Vor laufender Kamera tritt das Brautpaar vor die am Kirchenausgang versammelte Masse, umringt von Reportern, mühselig beschützt von heillos überforderten Polizisten. Als sich das Brautpaar seinen Weg bahnen will, grapschen promigierige Hände nach dem Schopf der Braut und reißen an deren Schleier und Kleid, sodass sich die Hochzeitsgesellschaft zurück in die Kirche flüchten muss. Saxe triumphiert wie bei einem gelungenen Filmstart: „We broke all the house records for this church! It was terrific!“, ehe er dem sowieso schon völlig entnervten Brautpaar mitteilt, dass sich die Flitterwochen wegen eines Nachdrehs zu Evans’ neuem Film zu verschieben hätten („Darling, release dates are not waiting for honeymoons.“).
Obwohl die verblüffende Nähe von Bennett und Sherman zu ihren Filmfiguren fast das Niveau von Judy Garland als Esther Blodgett in „A Star Is Born“ (1954) oder Gloria Swanson und Erich v. Stroheim in „Sunset Blvd.“ (1950) erreichte, ragte „What Price Hollywood?“ der reinen Hollywoodformalität nach jedoch kaum aus der Mittelmäßigkeit heraus. Adela Rogers St. Johns und Jane Murfin waren bei den 1932er Academy Awards für das Beste Originaldrehbuch nominiert. Ansonsten musste der Film als Box-Office-Niederlage verbucht werden, da er unter Berücksichtigung von Vertrieb und Marketing kaum das Geld einspielte, das RKO für ihn ausgegeben hatte. Auch dass in ihm durchaus feministisch progressiv die Frau als andauernde Retterin des kaputten Mannes fungiert und sich als Alleinerziehende mit Karriere behauptet, verschaffte ihm später nicht die Beachtung, die man diesem vergessenen Werk inzwischen schenken sollte.
Die nachhaltigste Wirkung, die von „What Price Hollywood?“ ausging, war indes eine ganz andere: Der Film machte Selznick im Nachhinein zum Initiator des Quasi-Franchise von „A Star Is Born“, einer regelmäßigen Selbstreflexion der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Nur fünf Jahre später begann diese Serie – abermals mit David O. Selznick im Zentrum des Geschehens.1
Ein Stern geht auf
Ein Drehbuch mit dem Vermerk „Final shooting script“ wird aufgeschlagen, die erste Szene spielt im Mondschein, in dem sich in verschneiter Landschaft mit Wolfsgeheul das „isolated farmhouse“ der Blodgetts im Hintergrund abzeichnet. Dann sieht man die dazugehörige Einstellung, eine fast märchenhafte Szenerie, irgendwo im Nirgendwo von North Dakota. Esther (Janet Gaynor) kommt gerade mit ihrem kleinen Bruder Aleck (A.W. Sweatt) aus dem Kino, aus einem Norman-Maine-Film. „He never does anything but kiss a lot of girls“, resümiert der Jüngere und die Ältere erwidert: „Norman Maine is one of the best actors in pictures.“ Sie träumt von einer Karriere als Filmstar, deren Wesen und Anforderungen sie aus Fanmagazinen zu kennen glaubt. „She’s just a silly little girl whose head has been turned by the movies“, bescheidet ihre Tante (Clara Blandick). Aus Esthers Hollywoodfantasie erwächst indes eine ernsthafte Ambition, die sie ihren skeptischen Verwandten mit ihrem kleinen Farm-Horizont an den Kopf wirft: „What’s wrong with wanting to get out and make something of myself?“
Träume, aus dem Herkunftsmilieu auszubrechen und ein Leben zu beginnen, das von dem der Eltern und Großeltern drastisch abweicht, waren die notwendige Voraussetzung, um das Elternhaus zu verlassen und den Neubeginn fernab der überkommenen Strukturen zu wagen. Aber die hinreichende Bedingung erfüllte sich erst für die Generation der 1920er und 1930er Jahre: als auch die Mittel und Infrastruktur dafür bereitstanden – erschwingliche Mobilität dank Zügen und Kraftfahrzeugen. Und im Falle von Esther Blodgett natürlich die PR-Auswüchse der Hollywoodindustrie in Gestalt der vielen Fanmagazine, die junge Menschen wie Blodgett mit einem solchen Gedanken überhaupt erst infizierten. Esther jedenfalls verbringt ihre Freizeit im Kino, studiert die Fanzeitschriften und übt sich in Imitationen von Stars à la Greta Garbo („And the other day I caught her talking to a horse with a Swedish accent“, empört sich die Tante). Ihr Weg nach Hollywood ähnelt dem Aufbruch der (wahlweise mutigen oder verzweifelten) Siedler:innen zu Frontier- Zeiten, die sich auf den langen und beschwerlichen Weg nach Westen aufmachten, in eine ungewisse, doch hoffentlich blühende Zukunft. Und deshalb findet Esther auch die Unterstützung ihrer Großmutter Lettie (May Robson). „When I wanted something better“, sagt die lebenserfahrene Frau, „I came across those plains in a prairie schooner“. Ihren Mann töteten Indianer, sie vergrub ihn und fuhr weiter. „There’ll always be a wilderness to conquer. Maybe Hollywood’s your wilderness now.“ Die Großmutter überlässt der Enkelin ihr Erspartes, damit sie mit dem Zug nach Kalifornien, nach Hollywood, reisen kann. Gerade vor dem Hintergrund der damaligen Wirtschaftskrise in den USA erinnert das entfernt an den Aufbruch der von Sandstürmen und Trockenheit gepeinigten Menschen aus dem Mittleren Westen, die in den Dreißigern, also ungefähr zur Zeit von „A Star Is Born“, sich zu Hunderttausenden nach Kalifornien aufmachten, weil ihre Felder verdorrt und ihre Böden wertlos geworden waren – ähnlich, wie die glamourösen Träume einer jungen Frau in North Dakota allmählich verblühen.
Dieser Prolog ist bereits einer der wenigen Aspekte, die „A Star Is Born“ von dem fünf Jahre zuvor erschienenen „What Price Hollywood?“ (1932) unterscheiden. Die Ähnlichkeit beider Filme war so groß, dass RKO beinahe seinen einstigen Produktionsleiter David O. Selznick verklagt hätte. Denn der inzwischen unabhängige Selznick war der Produzent von „A Star Is Born“; vielleicht auch deshalb hielt sich der „What Price Hollywood?“-Regisseur (und enge Selznick-Freund) George Cukor von dem Projekt fern und lehnte die abermalige Regie ab. Die übernahm stattdessen William „Wild Bill“ Wellman, der im Ersten Weltkrieg als waghalsiger Jagdflieger an der europäischen Westfront gekämpft hatte, gerne mal die Fäuste sprechen ließ und vor seinem Wechsel zu einem anderen Studio dem Paramount-Leiter B.P. Schulberg zum Abschied einen Haufen Pferdeexkremente auf dem Schreibtisch hinterließ. Wellman bekam später zusammen mit seinem 13 Jahre jüngeren Co-Autor Robert Carson den Oscar für die Beste Originalgeschichte – die einzige reguläre Academy-Trophäe, die „A Star Is Born“ gewann (Kameramann W. Howard Greene erhielt darüber hinaus 1938 eine Ehrenauszeichnung für die Farbfotografie, die allerdings erst im Jahr darauf, 1939, zu einer eigenen Oscarkategorie avancierte). Bei insgesamt sieben Nominierungen war dies freilich eine enttäuschende Ausbeute. Nichtsdestotrotz war „A Star Is Born“ einer der bedeutendsten Filme des Jahres 1937, nominiert als Bester Film; weitere Nominierungen gab es in den wichtigsten Bereichen: Bester Hauptdarsteller, Beste Hauptdarstellerin, Beste Regie, Bestes Drehbuch und damals noch (zum letzten Mal) Beste Regieassistenz.
Dass Wellman und Carson für die Originalgeschichte mit dem bedeutendsten Filmpreis der Welt ausgezeichnet wurden, zeigt freilich die Ungerechtigkeiten und Verrücktheiten der Filmbranche. In der Tat waren es Wellman und Carson, die ursprünglich an Selznick mit einem Konzept herantraten, wodurch das Projekt überhaupt erst angestoßen wurde und ein Fundament erhielt. Selznick hatte sich nach Stationen in drei der größten Hollywoodstudios – MGM, Paramount und RKO – mit dem Ruf des jungen, ungemein begabten Filmemachers als Independent Producer gerade unter dem Panier „Selznick International Pictures“ selbstständig gemacht und kannte Wellman gut. Im Januar 1927 hatte Wellman dem nach einem Streit mit Irving Thalberg bei MGM arbeitslos gewordenen Selznick einen neuen Job verschafft – als Assistent von B.P. Schulberg bei den Famous Players-Lasky-Studios. Außerdem war Selznicks Bruder Myron der Agent von Wellman. Für Selznick, der sich mit den wenigen Produktionen, die sein kleines Studio pro Jahr stemmen konnte, keinen Flop erlauben durfte, war ein weiterer Film über Hollywood ein unternehmerisches Wagnis; und so wird Wellmans Anteil an dem Projekt nicht zuletzt in der Überzeugungsarbeit bestanden haben, einen mitunter zögerlichen Selznick auf diesen Film einzuschwören.
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