Nur allzu gern hätte ich diesen ehrenwerten und gebildeten Herren auch eines meiner Werke vorgeführt, da ich es ja auch in diesem Moment bei mir trug. Ihr wohlgefälliges Urteil und die Anerkennung der hohen Aufgabe hätten meine Seele ganz sicher erfreut. Leider ließ aber der Stand der Dinge etwas Derartiges nicht zu. In meinen Augen hatte allein der Höchste und Heilige Kaiser ein gemäßes Anrecht darauf, das Werk als erster zu sehen. Und es wäre mir als seinem loyalen Diener unbotmäßig und auf gewisse Weise auch verräterisch erschienen, anderen den Vorzug in dieser Angelegenheit zu geben. Und so beließ ich es, wo es war, sicher verwahrt und vor fremden Blicken geschützt.
Doch dann wandelte sich plötzlich das Bild. Die Kaufleute zogen sich schweigend auf die eine Seite des Schiffes zurück, Bruder Pilegrinus auf die andere. In einem ruhigen Augenblick nahm mich Pilegrinus beiseite und bedeutete mir, dass ihm die Gegenwart der Kaufleute auf dem Schiffe seelische Schmerzen bereitete.
Ich fragte ihn, was ihn denn so sehr bedrücke.
„Sie sind keine ehrbaren Männer!“, sagte er beschwörend.
„Warum denn nicht, mein lieber Pilegrinus?“
„Sie sind nicht Gottes Wille! Und sie gehören keinem ehrbaren Stande an.“
„Aber es sind gute Kaufleute und auch sehr verständig. Warum zweifelt Ihr an ihnen?“
Bruder Pilegrinus stöhnte auf.
„Das ist es ja eben! Sie gehören nicht zu den Betenden und nicht zu den Kämpfenden. Aber zu den Arbeitenden kann man sie auch nicht zählen. Was sie tun, ist sich an den Dingen der anderen schamlos zu bereichern. Sie nehmen dem einen das Korn und verkaufen es dem anderen, mit Gewinn, aber ohne das Korn zu mahlen oder zu backen. Und einem anderen nehmen sie das Tuch, um es andernorts auf dem Markte feilzubieten. Aber es ist immer noch dasselbe Tuch, keinen Mantel oder Rock haben sie daraus gemacht! Das ist wider des Herrn Gebot. Oder wie denkt Ihr darüber, Bruder Liutprand?“
„Ich sehe wohl, was Ihr meint, Bruder Pilegrinus. Ihr denkt an den Wucher, der wahrhaft eine schmähliche Sünde ist?“
„Nein, nein, ehrwürdiger Liutprand, nicht der Wucher macht mir Sorge. Das Vergehen besteht schon allein darin, dass hier Zeit verkauft wird. Zeit! Versteht Ihr?“
Beschwörend blickte er mich an, während seine Hand nach der meinen griff.
„Aber ruht nicht die Zeit allein in Gottes Hand?“, fuhr er fort. „Und hat nicht auch schon Jesus, unser Herr, die Kaufleute aus dem Tempel vertrieben?“
Ich sah ihn aufmerksam an. Möglicherweise hatte er recht mit dem, was er sagte.
Ohne auf meine Erwiderung zu warten, hob Pilegrinus die freie Hand zum Himmel und rief: „Das ist ein deutliches Vorzeichen für das böse Schicksal, welches sie beim Jüngsten Gericht erwartet, Liutprand! Die Hölle ist ihnen sicher, wenn der Herr ihnen nicht die Gnade gewähren sollte, stattdessen ewiglich im Fegefeuer zu schmoren.“
Nun war es für mich doch an der Zeit, ihm zu antworten, wenn ich mir nicht sein Missfallen für den Rest der Reisegesellschaft zuziehen wollte.
„Ach, lieber Pilegrinus“, sagte ich also zum Trost, „zürnt ihretwegen nicht so sehr. Wir werden ihre Anwesenheit wohl nicht lang ertragen müssen. Im nächsten Hafen gehen sie sicher wieder an Land und Ihr müsst Euch nicht weiter um ihr Seelenheil sorgen. Ich bin sicher, der allmächtige Herrgott wird es für uns richten.“
Damit war Bruder Pilegrinus fürs Erste zufriedengestellt und auch ich begann, mich wieder den schönen Dingen zu widmen.
Zunächst kamen wir wegen eines widrigen Windes nur schlecht voran und als wir die große hölzerne Brücke südlich von Wormatia erreichten, sahen wir wieder die Reiter, wie sie in strengem Galoppe auf die Brücke zuhielten. Doch wir hatten Glück, der Herrgott hielt seine schützende Hand über uns und wir fuhren wohlbehalten darunter hindurch, bevor sie die Stelle über uns erreichen konnten. Bis zu diesem Moment wussten weder ich noch jemand anderes auf dem Schiff, was die Männer so erzürnt hatte, dass sie uns verfolgten, was ja nun offenbar wurde. Als sie feststellten, dass wir ihnen entwischt waren, schossen sie uns zwei Pfeile hinterher, bis der Anführer den beiden Bogenschützen eine schallende Ohrfeige versetzte und diese enttäuscht ihre Bögen sinken ließen. Insgesamt zählte ich an die fünf Männer, wobei einer von ihnen am Ausgang der Brücke zurückgeblieben war. Franco spuckte nach ihnen aus und sagte etwas, das ich hier unmöglich wiedergeben kann, weil es mich schämen müsste. Auch die beiden burgundischen Kaufleute schimpften in ihrer fremden Sprache, und so dachte ich nicht weiter darüber nach.
Mir selbst ging es nicht sehr gut um diese Zeit. Ein böser Zahnschmerz bedrückte mein Gemüt, die rechte Backe war dick angeschwollen und ich konnte weder essen noch in den Schlaf kommen. Missmutig kauerte ich in einer Ecke des Schiffes und wartete sehnsüchtig darauf, dass der Schmerz nachlassen würde. Der gute Franco versuchte mich zu trösten und betete für mich, aber es half nichts. Ich kannte nicht viele Mittel, die wir hier in der Fremde dagegen verwenden konnten.
Als Bruder Pilegrinus mich so bemerkte, setzte er sich zu uns und sagte: „Mein lieber Liutprand, wohl sehe ich, dass Euch etwas peinigt, doch weiß ich nicht, wie Euch zu helfen sein wird. Ist es ein Backenzahn?“
Ich blickte ihn an, nickte kurz und versank erneut in Betrübnis.
„Mir hat in früheren Jahren oft geholfen“, fuhr er fort, „jeden Morgen nach dem ersten Gebet einem grünen Teichfrosche ins Maul zu spucken und ihm mit den Worten ‚Nimm das Übel mit!’ allen Schmerz zu übertragen. Dieses war dreimal zu wiederholen und dann jeden Tag weiter, solange die Schmerzen nicht fort sind. Und es hat immer gute Wirkung getan.“
So riet er mir, ebenfalls in diesem Sinne zu verfahren, und ich hoffte und betete, dass er recht haben möge. Und wenn es half, die Last des Schmerzes etwas leichter zu ertragen, wollte ich schon zufrieden sein, auch wenn grüne Teichfrösche in dieser Gegend vielleicht nicht eben leicht zu beschaffen waren. Wir würden die gemeinen Bauern in einem nahegelegenen Dorfe danach fragen müssen.
Eine Stunde, bevor die Dunkelheit hereinbrach, hieß uns der Schiffsmeister an Land gehen, weil er sein vorbestimmtes Ziel erreicht hatte. Die Stelle zum Anlanden bestand aus nicht viel mehr als einem kleinen Steg, der wie ein Dorn in den Fluss ragte und einen gar gebrechlichen Eindruck machte. Der Steg lag auf der linken Seite des Ufers, etwas weiter voraus auf der rechten Seite erblickte ich eine Feste, die auf einem felsigen Vorsprunge erbaut war und den Fluss zwang, einen großen Bogen drum herum zu machen. Sie wirkte recht bedrohlich, ganz aus grauem Stein erbaut, und es lagen mindestens siebzig Ellen Fels zwischen dem Fluss und dem ersten gehauenen Stein. Auf einer der oberen Zinnen des wehrhaften Turmes entdeckte Franco zwei Wachen mit Helmen, für meine schwächer werdenden Augen waren sie bereits viel zu klein geworden. Aus diesem Grunde war ich ganz froh, dass die Feste auf der anderen Seite lag. Wir würden es dem Fluss gleichtun und einen großen Bogen um sie herummachen.
Der Schiffsmeister wollte seinem Gehilfen an Land gerade eine Leine für den Steg zuwerfen, als plötzlich die fünf Reiter mit ihren kleinwüchsigen Pferden und lautem Gebrüll um die Ecke geritten kamen, als hätten sie nur darauf gewartet, dass wir uns dem diesseitigen Ufer näherten. Dem Schiffsmeister fuhr der Schreck in die Glieder, und nicht nur ihm, sondern auch mir, als ich die gespannten Bögen bei zweien von ihnen sah. Der Gehilfe wurde von einem krummen Pfeil ins Bein getroffen und stürzte sogleich ins Wasser. Ich weiß nicht, ob er es absichtlich tat, um sein Leben zu retten, oder unabsichtlich, weshalb er dann wohl untergegangen und dem Tode geweiht wäre. Da ich nun aber viel zu sehr mit mir selbst und meinem eigenen Überleben beschäftigt war, konnte ich sein Schicksal nicht weiterverfolgen.
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