»Cliff, das ist Maximilian, mein Neffe«, stellte Tante Lisa die beiden einander vor, »und Max, das ist Cliff, unser Vorarbeiter.«
Max hätte ihm ja gern der Höflichkeitshalber die Hand gereicht, doch die Lust dazu verging ihm, als ihn dieser Cliff nur kurz abschätzig musterte und sich dann wieder abwandte. Als wäre Max nichts weiter als eine kleine, zermatschte Fliege auf seiner Windschutzscheibe, die er während der Fahrt leider nicht fortwischen konnte und erdulden musste.
Und unter diesem Mann sollte er arbeiten? Na, das konnte ja heiter werden.
»War das dann alles?«, fragte der Vorarbeiter. »Ich bin beschäftigt. Gerade wollte ich die Zäune abreiten.«
»Max ist hergekommen, um hier zu leben«, berichtete Tante Lisa.
»Aha. Fein.« Cliff interessierte das offenkundig kein bisschen.
»Hier leben bedeutet auch, hier zu arbeiten, Cliff«, kam Tante Lisa nun zum wesentlichen Punkt. Sie klang ein wenig verärgert. »Ich sagte dir doch, wir bekommen einen Neuen.«
»Ja, und ich sagte dir auch, dass ich nicht die Verantwortung für einen Halbwüchsigen übernehmen werde, der mal eben Bock hat, Cowboy zu spielen!«
Na prima, jetzt kam Max sich wirklich dumm vor. Sollte er etwas sagen? Sich verteidigen? Stattdessen trat er unbehaglich von einem auf den anderen Fuß und kam sich wirklich vor wie ein kleiner Junge, den keiner haben wollte.
Tante Lisa duldete wie immer keine Widerworte, auch von ihren Arbeitern nicht. In einem Tonfall, der deutlich machte, dass sie darüber nicht diskutierte, trug sie auf: »Du nimmst Max mit. Zeig ihm die Farm. Und ab morgen wirst du ihn einarbeiten. Klar?«
»Oh Lisa...«, stöhnte Cliff entnervt.
»Klar?«, fragte Max‘ Tante wiederholt.
Es dauerte einen Moment, aber schließlich nickte dieser Cliff. Er sagte nichts mehr, auch nicht zu Max, er wandte sich einfach ab und ging.
»Geh mit ihm«, forderte Tante Lisa ihn beruhigend auf. »Er wird dir ein Pferd geben.«
Max trank sein Glas aus und gab es seiner Tante, bevor er wortlos dem mürrischen Vorarbeiter hinterher trottete.
Ihm war unwohl dabei. Zum einen, weil er nicht wusste, wie er mit jemanden sprechen sollte, der ihn offensichtlich von Vorneherein ablehnte, und zum anderen, weil er seit Jahren auf keinem Pferd mehr gesessen hatte und gar nicht wusste, ob er überhaupt noch reiten konnte. Wobei seine Fähigkeiten diesbezüglich auch damals nicht gerade gut gewesen waren.
Er war in der Lage, sich in einen Sattel zu schwingen und die Zügel nicht zu verlieren, aber wirklich sicher saß er nicht auf einem dieser Tiere.
Max folgte Cliff zu den Ställen. Dort roch es nach Pferden und nach Heu, aber auch nach Leder. Man hörte das Schnauben der Tiere und das Schaben ihrer Hufe. Es war fantastisch.
Urplötzlich blieb Cliff stehen und Max wäre beinahe gegen ihn gelaufen.
Cliff nahm sich das Recht heraus, die Augen deshalb zu verdrehen. Dann nickte er in die Box herein, vor der sie standen, und brummte: »Nimm ihn.«
Damit ging er bereits zwei Stalltüren weiter, wo er dann sein Pferd anband.
Okaaay..., dachte Max bei sich. Das würde ein sehr schweigsamer Ritt werden.
Max las von der Boxentür ab, dass der Name des Pferdes Charlie lautete. Seufzend nahm er das Halfter und den Strick, beides hing an einem Haken an der Boxenwand, und öffnete die Tür.
Der dunkelbraune Wallach dahinter hob neugierig den Kopf aus einem Heuhaufen.
Max ließ sich beschnuppern, ehe er etwas unbeholfen und ungeschickt das Halfter anlegte und den Wallach aus der Box führte, um ihn davor anzubinden.
Auf dem Boden vor der Box stand eine Kiste mit allerlei Zeugs, um das Pferd zu bürsten und zu striegeln. Max erinnerte sich zum Glück noch gut daran, wie das ging.
Sorgfältig bürstete er das dunkle Fell des Tieres, während er immer mal wieder nervös über die Schulter blickte und zu dem Vorarbeiter sah, dessen Handgriffe routiniert und schnell von Statten gingen.
Cliff war natürlich früher fertig, zumal er kurz in einer Kammer verschwunden und mit Sattel und Trense zurückgekommen war, die er seinem Pferd anlegte.
Max wurde nervös. Er wusste nicht, wo er den passenden Sattel und das Zaumzeug für Charlie finden würde. Sollte er einfach nachschauen gehen? Sollte er einfach fragen?
Wenn er aber dumme Fragen stellen würde, würde ihn das sicher nicht beliebter bei Cliff machen. Aber konnte er wirklich noch weiter an Ansehen verlieren?
Ihm wollte einfach nicht in den Kopf, weshalb Cliff ihn von Beginn an nicht leiden konnte.
Lag es an seiner schmächtigen Figur? An seinem Alter? Seinem Aussehen oder Auftreten? War er in den Augen des anderen kein richtiger Mann?
Bei all diesen Überlegungen war ihm entgangen, dass Cliff noch einmal in die Kammer gegangen war. Umso erschrockener zuckte er zusammen, als sich plötzlich ein schwerer Westernsattel samt Satteldecke darunter auf den Rücken des Pferdes legte.
Cliff kam um das Pferd herum, er schob Max einfach Beiseite, richtete und gurtete den Sattel dann fest. Als nächstes legte er dem Wallach das Zaumzeug an, dann drückte er Max die Zügel in die Hand und ging.
Kein Wort, kein Blick. Der Mann schien entschlossen, Max einfach, soweit es ihm möglich war, zu ignorieren.
Als Cliff sein Pferd hinausführte, folgte Max ihm auf den Hof. Dort schwang sich der Vorarbeiter in den braunen Ledersattel, und Max sah sich gezwungen, zu versuchen, allein auf sein Pferd zu kommen.
Was gar nicht so einfach war. Charlie war ein großes Pferd und Max war ein kleiner Mann. Den Fuß in die Steigbügel zu schieben schien unmöglich...
Und der Wallach hatte nach einigen Fehlversuchen auch die Schnauze voll, er wich Max seitlich aus, sodass Max gezwungen war, hinterher zu hüpfen, da sein Fuß im Steigbügel hing.
Nach einer gefühlten, sehr peinlichen Ewigkeit, gelang es ihm schließlich, sich irgendwie in den Sattel zu ziehen.
Als er endlich obendrauf saß, erkannte er, dass Cliff belustigt schmunzelte.
Wie gerne Max ihm dieses gehässige Grinsen aus dem Gesicht gewischt hätte!
Immerhin ließ Cliff es unkommentiert und wendete sein Pferd, um im Schritttempo davon zu reiten.
Max brauchte einen Moment, um sein Pferd in Bewegung zu setzen, aber dann begriff Charlie, was er von ihm wollte, und folgte dem anderen Reiter durch ein offenes Tor im Zaun.
***
Lange waren sie schweigend nebeneinander her geritten, immer an Grenzzäunen entlang, durch unzählige Tore hindurch, einmal sogar durch eine Rinderherde, die friedlich graste. Max hatte großen Respekt vor den Tieren gehabt.
Die Landschaft war – atemberaubend!
Er konnte das gar nicht in Worte fassen, wie surreal es sich anfühlte, auf einem Pferderücken durch das Outback.zu reiten. Von trockenem, staubigen Boden bis hin zu kleinen, grünen Oasen, alles kreuzte seinen Weg. Die Ranch besaß viele sanfte Hügel, kleine Seen, die Landschaft war mit Eukalyptusbäumen durchzogen. Es war etwas anderes als ein Bauernhof in Deutschland. Das Land seiner Tante war riesig und man kam sich in der Zeit zurückversetzt vor. Moderne hatte hier draußen kaum eine Bedeutung. Natürlich hörte man auch mal einen Motor auf einer weit entfernten Straße, aber ansonsten gab es nur die Natur und viele Rancher setzten weiterhin auf Pferde.
Weit und breit nur Freiheit, bis auf hin und wieder einen Zaun, der ihren Weg kreuzte. Wilde Tiere, die man sonst nur im Zoo sieht.
Die Gebäude waren längst nicht mehr in Sicht und der nächste Nachbar lag auch zu weit entfernt, um ihm nach drei Metern zuwinken zu können. Wenn man sich hier draußen allein bei der Arbeit verletzte, konnte es schnell brenzlig werden. Es war nicht wie in Deutschland, dass ständig jemand vorbeilief.
Immer Mal wieder schielte Max unauffällig zu Cliff. Und immer dann schmunzelte dieser amüsiert vor sich hin, weshalb Max sich fragte, ob er vielleicht irgendetwas falsch machte. Der Vorarbeiter grinste ja sicher nicht aus purer Lebensfreude ...
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