1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Dahinter stand schon die Schule, besser gesagt die Schulen. Zwei typische Einheitsbauten lagen direkt nebeneinander und noch einmal zwei davon versetzt davon.
Dazwischen befanden sich die Schulhöfe, gepflastert mit denselben quadratischen weißen Steinen. An manchen dafür ausgelegten Stellen wuchsen Bäume und Büsche, welche relativ sorgsam gepflegt wurden.
Vor der Schule warteten schon andere Eltern nebst ihrem nun schulpflichtigen Nachwuchs, deren Gespräche sich mit den Umgebungsgeräuschen, wie fahrenden Autos oder Straßenbahnen mischten.
Da kam auch schon Onkel Holger ums Eck. Er war etwas untersetzt von der Statur, hatte schwarze, langsam grau werdende Haare, einen Bart, eine relativ große dicke Nase und eine Brille. Kai sah ihn und verleierte schon die Augen, als er sicher war, dass es keiner bemerkte.
„Holger! Hier sind wir!“, kreischte die Mutter, um sich bemerkbar zu machen und winkte dabei kräftig.
Er kam näher und sagte an Kai gerichtet: „Na, ist es endlich bei dir auch so weit? Der Tobias ist ja schon in der zweiten Klasse. Und hoffentlich wirst du auch so ein guter Schüler wie er.“
Er tätschelte den Kopf des Jungen, dem das gar nicht gefiel. Aber er ließ es es über sich ergehen und schwieg sich zu dem Gesagten aus.
Dann überreichte Holger ihm die Zuckertüte, die er schon vom Papa des Schulanfängers in Verwahrung bekommen hatte und mit bunten Autos bedruckt war. Oben ragte der Kopf eines Stoffaffen heraus.
„Die wird aber erst später aufgemacht!“, mahnte er.
Kai war mal wieder von dem zackig-scharfen Tonfall des Onkels überrumpelt, so dass er gerade so ein leise genuscheltes „Danke“ herausbrachte, was Holger mit einem leichten Kopfschütteln quittierte. Dann fiel ihm ja noch ein, weswegen er hier war.
„Aufstellung! Wir wollen doch Fotos machen!“, ordnete er im zackigen Tonfall an. Also stellten sich alle drei vor dem hellblau gestrichenen Zaun auf, der das Schulgelände umschloss.
Kai in der Mitte, die Oma links von ihm und die Mama rechts. Beide Frauen hielten noch ihre Blumensträuße in den Händen und Kai seine Zuckertüte.
Die Mutter zischte ihm, während sie ein Lächeln aufsetzte, zu: „Los, lächel doch mal!“, was dem Jungen wegen seiner Nervosität schon nicht gelang – auf Kommando erst recht nicht.
Räumlich versetzt taten andere Familien das Gleiche. Kind(er), Mutter, Vater, Oma, Opa, Rauhaardackel und sonstiger Anhang mussten auf die eine oder andere Weise für die obligatorischen Fotos herhalten.
Und Kai erschien es, als würden alle anderen das mit dem Lächeln viel besser hinkriegen.
Onkel Holger verabschiedete sich fürs Erste, da er ja nur kurz Zeit hatte, weil sein eigener jüngerer Sohn an dessen Schule an der Aufführung für die Erstklässler teilnahm.
Drinnen war ebenfalls eine Willkommensveranstaltung geplant. Die größeren Kinder sangen und tanzten den Erstklässlern etwas vor. Es gab sogar ein kleines Theaterstück. Kai wurde es langweilig. Er war nicht wirklich der beste Stillsitzer, aber er schaute tapfer zu, weil die älteren Kinder sich solche Mühe dabei gaben.
Es wurde gefragt, wer von den Erstklässlern schon schreiben könne. Nur wenige konnten es, und Kai durfte, unter Beifall aller Anwesenden, seinen vollständigen Namen auf ein Blatt Papier, welches die Schuldirektorin ihm gab, aufschreiben.
Deren eigener Sohn kam ebenfalls in Kais Klasse.
Nach der Veranstaltung kamen die Kinder in ihre Unterrichtsräume. Und Kai stellte fest, dass von den drei Kindern aus seinem Wohnhaus, kein einziges bei ihm eingeteilt worden war.
Aber die Annika aus dem Block von gegenüber, die auch bei ihm im Kindergarten war. Na ja, es gab Schlimmeres.
Von der ehemaligen kleinen Bande, die ihn so auf den Kieker hatte, war zum Glück niemand an diese Schule gekommen.
Die ABC-Schützen wurden nun im neuen Klassenzimmer platziert. Tische und Stühle standen in drei Reihen hintereinander.
Einunddreißig aufgeregt lärmende Kinder waren es, die nun darin Platz nehmen sollten. Das Zimmer war recht groß. An beiden Seiten gab es Fenster. Die zum Hof ausgerichteten waren zudem bemalt. An einer der Glasscheiben prangte eine große gelbe Mondfratze. Oder sollte das eine Sonne sein? , fragte sich Kai, der auch registrierte, dass die Farben des Regenbogens am Nachbarfenster nicht die richtige Reihenfolge hatten.
Hinter den Tischen standen Schränke und Regale. Vorne war die Tafel, die man auch verschieben konnte, sodass mehr Platz zum Schreiben zur Verfügung stand.
Natürlich gab es noch den Lehrertisch gegenüber der Tischreihen.
Die Klassenlehrerin hieß Frau Schmidt. Sie war schon etwa dreißig oder vierzig Jahre alt, mittelblond und schlank. Sie trug einen grünen lockeren Rollkragenpullover, dazu dunkelblaue Jeanshosen und ein paar schwarze Schuhe mit einem Absatz.
Kai fand, dass Frauen mit Absatzschuhen beim Laufen aussahen wie Ziegen oder Störche. Bei dem Gedanken kicherte er sich ins Fäustchen.
Sie roch außerdem nach einem Parfüm mit Veilchennote. So starke Gerüche mochte der Junge nicht sonderlich.
Schulalltag
So verstrichen ein paar Monate, und Kai lernte recht schnell besser lesen und schreiben. Er konnte sogar die russischen Buchstaben, da sein Vater ihm diese bereits beigebracht hatte.
Ein Unterrichtsfach, welches er sehr mochte, war Zeichnen. Darin war er spitze. Vor allem, wenn es um Tiere ging. Die bekam er am besten hin. Mathe war auch so weit okay, aber das mochte er nicht sonderlich.
Musik lag ihm nicht im Blut. Schon im Kindergarten sang oder musizierte er nicht wirklich gern. Der Lehrer war schon alt und streng, konnte aber die Kinder immer schnell zum Lachen bringen. Vor allem, als er am ersten Tag seine Violine mitbrachte, so dass jeder darauf herumfiedeln konnte.
Kai war der erste, der durfte. Die Geräusche, die er erzeugte, klangen schlimmer als Katzenjammer, wie er an den verzogenen Gesichtern seiner Klassenkameraden bemerkte.
Er erkannte, dass die Mitschüler sich nicht besser als er anstellten, als sie an der Reihe waren. So, dass auch er öfter sein Gesicht verziehen und sich die Ohren zuhalten musste.
Sein Hassfach war Sport. Der Lehrer schien von der Armee ausgebüxt zu sein. Zumindest die Art war wie die von Onkel Holger, fast noch schlimmer.
Es machte ihm einfach keinen Spaß. Vor allem Mannschafts- oder Ballspiele. Er konnte nämlich nicht gut fangen, zielen und werfen. Dem Rennen und Klettern konnte er eher was abgewinnen.
Bei der Mannschaftsstaffel sollten die Gruppen im Vierfüßergang laufen. Gemeint war auf Händen und Knien, doch Kai dachte sich, S o ein Quatsch! So laufen Tiere doch gar nicht... Ich mach das wie Hunde und Katzen, wenn die rennen.
Damit war er zwar schneller als die anderen, aber kaum galoppierte er los, hagelte es Protest, er wurde zurückbeordert und der Lauf wurde wiederholt. Er musste nun so wie alle anderen herumrutschen, was der Junge für sehr unlogisch und ineffektiv hielt.
Auch in der ersten Klasse wurde er von den anderen aufgezogen, weil er kleiner als die meisten anderen Jungen war, weil er so ruhig war und seinen eigenen Gedanken nachhing.
Seine Kontaktversuche wurden, genauso wie damals und aus ähnlichen Gründen, nicht erwidert. Er passte nicht wirklich dazu. Er schaffte es nicht, bei ihren Spielen mitzuhalten. Oft wollten sie ihn auch nicht dabei haben.
Der Lärm und das Gewusel auf dem Schulhof in der großen Pause verdarb ihm die Laune fürs Spielen erst recht. Mit der Lautstärke konnte er sich nicht besonders arrangieren. Sie bereitete ihm oftmals sogar Schmerzen.
Eines Tages fiel der Lehrerin auf, dass Kai oft alleine war und zeichnete, dass er nicht viel am Pionierleben teilnahm, und auch trotz guter Noten nicht im Gruppenrat war.
Bei den Pionier-, den Gruppennachmittagen oder im Hort saß er meist am Rand und wirkte mehr als abwesend. An den Vorträgen über die Sowjetunion, dem Singen und dem Tanzen zeigte er kein großes Interesse, obwohl er schon einige Worte in Russisch schreiben konnte. Maximal das Basteln oder die Aktionstage über Natur und Tierwelt vermochten ihn aus seiner geheimen Welt zu locken.
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