1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Kapitän Whalley, der aussah, als hätte er eben im Stillen eine Summe zusammengezählt, fuhr leicht auf. Er konnte es sich wirklich nicht denken. Die Stimme des Arsenaldirektors bebte vor Erregung. Der Mann habe tatsächlich das Glück gehabt, den zweiten Haupttreffer in der Manila-Lotterie zu gewinnen. Alle diese Maschinisten und Deckoffiziere spielten ja in der Lotterie. Es schien ein förmlicher Irrsinn unter ihnen.
Nun erwartete jedermann, dass er sich mit seinem Gelde nach Hause machen und nach seiner Façon zur Hölle fahren würde. Durchaus nicht. Die „SOFALA“, für ihre Route zu klein und nicht modern genug befunden, war von ihren Reedern, die einen neuen Dampfer aus Europa bestellt hatten, zu einem sehr anständigen Preise zu haben. Der Mann griff schleunigst zu und kaufte sie. Er hatte nie irgendwelche Zeichen des Wahnsinns verraten, der durch den plötzlichen Besitz einer großen Geldsumme hervorgerufen werden kann, niemals – bis er ein Schiff sein eigen nannte; dann aber verlor er mit einem Schlag sein Gleichgewicht: kam lärmend in das Seeamt, um das Schiff auf seinen Namen überschreiben zu lassen, den Hut auf das linke Auge gedrückt und ein Stöckchen zwischen den Fingern wirbelnd, und sagte jedem der Beamten einzeln, dass ihn nun niemand mehr hinauswerfen könne. Die Reihe sei an ihm. Nun gäbe es auf Erden niemand mehr über ihm, und es würde auch niemand mehr geben. Er stolzierte zwischen den Tischen herum, sprach mit lauter Stimme und zitterte dabei am ganzen Leibe, so dass alle Amtsgeschäfte ruhten, solange er da war und jedermann in dem großen Raum mit offenem Munde seinem Gehaben zusah. Später konnte man ihn dann während der heißesten Tagesstunden mit feuerrotem Gesicht die Quais auf und ab rennen sehen, um sein Schiff von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten; er schien geneigt, jeden Fremden, der gerade des Weges kam, anzuhalten, um ihm mitzuteilen, dass ‚nun niemand mehr über ihm sei; er habe ein Schiff gekauft; nun könne ihn niemand mehr auf Erden aus seinem Maschinenraum hinaussetzen.’
Wenn der Handel auch noch so gut war, so verschlang doch der Preis der „SOFALA“ so ziemlich den ganzen Lotteriegewinn. Er hatte kein Betriebskapital übrigbehalten. Das machte nicht so sehr viel aus, denn es waren ja die goldenen Tage des Küstenhandels, bevor noch einige der Reedereien daran gedacht hatten, an Ort und Stelle kleine Flotten zu schaffen, um die Hauptlinien zu versorgen. Sobald diese einmal eingerichtet waren, nahmen sie natürlich die größten Stücke aus dem Kuchen für sich weg. Und dann war bald die schöne alte Zeit für immer vorbei. Durch Jahre hatte die „SOFALA“ seiner Ansicht nach kaum mehr als den nackten Lebensunterhalt verdient. Kapitän Eliott hielt es für seine Pflicht, jedem englischen Schiff, soweit es anging, zu helfen; und es lag auf der Hand, dass die „SOFALA“, wenn sie erst einmal aus Mangel an einem Kapitän ihre Fahrten zu versäumen begann, sehr bald ihre Handelsbeziehungen einbüßen würde. Das war nun die Schererei. Der Mann war zu unverträglich. „Von Anfang an zu sehr ein Bettler auf dem Pferd“, erklärte er. „Schien mit der Zeit immer schlimmer zu werden. Während der letzten drei Jahre hat er elf Schiffer gehabt, hat es mit jedem einzelnen Menschen hier außerhalb der regulären Linien versucht. Ich hatte ihn früher schon gewarnt, dass sich das auf die Dauer nicht halten würde, und jetzt will natürlich niemand von der „SOFALA“ etwas wissen. Ich habe mir ein oder zwei Leute ins Amt kommen lassen und habe mit ihnen gesprochen; aber sie sagten mir alle, was es für einen Sinn haben sollte, einen Posten anzunehmen, um einen Monat lang ein rechtes Hundeleben zu führen und sich am Ende der ersten Reise vor die Tür setzen zu lassen? Der Bursche versicherte mir natürlich, das sei alles Unsinn; seit Jahren sei eine Verschwörung gegen ihn im Gange. Die sei nun ausgebrochen. Alle die verdammten Seeleute im Hafen hätten sich zusammengetan, um ihn auf die Knie zu zwingen, weil er nur ein Ingenieur sei.“
Kapitän Eliott kicherte gurgelnd.
„Und die Tatsache ist die, dass er sich, wenn er noch ein paar Fahrten versäumt, gar nicht mehr die Mühe zu nehmen braucht, nochmals auszulaufen. Der wird auf seiner alten Route keine Ladung mehr finden. Heutzutage gibt es viel zuviel Wettbewerb, als dass die Leute ihre Sachen liegenlassen und auf ein Schiff warten würden, das niemals kommt, wenn es fällig ist. Die Aussichten für ihn sind nicht gut. Er schwört, dass er sich lieber an Bord einschließen und in seiner Kabine verhungern, als das Schiff verkaufen wolle – selbst wenn er einen Käufer finden würde. Und das ist durchaus nicht wahrscheinlich. Nicht einmal die Japaner würden die Versicherungssumme dafür geben. Es ist nicht wie mit dem Verkauf von Segelschiffen. Dampfer werden eben nicht nur alt, sondern vor allem unmodern.“
„Er muss sich aber doch ein schönes Stück Geld zurückgelegt haben“, meinte Kapitän Whalley ruhig.
Der Arsenaldirektor blies seine dunkelroten Wangen zu erstaunlichem Umfang auf.
„Keinen Pfifferling, Harry, keinen – einzigen – Pfifferling.“
Er wartete; als aber Kapitän Whalley langsam seinen Bart strich und vor sich auf den Boden sah, ohne ein Wort zu reden, da tippte er ihn, auf die Fußspitzen gereckt, auf den Arm und krächzte flüsternd:
„Die Manila-Lotterie hat ihn aufgefressen.“
Dann zog er eine Grimasse und nickte wiederholt mit dem Kopf. Sie alle spielten; ein Drittel der Gehälter, die an Schiffsoffiziere (‚in meinem Hafen’, schnarrte er) gezahlt wurden, gingen nach Manila. Es war wie ein Irrsinn. Der Bursche Massy war davon ganz am Anfang gepackt worden, wie die anderen auch; nachdem er aber erst einmal gewonnen hatte, schien er überzeugt zu sein, er brauchte es nur noch einmal zu versuchen, um noch einen Haupttreffer zu machen. Seither hatte er für jede Ziehung Dutzende und aber Dutzende von Losen gekauft. Infolge dieses Lasters und seiner geschäftlichen Unkenntnis war er seit dem Kauf des Dampfers in ständiger Geldverlegenheit gewesen.
Dies war nach Kapitän Eliotts Meinung eine Gelegenheit für einen vernünftigen Seemann mit ein paar Pfund in der Tasche, herzugehen und den Narren vor den Folgen seiner Narrheit zu retten. Es war seine Schrulle, mit seinen Kapitänen Streit zu suchen. Er hatte ein paar wirklich tüchtige Leute gehabt, die nur zu gern geblieben wären, hätte er sie bloß gelassen. Aber nein. Er schien zu glauben, dass er nicht der Reeder sei, wenn er nicht frühmorgens jemand hinauswarf und abends mit dem Neuen einen Streit hatte. Was er brauchte, das war ein Schiffer, der sich mit ein paar hundert Pfund an dem Schiff beteiligen würde. Man entlässt keinen Menschen ohne Grund, einfach nur des Spaßes halber, ihm sagen zu können, er solle seinen Kram packen und sich an Land scheren, wenn man weiß, dass man dann seinen Anteil auszuzahlen hat. Andrerseits ist es nicht wahrscheinlich, dass ein Mensch, der am Schiff beteiligt ist, im Zorn wegen eines Nichts seinen Posten aufgeben würde. Er habe das Massy gesagt, habe gesagt: „‚Das geht nicht, Herr Massy. Wir im Seeamt sind Ihrer ziemlich überdrüssig. Nun bleibt Ihnen nichts, als einen Seemann als Teilhaber zu finden. Das scheint mir der einzige Weg.’ Und das war kein schlechter Rat, Harry.“
Kapitän Whalley stand reglos auf seinen Stock gestützt, seine Hand, die den Bart hatte streichen wollen, war zu festem Griff angehalten worden. – Und was habe der Bursche dazu gesagt? Der Bursche habe die Frechheit gehabt, auf den Arsenaldirektor loszufahren. Er habe den Rat in unverschämtester Weise aufgenommen. „Ich bin nicht hierher gekommen, um mich auslachen zu lassen“, habe er gebrüllt. „Ich wende mich an Sie als Engländer und Reeder, der durch eine ungesetzliche Verschwörung Ihrer verdammten Seeleute an den Rand des Ruins gebracht worden ist – und alles, was Sie sich herbeilassen, für mich zu tun, ist, dass Sie mir sagen, ich sollte mir einen Teilhaber suchen...“ Der Bursche habe sich nicht entblödet, vor Wut auf den Boden des Privatkontors zu stampfen. Wo sollte er einen Teilhaber hernehmen? Hielt man ihn zum Narren? Kein einziger von der verwünschten Horde dort im ‚Heim’ habe auch nur ein Zweipencestück in der Tasche. Das wusste noch der letzte der Eingeborenendiebe in den Bazars... „Und es stimmt ja allerdings, Harry“, brummte Kapitän Eliott nachdenklich. „Bei jedem einzelnen von ihnen ist es eher wahrscheinlich, dass er einem der Chinesen in Denham Road für die Kleider am Leibe Geld schuldet. ‚Nun’, sagte ich, ‚Sie machen für meinen Geschmack zuviel Lärm deswegen, Herr Massy. Guten Morgen.’ Er schlug die Tür hinter sich zu; er wagte es, meine Tür zuzuschlagen. Gott strafe seine Frechheit!“
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