Unvorstellbar, dass der ganze Mist meiner Schlamasselmeier-Laufbahn unwiderruflich hinter mir lag und ich stattdessen in einer imaginären Wolke der Leichtigkeit wie eine Feder dahinschwebte. Wie in Watte gepackt und eingehüllt in ein sphärisches Irgendwas, das sich wie ein flauschiger Bademantel anfühlte, war ich drauf und dran, mich an dieses himmlische Gefühl zu gewöhnen. Ja, ich konnte es nicht treffender ausdrücken, als himmlisch. So himmlisch, als würde ich wie ein Adler über mir selbst kreisen, erfüllt von einem irrsinnigen Gefühl von Freiheit, über mir nur ein helles Licht, das mich wärmte. Alle meine Ängste dagegen waren verschwunden.
Die Hängematte war mein Wolkenbett. Sollte ich überhaupt noch einmal aufstehen oder mich in aller Ewigkeit der Welt dahintreiben lassen? Im Moment schien es so, als könnte ich das mit einem immerwährenden Lächeln im Gesicht tun. Und doch gab es Achtzehn Millionen Gründe, es nicht zu tun.
Unaufgefordert schob sich plötzlich die Bleifrei -Visage in meine Erinnerung. Nicht mit dem Drang ihn anzurufen und mein Sprüchlein aufzusagen. Nein, das war nicht mehr erforderlich. Wenn ich es getan hätte, dann nur, um ihn wissen zu lassen, dass ich seinen mickrigen Tankladen kaufen wollte um ihn plattmachen zu lassen und ihn mit-samt seinen unfähigen Bediensteten in die Wüste zum Sandsackfüllen zu schicken. Zum Glück löste sich das unschöne Bleifrei gesicht so schnell in der Helligkeit auf, wie es gekommen war.
Meine Visionen wollten nicht am selben Ort verharren, sie zogen eine Station weiter. Es gab ohnehin keinerlei Grenzen in der Freiheit meiner Hängematte der Träume, nur eine unübersehbare Anzahl an Möglichkeiten. Die Vorstellung, in dieser baumelnden Liegestatt Reiseziele per Fingerschnipp auszuwählen, war atemberaubend. Und was sind schon Länder oder Kontinente, oder was heißt schon Insel-hopping für ein Multimillionär, so wie ich jetzt einer war.
Bis vor kurzem bin ich immer an den Reisebüros mit der sicheren Gewissheit vorbeigegangen, dass ich all diese abgebildeten hochglanzblauen Poollandschaften in den Urlaubsparadiesen dieser schönen Erde nie im Leben sehen werde. Und jetzt? Nun hatte ich die Qual der Wahl, echt Scheiße. Aber ich liebte diese Art von Scheiße. Und ich liebte nicht nur diesen geilen roten Porsche, den ich mir anschaffen wollte, nein, ich liebte nun auch Reisebüros. Besonders dann, wenn es absolut keine Rolle spielte, was der Trip kostete. Und noch um ein ganz besonderes Stück mehr, wenn die Reisebürotante nett gekleidet war, etwa mit einem enganliegenden Kleidchen, möglichst kurz, ein passendes Oberteil dazu mit Ausschnitt mit Aussicht, die ganz exklusiv für mich ein Traumpaket mit allem drum und dran zusammenschnürte. Kaum dachte ich an die Reisefrau meiner Träume, waren meine sündhaften Gedanken unweigerlich wieder bei Strapsi gelandet, auch wenn sie noch so ein Miststück war, sie ließ mich nicht los. Egal, es würde bald viele Strapsis für mich geben, vielleicht eine in jedem Land, das ich bereisen werde, und das sollten nicht zu wenige werden.
Für einen kurzen störenden Moment mischten sich ein paar unschöne Erinnerungen wie ein kleines graues Wölkchen in meine Hängematten-Visionen.
Der Rausschmiss aus dem Elternnest. Ich war genau achtzehn, als mein Herr Stiefvater mich vor die Türe gesetzt hatte. Der Tag, an dem ich vergeblich auf Strapsi vor dem Kino gewartet habe und der andere Tag, an dem sie mich zum zweiten Mal sitzen ließ, weil dieser Mistkerl namens Fix sie mir ein zweites Mal ausgespannt hatte, die Serie meiner Auto-Unfallfahrten wie am Fließband, meine Verzweiflungsfahrt mit dem geleasten Fahrzeug, die erst am Baum ziemlich abrupt zu Ende war, der Verlust meines Führerscheins und die meisten meiner Jobs, die ich verloren hatte, das verfluchte Ding mit dem Kartenspielen und meine dazugehörenden Spielschulden, die Beinahe-Abfackelung meiner armseligen Wohnung, bei der ich wenigstens meine Haut und meinen Arsch retten konnte und zuletzt meine erfolglose Entziehungskur, die in meiner kurzen Vagabunden-Phase endete. Aber bald verschwand der Schlechte-Gedanken-Streifzug durch meine beschissene Vergangenheit wie von selbst. Die laue Pinacolada-Atmosphäre gewann wieder die Oberhand in meinem Oberstübchen und die Bleifreis , die Paulichens , der Stief - Willi und all die anderen Menschen, die es nicht gut mit mir gemeint hatten, vernebelten sich von selbst in der karibischen Luft.
Das traumhafte Gefühl vom vollkommenen Glück in einer baumelnden Hängematte war wieder zurückgekommen. Ich konnte sogar den visionären Sand fühlen, wie er durch meine Finger lief wie durch ein feines Sieb. Immer wieder spreizte ich meine Finger, um eine Vorstellung davon zu haben und dabei zusehen zu können. Wenn jeder Cent meines Megagewinnes ein Sandkorn wäre, würde es wohl reichen für eine eigene Sanddüne? Eigentlich völlig egal. Achtzehn Millionen, so oder so, es war eine gewaltige Menge Kies.
Angenommen, ich würde mit meinen angefangenen vierzig Jahren das Geld innerhalb der nächsten vierzig Jahren aufbrauchen wollen, dann könnte ich jedes Jahr eine knappe halbe Million davon ausgeben, also rund vierzigtausend Mäuse pro Monat, und umgerechnet mehr als eintausend an jedem einzelnen Tag meines Lebens. Das würde ich nie schaffen.
Ich gestehe es ein. Ich habe es einfach nie in meinen Kopf bekommen, warum die Mädels hysterisch beim Shopping-queen-Shoppen ausflippen, warum sie kreischend im Schuhladen einfallen und Schuhe sammeln, wie wir als Jungs Briefmarken gesammelt haben und warum sie dann glückserfüllt mit fünf Taschen an jeder Hand die Innenstadt verlassen, als ob sie gerade ein date mit dem lieben Gott erlebt hätten -cooler Typ übrigens-. Und nun bin ich selbst in akuter Gefahr, mir diesen Kaufrausch-Virus einfangen, ohne dass ich einen einzigen Schritt in den Bauch eines Edel-Herrenausstatters riskiert hatte.
Allein die Vorstellung an Markenhemden, -hosen, Gürtel, Jacken, Schuhe in Hülle und Fülle, wollte mich fast aus der kommoden Hängematte vertreiben. Nix mehr mit Angebotsware aus dem wöchentlichen Aldi-Prospekt oder vom Flohmarkt. Das war vorbei. Mein Gedanke galt nur noch dem aufkommenden Hype, dass mich das Preisetikett künftig nicht interessieren würde. Vielleicht kleidete ich meine nächste Strapsi ein, es würde ja keine finanzielle Rolle spielen. Was noch? Eine Uhr? Ja, vielleicht, aber nicht um auf die Uhrzeit zu gucken, sondern nur aus optischen Gründen. Und ich könnte wieder zocken, so richtig. Aber nicht mehr im Hinterzimmer mit den Blödmännern, die mich immer ausgenommen haben. Wenn schon, dann in den Casinos in Las Vegas, auf den Bahamas, in Paris, natürlich auch in Monte Carlo. Mann, ich schwebte von einem Höhenflug zum anderen.
Moment, ihn durfte ich auf keinen Fall vergessen. Mein bester Freund, der mich nie im Stich gelassen hat und der einzige, mit dem ich das Riesenteil fifty fifty geteilt hätte ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hätte mit ihm eine Weltreise gemacht und auf seine alten Tage nochmal alle seine Wünsche erfüllt, auch die Reise nach San Francisco. Leider ging das nicht mehr. Er war alles gewesen, was ich Familie nennen konnte, mein Großvater Steinalt . Und längst war er nur noch ein paar hundert Gramm Asche in seiner Low-Budget-Urne.
Das einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war, sein verwittertes Holzkreuz gegen einen ansehnlichen Mamor-Grabstein mit einer vernünftigen Inschrift auszutauschen: „Hier ruht mein bester Freund, mein Großvater.“ Das war ich ihm schuldig. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, ihn in ein würdiges Grab umbetten zu lassen, oder doch nicht? Großmutter lag auch bei ihm. Aber wie schon Van Morrison sang: „it`s all over now Baby Blue!“
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