Ich erzählte Ali kurz wie ich aus der Botschaft entkommen war und dass ich schnellstmöglich das Land verlassen muss. Sicherlich war meine Abwesenheit bei der täglichen Kontrolle am Morgen aufgefallen und mein Passfoto an alle Behörden weitergeben worden. Zwar hatte ich einen weiteren Ersatzpass, der in meiner Jacke eingenäht war, ich hieß jetzt Gunner Sandberg, war Schwede und in Stockholm geboren, das Passfoto zeigte aber unverkennbar meine Visage, Flughäfen, öffentliche Verkehrsmittel und Grenzübergänge waren mir also verschlossen. Daher fragte ich Ali um Rat, wie ich am besten und unerkannt das Land verlassen kann. Du musst über das Gebirge fliehen, im Osten, zwar wäre der Weg zum Kaspischen Meer näher, das wirst du aber ohne Kontrollen nicht erreichen können. Nein, wähle den längeren Weg über das Gebirge nach Turkmenistan, die sprechen dort kein Farsi, aber du wirst dich schon mit ihnen verständigen können, bis dorthin wirst du nicht mehr als zwei oder drei Tage benötigen, ich kenne mich gut aus, bin dort geboren und weiß, dort gibt es nur selten Kontrollen, du musst nur manchmal die Hauptstraßen meiden, verkleide dich wie ein einfacher Arbeiter, du sprichst ja unsere Sprache gut, und wenn du Glück hast wirst du nicht auffallen. Am ersten Abend als ich mein Versteck aufgesucht hatte, sah ich in einer Ecke des Hinterhofs einen alten Lastwagen stehen, der scheinbar schon einige Zeit nicht mehr benutzt wurde, die Fenster waren total verstaubt und auf der Ladefläche stapelten sich einige leere Kisten, selbst der Schlüssel stecke noch im Zündschloss. Ali meinte nur lakonisch, ich werde die alte Kiste für dich wieder zum Laufen bringen lassen. Wir sprachen nicht viel, Ali stecke mir etwas Geld in meine Tasche, pass gut auf dich auf, wir sehen uns bald wieder. Er wollte gerade zurück gehen, da drehte er nochmals seinen Kopf zu mir um und fragte, Mike weißt du eigentlich warum Terri so eine einzigartige Frau ist, sie ist nicht nur von überwältigender Erotik, egal wie oft wir zusammen waren, es war immer wunderschön und niemals gab es einen peinlichen Moment zwischen uns, auch hatte ich niemals ein schlechtes Gewissen, und so soll es auch bleiben, dann drehte er sich wieder um und verschwand genauso geräuschlos wie er gekommen war.
Kurz vor Morgengrauen sah ich von meinen Versteck aus, wie drei dunkel gekleidete Männer den Hinterhof betraten, jeder hatte etwas schweres in beiden Händen, sie schauten sich kurz nach allen Seiten um, gingen dann geradewegs zum Lastwagen, zwei von ihnen öffneten den Tankdeckel, steckten einen großen Trichter in die Öffnung und schütteten den Inhalt von vier Benzinkanistern in den Tank. Der Dritte hob die Motorhaube an, holte einen Schraubenschlüssel aus seiner Tasche, lockerte die Verankerungen der Batterie, entfernte die beiden Kabel von den Polen, hob die alte Batterie heraus und ersetzte sie durch eine Neue. Die leeren Kanister und die alte Batterie stellten sie hinter dem Laster ab, für die ganze Aktion hatten sie nicht länger als zehn Minuten benötigt, alles verlief fast geräuschlos, sie schauten kurz zu mir herüber, aber ohne mir ein Zeichen zu geben, kein unerwünschter Beobachter hatte etwas von der ganzen Aktion mitbekommen. Einige Minuten später, mit einer gefüllten Wasserflasche in der Hand, öffnete ich die Autotür, auf dem Fahrersitz lag noch eine Landkarte, mit einem Bleistift war ein Fluchtweg eingezeichnet. Schon beim ersten Versuch sprang der Motor an.
Bis zum Gebirge waren es etwa fünfhundert Kilometer wenn ich nur auf den eingezeichneten Seitenstraßen fahren würde. Ali hatte mir auf der Rückseite der Landkarte noch einige Instruktionen eingezeichnet, was ich vermeiden sollte und wo ich Unterkunft finden konnte. Da es noch dunkel war, als ich vom Hinterhof heraus fuhr, schaltete ich nur das Standlicht ein, es waren keine weiteren Fahrzeuge oder Personen auf den Straßen zu sehen und nach einer guten halben Stunde konnte ich schon die Häuser der Stadt hinter mir in meinen Rückspiegel langsam verschwinden sehen. Der Tank war vollgefüllt, ich brauchte mir also um den Treibstoff keine Sorgen zu machen und es bestand keine Gefahr, dass an einer Tankstelle Videoaufnahmen von mir gemacht werden könnten. Ich fuhr in östlicher Richtung, der Verkehr nahm langsam zu, meistens waren es hochbeladene Lastwagen die mir entgegen kamen, einige Autos überholten mich, aber niemand nahm von mir Notiz. Am frühen Nachmittag, nach etwa zweihundert Kilometer erreichte ich eine kleine Ortschaft, in einer landwirtschaftlichen Gegend mit Obst und Getreide Anbau. In der Ortschaft war ein Krämerladen, den Ali mir auf der Rückseite der Karte beschrieben und empfohlen hatte, dort könne ich mir neben Lebensmittel auch noch nützliche Ausrüstungsgegenstände für meine Wanderung über die Berge und für die Nächte besorgen, der Besitzer des Ladens würde keine Fragen stellen, so war es dann auch. Ich besorgte mir eine wetterfeste Jacke, entsprechendes Schuhwerk, ein Feuerzeug, einen alten Kompass und eine Taschenlampe, sowie Proviant für drei Tage. Nachdem ich bezahlt hatte, meinte der Verkäufer nur, ich sollte lieber hinter dem Haus dem Feldweg entlang fahren, bis zum Wald und dort bis zum Einbruch der Nacht warten und mich und den Laster verdeckt halten. Danach wäre keine Polizeikontrolle mehr zu erwarten und die Straße wäre wieder frei für den Rest der Fahrt bis zu den Bergen.
Je näher ich dem Gebirge kam, umso schlechter wurden die Straßen, schließlich war es nur noch ein reiner Schotterweg, ohne Licht war die Straße kaum noch zu erkennen, so entschloss ich mich, nach weiteren zwei Stunden Fahrt, einen gesicherten Platz für die Nacht zu suchen, ich überquerte einen kleinen Fluss über eine Holzbrücke und stellte den Laster auf einem schmalen Weg zwischen zwei Tannen ab, die den Blick auf das Auto von der Straße aus verdeckten. Der Fluss führte klares Wasser, nach vier Tagen konnte ich mich endlich wieder einmal richtig waschen, es war mehr als nötig, Menschen beginnen unangenehm zu riechen, wenn sie lange kein Wasser mehr gesehen haben, erst merken es die anderen, dann man merkt man es selbst. Ich zog meine Kleidung aus und stieg nackt in den Fluss, das Wasser reichte mir bis zur Schulter es war kalt und erfrischend. Handtuch hatte ich keines dabei, so ließ ich mich vom Wind trocknen, bevor ich wieder meine Klamotten anzog. Die Nacht verbrachte ich auf der Ladefläche zwischen den leeren Kisten. Es war das erste Mal, dass ich seit längerer Zeit wieder einmal unter dem freien Himmel schlief, nach der Enge in der Botschaft fühlte ich mich wie im Paradies, unzählige leuchtende Sterne über mir, dazu noch das leise Stimmengewirr von unsichtbaren Tieren und das leise rauschen des Wassers, dass kontinuierlich dem Tal entgegen floss. Ich schloss die Augen und sah Terri mit einem breiten Lächeln vor mir, dann bin ich recht schnell eingeschlafen. Gegen Morgengrauen wurde es kalt, ich begann zu frieren, ich hatte aber nichts dabei womit ich mich einwickeln konnte. Meinen Atem konnte ich sehen, es sah so aus, als würde Zigarettenrauch den Weg nach außen durch meine Nasenlöcher suchen. Brennbares Holz lag genug herum, aber Feuer wagte ich keines zu machen, dazu begann es auch noch leicht zu regnen, nur einige Tropfen, ich stieg von der Ladefläche herunter und zog mich ins Führerhaus zurück, dort blieb ich bis zum Sonnenaufgang.
Ali hatte mir auf der Rückseite der Landkarte auch die Stelle angegeben, bis zu der ich fahren sollte, es waren noch etwa einhundertzwanzig Kilometer bis dorthin. Bevor ich weiter fuhr füllte ich noch meine Flasche mit Wasser vom Fluss auf, überquerte die alte Brücke und bog in die Straße ein. Seit es bergauf ging war mir kein weiteres Fahrzeug mehr begegnet, auch hatte ich keinen Menschen gesehen und nahm an, dass auch mich keiner gesehen hatte. Auf dem Weg nach oben kam ich an zwei Gehöften vorbei, einige Leute arbeiteten auf den Feldern und überall wo ich hinsah waren Hühner, aber niemand schien sich um mich zu kümmern, obwohl mein Laster nicht gerade geräuschlos war. Nach vier Stunden Fahrt hatte ich die Stelle erreicht, die mir Ali empfohlen hatte, wo ich den Laster abstellen sollte, ein schmaler Feldweg führte wieder über eine Holzbrücke zu einem spärlich bewachsenen Wald, nur wenige Bäume standen noch dort, nach den Baumstümpfen zu schließen, wurden die meisten schon vor einiger Zeit gefällt und wahrscheinlich als Bauholz oder zum Heizen verwendet, dort endete auch der Weg. Ich stieg aus, raffte meine sieben Sachen zusammen, alles passte in den neuen Rucksack, den Zündschlüssel ließ ich stecken, die Nummernschilder hatte ich schon am Abende zuvor abgeschraubt, mir war aufgefallen, dass die meisten Autos in der Gegend keine Nummernschilder hatten, so konnte auch niemand erkennen woher der Laster kam, als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme hatte ich nach Sonnenaufgang mit dem Spaten ein kleines Erdloch ausgehoben, etwa hundert Meter vom Laster entfernt, die Autoschilder hinein gelegt und wieder mit der Erde zugeschüttet. Nachdem ich die Erde noch mit der flachen Seite des Spatens festgeklopft und mit einigen Zweigen bedeckt hatte, musste ich von nun an zu Fuß weiter gehen, dafür war ich gut ausgerüstet und Bergsteigen machte mir sowieso keine Schwierigkeiten. Ich musste nur peinlichst darauf achten, von niemanden gesehen zu werden. Ich ging zur Straße zurück, von wo aus ich einen guten Überblick über die ganze Gegend hatte. Ich schätzte, bis zu den Berggipfeln waren es etwa sechs bis zehn Kilometer, erst erfolgte ein flacher Anstieg, über grüne Wiesen hinweg, bevor es steiler wurde, richtige Hindernisse konnte ich nicht erkennen. Entsprechend der Landkarte waren die Berggipfel auch die Grenze zum Nachbarland, die musste ich nur erreichen, wichtig war nur, dass mich wirklich niemand sah. Ich hatte mir die Landschaft genau eingeprägt und war mir sicher, den Steilhang auch in der Dunkelheit erreichen zu können, zumal die Nächte hier meist sternenklar sind. Ich suchte mir ein geeignetes Versteck auf der anderen Straßenseite, von wo aus ich einen guten Überblick über die Gegend hatte, musste aber dort bis zum Anbruch der Dunkelheit warten, bevor ich mich auf den Weg machen konnte. Noch am späten Vormittag kam ein einzelner junger Mann von oben der Straße entlang gelaufen, von meinem Versteck aus konnte ich ihn gut erkennen, er hatte dunkle Kleidung an, er konnte nicht älter als sechzehn oder siebzehn Jahre alt gewesen sein, ansonsten ließ sich keine weitere Menschenseele blicken. Nach einigen Stunden, am späten Nachmittag, kam der junge Mann wieder zurück, seine Schritte hatte ich schon vor einigen Minuten gehört, bevor er um die Biegung kam, sah ich, wie er plötzlich stehen blieb, in den Feldweg hinein schaute, genau dorthin wo der Laster stand. Zuerst schien er zu zögern, er schüttelte ungläubig den Kopf und entschied sich dann aber näher heran zu gehen, er ging einige Male verunsichert um das Fahrzeug herum, ich konnte es an seiner Haltung und seiner Gestik erkennen, dass er nicht glauben konnte, was er da sah. Hätte er die Motorhaube berührt, so wäre ihm aufgefallen, dass der Motor noch etwas warm war, er tat es aber nicht. Nach einer Weile stieg er in das Fahrerhaus und kurz danach hörte ich wie der Motor aufheulte, er hatte zu viel Gas gegeben. Sicherlich war er kein geübter Fahrer, einmal hatte er den Motor sogar noch abgewürgt, der Laster machte einen kleinen Sprung nach vorne und blieb dann stehen, aber schließlich gelang es ihm rückwärts auf die Straße zu fahren, ohne im Straßengraben zu landen. Von meinem Versteck aus sah ich, wie er langsam die steile Straße nach oben fuhr, als er hinter einer Kurve verschwand, hörte ich nur noch für einige Minuten das Knattern des Motors, dann trat wieder Stille ein. Nach Sonnenuntergang, die Dämmerung setzte schon früh ein, machte ich mich auf den Weg, nutzte jede mögliche Deckung aus, alles war einfacher als ich erwartet hatte, nach zwei Stunden hatte ich den Steilhang erreicht, unter mir lag das Tal, mit einem Gehöft und dort stand auch der Lastwagen, der nun wohl einen neuen Besitzer gefunden hatte. Die Bergspitzen leuchteten noch hell auf, obwohl die Sonne schon seit einiger Zeit hinter den Bergen verschwunden war. Vom Tal zog die Dunkelheit bis zu mir nach oben. Da ich ab jetzt das Gelände vor mir nicht mehr richtig erkennen konnte, richtete ich mich für die Nacht ein, ich fand zwischen zwei Felsen eine gesicherte Liegemöglichkeit, dort wuchs grünes Moos und daneben hatten sich braune Blätter angesammelt, obwohl keine Bäume in unmittelbarer Umgebung standen, der Wind hatte sie wohl hier zusammen gefegt, über mir nur Sterne und himmlischer Frieden, ich zog den Reisverschluss meiner Windjacke nach oben, streifte die Kapuze über meinen Kopf, das Moos hatte die Sonnenwärme des Tages gespeichert und sie an meinen Rücken abgegeben, kurz danach schlief ich ein. In der Nacht wurde es kalt und feucht, das Moos wirkte wie ein Schwamm, saugte das Wasser auf und gab einen Anteil davon wieder an mich ab. Ich merkte auch, wie mir einige Tropfen von der Stirn über meine Nasenspitze in den Hals liefen, mein Oberkörper war durch die Windjacke geschützt und blieb trocken, aber meine Hose klebte feucht an meinen Beinen und ich begann zu frieren. Ich dachte an Terri, wenn es uns nachts zu kalt wurde, dann rückten wir näher zusammen und wärmten uns gegenseitig, zwischen ihr und mir lagen aber leider mehr zehntausend Kilometer, so musste ich mir irgendwie anderes helfen. Mit der linken Hand schaufelte ich einiges Laub über meine Hosenbeine um damit etwas von der Kälte abzuhalten. Noch bevor die Sonne aufging bemerkte ich, dass sich im Laub noch andere Bewohner angesiedelt hatten, es waren Ameisen, die an meinen Beinen nach Wärme suchten, die meisten konnte ich wieder abschütteln und als die Sonne langsam aufging zog ich Hose und Strümpfe aus und legte alles flach auf den großen Felsen zum Trocknen aus.
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