„Setzt euch doch zu uns“, lädt Martina sie an ihr rundes Tischchen ein, auf den Stühlen Platz zu nehmen, auf denen eben noch zwei der Männer und eine der Frauen gesessen hatten. „Die müssen noch was besorgen“, erklärt Martina ungefragt. „Ich warte noch auf meinen Mann. Dann muss auch ich gehen.“ Tinas und Lenas erstaunte Blicke verwundern Martina nicht. Sie hat fest mit ihnen gerechnet. „Der mit den kurzen Haaren, der hier saß.“ Zeigt sie auf den immer noch leeren Stuhl ihr gegenüber und erwartet eben diese Reaktion. „Du bist schon verheiratet? Wie alt bist du denn?“ „Einundzwanzig“, lächelt sie, denn sie kennt dieses Erstaunen, diese Art Fragen, ist sie doch in beiden Kulturen aufgewachsen, der deutschen und der italienischen. Von klein auf an musste sie lernen, mit den unterschiedlichen Gepflogenheiten und Gewohnheiten der beiden Kulturkreise umzugehen. „Ja, hier in Italien heiratet man nicht so spät wie bei euch in Deutschland“, erklärt sie den beiden jungen Mädchen daher auch wie selbstverständlich. „Mit neunzehn, zwanzig, einundzwanzig - das ist hier ganz normal.“ Heiraten, wird Tina in diesem Moment klar, das ist bei den Leuten, die sie so kennt, so überhaupt nicht angesagt. Und heiraten in dem Alter, in dem Lena und ich jetzt sind? Noch vor Beendigung der Ausbildung, des Studiums? Das scheint Tina gerade absolut undenkbar. „Hast du denn deinen Mann in Deutschland kennen gelernt?“, will Lena wissen und beißt voller Appetit in ihre Stück Pizza. „Ja, aber er war nur zu Besuch dort. Deshalb spricht er eure Sprache auch nicht. Wegen ihm bin ich auch hier hergekommen, hier in diese kleine Stadt. Aber meine Familie, die ist noch in Deutschland.“ - „Wo genau?“, setzt Tina ihre Tasse wieder ab, ohne getrunken zu haben. Zu heiß noch sind der Kaffee und die Milch darin. „Mayen“, schaut Martina sie mit ihren dunkelgrünen Augen sehnsuchtsvoll an. So unwahrscheinlich es auch ist, so hofft sie doch, wenigsten eine von den beiden würde diesen Ort kennen. „In der Nähe von Koblenz“, ergänzt sie auf das Kopfschütteln der beiden hin und macht einen enttäuschten Eindruck. „Deine Eltern arbeiten dort?“ denkt Lena sich. „Ja“, nickt Martina versonnen. „Sie haben dort ein Restaurant.“ Und es klingt, als hätte sie Heimweh.
„Wisst ihr, woran ich erkannt habe, dass ihr aus Deutschland seid?“, findet sie nach einer Weile zurück an den Tisch. Für Tina und Lena aber stellt sich diese Frage doch gar nicht, wenn Martina doch in Deutschland aufgewachsen ist. „An euren Klamotten!“ erwartet Martina erneut verblüffte Gesichter. „Ja, daran erkennt man Deutsche sofort!“, behauptet sie und zeigt wie zum Beweis auf ihr Kleid. „Ja“, fährt sie fort, weil Tina und Lena schweigend an ihren Cappuccini nippen. „Hier in Italien können sich auch Menschen Mode leisten, die nicht so viel Geld haben. Mode ist sehr wichtig bei uns. Nicht wie in Deutschland, wo modische Kleidung nur für die reichen Leute ist.“ So wie Martina das sagt, wirkt es nicht, als wolle sie Tina und Lena beleidigen. Trotzdem klingen Tinas Worte ein wenig nach Verteidigung. „Mode interessiert mich aber auch echt so gar nicht!“ - „Ja, aber genau das meine ich!“, muss Martina grinsen. „Hier in Italien ist sie wichtig. Bei euch in Deutschland eben nicht. Oder zumindest nur für einige.“ - „Gilt das denn auch im Umkehrschluss?“, will Tina wissen. „Erkennt man die Italiener auch an dem, was sie anhaben?“- „Ich finde schon!“, ist Martina überzeugt und wiegelt dann ab. „Macht euch mal keine Sorgen! Ist ja nicht so schlimm! Und bei den Frauen fällt es eh nicht so sehr auf. Aber wie die deutschen Männer sich in ihrer Freizeit oder im Urlaub kleiden, das würden Italiener sich niemals trauen.“ - „Du meinst mit kurzen karierten Schlabberhosen und einem Hawaihemd?“, hat Tina sofort ein ganz bestimmtes Bild vor Augen. „Ja, genau so!“ lacht Martina nun von Herzen. „Genau so!“
Möglichst unmerklich mustern Lena und Tina nun die Anwesenden und alle, die an ihnen vorbeigehen, studieren, was sie an ihren Körpern tragen. Zugegeben, das entspricht schon dem, was jetzt Mode ist. Die Kleider, die Hemden und Hosen, ja selbst die Farben sehen angesagt aus, und bringt sie dazu zu glauben, dass es ja vielleicht tatsächlich so ist, dass man aufgrund der Kleidung, die Menschen tragen, erkennen kann, aus welchem Land sie kommen. Ein wenig so wie früher eben, als die verschiedenen Trachten und Kopfbedeckungen ein Zeichen dafür waren, aus welcher Region die Menschen stammten.
„Habt ihr denn schon Ferien?“, reißt Martina die Mädchen aus ihren Gedanken. „Es ist doch erst Anfang Juni!“ - „Schleswig-Holstein ist doch immer sehr früh dran“, erinnert Lena Martina daran, dass in Deutschland ja jedes Bundesland zu einem anderen Zeitpunkt in die sechswöchige Schulpause geht. „Und ich“, hat Tina sich gerade den letzten Bissen Pizza in den Mund geschoben „arbeite schon. Also Ausbildung. Erstes Lehrjahr.“ - „Hm“, lächelt Martina etwas müde. „Ich könnte ja jetzt raten, aber ich glaub, ich hab für heute genug davon.“ - „Krankenschwester“, nickt Tina ihr verständnisvoll zu. „Und du?“, würde sie gerne herausfinden, warum Martina und ihr Mann hier tagsüber im Café herumsitzen können. „Krankenschwester?“, ist Martina voller Anerkennung. „Das ist sicher kein einfacher Beruf. Find ich voll cool, dass du das machst!“ Tina, die nun ihrerseits diese Art Reaktionen schon kennt, lächelt nur. „Ach so! Ich?“, begreift Martina endlich. „Ich arbeite in einem Restaurant. Aber nur abends! Dort hinten“, zeigt sie schräg hinter sich, „am Strand.“ - „Ist der Strand nicht da?“, wundert Tina sich und zeigt in die andere Richtung. Herzlich, wie Martina jetzt lacht. „Strand ist hier doch überall. Die ganze Adria entlang - rauf und runter.“ Klar, durchfährt es Tina, dumm von mir! Aber wenn man denn auch so gar keine Orientierung hat!
Hastig kommt der junge Mann mit den kurzen Haaren von der Straße auf sie zu. „Komm!“, scheint er Martina schon von weiten immer wieder aufzufordern. Sie ruft ihm etwas auf Italienisch entgegen. Nervös bleibt er vor Tina und Lena stehen. „Das ist mein Mann!“, stellt Martina ihn erneut vor. „Roberto.“ Roberto aber nickt nur kurz. Dann wirft er leicht genervt den Kopf zur Seite. „Ich muss los“, sagt sie schon im Stehen. „Vielleicht sehen wir uns später noch!“ Und sie folgt ihrem Mann, der hastig zurück zu der Seitenstraße eilt, aus der er eben gekommen ist, als hätte er dort etwas sehr Wichtiges zu erledigen.
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