1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Er sah einen Mann von altmodischem, gichtischem Aussehen gewichtig auf sich zuwatscheln, dessen Haar weiß war wie sein eigenes, dessen blühende Wangen aber glatt rasiert waren und der einen Maschenbinder trug – fast schon ein Halstuch –, dessen Stoffenden zu beiden Seiten weit vom Kinn abstanden; mit runden Beinen, runden Armen, einem runden Leib, einem runden Gesicht machte seine kurze Gestalt den Eindruck, als wäre sie mit einer Luftpumpe bis an die Grenze der Haltbarkeit seiner Kleidernähte aufgetrieben worden. Das war der Direktor des Hafenarsenals, eine höhere Art von Hafenmeister also, eine Persönlichkeit draußen im Osten, die in ihrem Machtbereich nicht ohne Bedeutung ist; ein Regierungsbeamter, über die Hafengewässer gesetzt und mit einer nicht ganz scharf umrissenen Disziplinargewalt über Seeleute aller Klassen ausgestattet. Von diesem besonderen Arsenaldirektor hieß es, dass er seine Macht als jämmerlich unvollkommen empfand, weil sie nicht die Gewalt über Tod und Leben in sich schloss. Das war eine spaßhafte Übertreibung. Kapitän Eliott war mit seiner Stellung recht zufrieden und sich der Machtfülle, die sie bot, recht wohl bewusst. Seine eitle und herrschsüchtige Gemütsart ließ nicht zu, dass sie etwa von seinen Händen unbenutzt verkümmerte. Die laute, heißblütige Offenherzigkeit seiner Auslassungen über den Charakter und die Aufführung mancher Leute machten ihn gefürchtet; wenn auch gesprächsweise manche behaupteten, ihn durchaus nicht zu scheuen, so lächelten doch andere säuerlich bei der bloßen Nennung seines Namens, und es gab sogar manche, die es wagten, ihn einen zudringlichen alten Halunken zu nennen. Doch war fast für jeden einzelnen unter ihnen allen die Aussicht, einen von Kapitän Eliotts Ausbrüchen aushalten zu müssen, so schrecklich wie etwa die völlige Vernichtung.
* * *
V
Sobald er ganz nahe herangekommen war, sagte er mit bärbeißigem Vorwurf:
„Was höre ich da, Whalley? Ist es wahr, dass du die „FAIR MAID“ verkaufst?“
Kapitän Whalley sah beiseite und sagte, die Sache sei abgemacht und das Geld diesen Morgen erlegt worden; und der andere drückte sofort seine Zustimmung zu diesem so ungewöhnlich vernünftigen Schritt aus. Er sei aus seinem Käfig herausgekommen, um vor dem Abendessen die Beine ein wenig gerade zu strecken, erklärte er. Sir Frederick sehe übrigens für seine Jahre noch recht gut aus. Oder nicht? Kapitän Whalley konnte darüber nichts sagen; hatte nur den vorbeifahrenden Wagen bemerkt.
Der Arsenaldirektor versenkte beide Hände in die Taschen eines leichten Röckchens, das für einen Mann seines Alters und seiner Erscheinung unangemessen kurz und eng war; mit einem leichten Hinken fiel er neben Kapitän Whalley, dem er bis an die Schultern reichte, in Schritt. Sie waren vor Jahren gute Kameraden gewesen, beinahe Busenfreunde. Zur selben Zeit, wie Whalley den berühmten „KONDOR“, hatte Eliott die fast ebenso berühmte „RINGDOVE“ für dieselben Reeder geführt; und als die Stelle eines Arsenaldirektors geschaffen wurde, wäre dafür außer ihm nur noch Whalley ernstlich in Betracht gekommen. Kapitän Whalley aber, damals in der Vollkraft seiner Jahre, war entschlossen, niemand als seinem eigenen guten Glück zu dienen. Während er weit weg seine heißen Eisen glühte, freute es ihn zu hören, dass der andere Erfolg gehabt hatte. Der aufgeblasene Ned Eliott hatte eine berechnende Schmiegsamkeit, die ihm in dieser amtlichen Stellung sehr wertvoll sein musste. Und im Grunde waren sie so verschieden, dass es, als sie am Ende der Allee vor der Kathedrale angekommen waren, Whalley noch gar nicht eingefallen war, er selbst hätte an der Stelle dieses Mannes sein können – bis zum Ende seiner Tage versorgt.
Der heilige Bau, der in feierlicher Einsamkeit inmitten der zusammenlaufenden, von ungeheuren Baumriesen umstandenen Alleen aufragte, als wollte er ernste Gedanken des Jenseits in den Feiernden wecken, bot der Lichtflut aus dem Westen ein geschlossenes, gotisches Portal dar. Das Glasfenster in der Rosette über dem Spitzbogen glühte wie feurige Kohle aus dem marmornen Schnörkelwerk. Die beiden Männer kehrten um.
„Ich will dir sagen, was sie nun als nächstes tun sollten“, knurrte Kapitän Eliott plötzlich.
„Nun?“
„Sie sollten einen richtigen lebendigen Lord hier heraus schicken, wenn Sir Fredericks Zeit um ist, wie?“
Kapitän Whalley stellte beiläufig fest, dass er nicht einsehen könne, warum ein Lord von der richtigen Art nicht ebenso guttun sollte wie irgend sonst jemand. Das aber war nicht des Anderen Ansicht.
„Nein, nein. Die Stadt regiert sich selbst, nichts kann sie jetzt aufhalten. Gut genug für einen Lord“, brummte er abgerissen vor sich hin. „Sieh dir die Veränderung seit unseren Tagen an. Wir brauchen hier nun einen Lord. In Bombay haben sie auch einen Lord.“
Er war ein oder zweimal im Jahre im Regierungspalast geladen – einem vielfenstrigen Bau mit Arkaden, auf einem Hügel, der zum Park umgestaltet war. Kürzlich hatte er auch in der Dampfbarkasse, die ihm als Arsenaldirektor zustand, einen Herzog im Hafen herumgefahren, um die Neuerungen zu besichtigen. Vorher war er noch ‚sehr liebenswürdig’ persönlich hinausgefahren, um einen guten Liegeplatz für die herzogliche Jacht auszusuchen. Nachher wurde er an Bord zu Mittag geladen. Die Herzogin selbst saß mit bei Tisch. Eine große Frau mit einem roten Gesicht. Die Haut ganz sonnverbrannt. Ruiniert, seiner Ansicht nach. Sehr liebenswürdig. Sie fuhren nach Japan weiter...
Diese Einzelheiten brachte er zu Kapitän Whalleys Erbauung vor, mit Pausen dazwischen, in denen er wie in gesteigertem Machtgefühl die Wangen aufblies oder die dicken Lippen vorschob, bis seine dunkelrote Nasenspitze in die Milch seines Schnurrbartes zu tauchen schien. Die Stadt regierte sich selbst; war für jeden Lord geeignet; es gab keinerlei Schwierigkeiten, außer in der Seeabteilung – in der Seeabteilung, wiederholte er zweimal und begann nach einem lauten Schnarchen zu erzählen, der Generalkonsul S. M. im französischen Cochinchina habe ihn kürzlich – in seiner amtlichen Eigenschaft – durch Kabel gebeten, einen geeigneten Kapitän für ein Glasgower Schiff hinüberzuschicken, dessen bisheriger Schiffer in Saigon gestorben war.
„Ich machte davon der Offiziersabteilung im Seemannsheim Mitteilung“, fuhr er fort, während das Hinken in seinem Gang sich mit der wachsenden Erregung seiner Stimme zu steigern schien. „Die Stadt ist voll von ihnen. Zweimal soviel Leute als Plätze in der Küstenschiffahrt frei sind. Alle heißhungrig nach einem schönen Posten. Zweimal soviel – und – was glaubst du, Whalley? ...“ Er brach kurz ab; man sah, wie er die Fäuste ballte und sie noch tiefer in die Taschen schob, dass diese im nächsten Augenblick bersten zu wollen schienen. Kapitän Whalley entschlüpfte ein leichter Seufzer.
„Was? Du meinst wohl, sie wären vor Hast übereinander gestolpert? Keine Rede davon. Fürchten sich heimzukehren. Ganz nett und warm hier heraußen, in einer Veranda zu liegen und auf einen Posten zu warten. Ich sitze in meinem Büro und warte. Niemand. Was glauben die Kerle? Dass ich da wie ein Affe sitzen bleiben würde, mit dem Telegramm des Generalkonsuls vor mir? Nicht gern! So sah ich also eine Liste durch, die ich über diese Burschen habe, schickte nach Hamilton, dem schlimmsten Faulenzer unter ihnen – und brachte ihn einfach auf den Trab. Drohte ihm, ich würde den Verwalter des Seemannsheims anweisen, ihn Hals über Kopf hinauszuwerfen. Er war der Meinung, der Posten sei nicht gut genug – hast du Worte! ‚Ich habe gewisse Aufzeichnungen über Sie’, sagte ich. ‚Sie sind vor achtzehn Monaten hier gelandet und haben seither keine sechs Monate gearbeitet. Nun sind Sie im Heim den ganzen Unterhalt schuldig und nehmen wohl, wie ich glaube, an, das Seeamt werde schließlich zahlen. Wie? Das werden wir auch; wenn Sie aber diese Gelegenheit nicht benutzen, so gehen Sie mit gebundener Marschroute auf dem ersten heimkehrenden Dampfer, der hier vorbeikommt, nach England zurück. Sie sind nichts anderes als ein Almosenempfänger. Wir wollen keine weißen Bettler hier!’ Damit erschreckte ich ihn. Aber denk dir doch, wieviel Ärger ich von alledem hatte.“
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