchtet und so konnte ich noch andere Autos entdecken. Cool, ich freute mich. Gleich könnte ich draußen weiterschnuppern und meine Duftmarke hinterlassen. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war. Was für ein Tag.
Ich hüpfte auf der Rückbank hin und her, hechelte und winselte.
Die vorderen Türen gingen auf, die beiden stiegen aus, knallten die Türen vor meiner Nase wieder zu … und gingen weg. Hallo! Ich bin noch hier! Hallo! Was soll das! Ich sprang auf dem hinteren Sitz hoch, immer wieder und bellte. Hochspringen und Bellen wechselten sich ab. Simultan ging irgendwie nicht. Vielleicht hatten sie mich nicht gesehen. Ich kratzte an der Tür und drückte meine Schnauze an das Seitenfenster, das sofort beschlug.
Es half nichts, mir wurde schmerzlich bewusst, dass man mich alleine zurückgelassen hatte. Und wenn sie nicht wiederkommen würden? Wenn Kai mich vergisst, genauso wie Heike mich vergessen hatte? Ich bekam Bauchschmerzen. Mein Herz raste. Angst machte sich über meinen Körper her. Ich musste mich zu erkennen geben. Ich sprang von der hinteren Bank nach vorne und wetzte meine Krallen. Dabei löste ich ungewollt die Warnblinkanlage aus.
Doch niemand wurde auf mich aufmerksam.
Vielleicht half noch lauteres bellen und noch mehr kratzen!?
Oh Gott, die kommen nicht zurück.
Wie lange saß ich hier schon alleine fest? Stunden? Ich war außer Atem, meine Zunge war ganz ausgetrocknet. Ich konnte nicht mehr hinaussehen … war ich blind? Oh nein, ich war blind! Diese spontane Einsamkeits-Erblindung, von der ich schon gehört hatte und die mich jetzt traf. Ich hatte Angst. War nur komisch, dass ich alles andere erkennen konnte – alles andere im Inneren des Wagens. Ich konnte dieses runde Dreh-Ding da vorne sehen (das Steuerrad), womit Kai das Auto und uns fast ins Verderben gesteuert hatte, die Sitze, das Dach … nur die Fenster waren blind.
Ich hörte Stimmen. Es war Herrchen, der meinen Namen rief. Hörte sich aggressiv an. Was sage ich ihm, dass die Sitze jetzt auch noch kaputt waren? Ich hatte sie kaputt gemacht – unbewusst. Vielleicht tue ich einfach so, als würde ich schlafen. Gute Idee. Schnell sprang ich auf den Rücksitz zurück, rollte mich zusammen und machte keinen Mucks.
Herrchen war sauer. Verstand ich gar nicht, ich war doch hier – ich lebte noch. Ich war nicht erstickt, nicht verhungert und dieses Mal hatte ich auch nicht gepupst. Anstatt darüber froh zu sein, guckte er mich noch nicht einmal an. Auch Gunnar ignorierte mich.
Aus Strafe fuhren wir nicht nach Hause. Wir blieben in dieser trostlosen Gegend und gingen gemeinsam mit Gunnar in ein Haus, das sich Hotel nannte. Zuerst hatte ich die Vermutung, Kai würde mich abschieben. Doch dann realisierte ich, dass hier Menschen schliefen, die kein eigenes Bett hatten oder mal alleine sein wollten. Wir blieben hier vor Ort, um weitere Verhöre durchzuführen. Die Fragen, ob Unfall oder Vorsatz mussten geklärt werden.
Hier im Hotel wurde scheinbar gerade umgebaut. Es roch nach frischem Holz und Farbe. Ich musste niesen. Die Chefin vom Ganzen stellte mir eine Schüssel mit Wasser hin. Richtig nett war die. Wenigstens eine kümmerte sich um mich.
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