Ellen hatte die Hände gerungen und zum Aufschub geraten, damit Scarlett sich ihre Entscheidung gründlicher überlegte. Aber für ihre Bitten hatte Scarlett nur taube 0hren und ein abweisendes Gesicht. Heiraten wollte sie, und das schleunigst - binnen vierzehn Tagen.
Als sie erfuhr, daß Ashleys Hochzeit vom Herbst auf den 1. Mai vorverlegt worden sei, damit er ins Feld gehen könne, setzte sie das Datum für die eigene Hochzeit auf den Tag vor der seinigen fest. Ellen war nicht damit einverstanden, aber Charles trat mit neugeborener Beredsamkeit dafür ein. Er war ungeduldig, zu Wade Hamptons Legion in Südcarolina zu stoßen, und Gerald nahm für die jungen Leute Partei. Ihn hatte d as Kriegsfieber gepackt, auch freute er sich, daß Scarlett eine so gute Partie machte - und sollte etwa er junger Liebe sich in den Weg stellen, wenn der Krieg im Anzug war? Ellen gab schließlich verzweifelt nach, wie es andere Mütter im Süden auch taten. Ihre geruhsame Welt war auf den Kopf gestellt, ihr Rat, ihr Bitten und Beten war machtlos gegen die Gewalten, die sie mit sich fortrissen.
Der Süden war trunken vor Begeisterung und Erregung. Jeder glaubte, daß eine einzige Schlacht den ganzen Krieg beenden würde. Jeder junge Mann stelle sich, so rasch er konnte, um noch mit dabeisein zu können - heiratete seine Liebste, so schnell es ging, und ritt dann auf und davon nach Virginia, um die Yankees zu schlagen. Dutzende von Kriegsheiraten fanden in der Provinz statt. Für Abschiedsschmerz war kaum Zeit, jeder war zu geschäftig und aufgeregt für ernste Gedanken und Tränen. Die Damen nähten Uniformen, strickten Socken und wickelten Binden, die Männer exerzierten und schossen. Durch Jonesboro fuhren täglich Militärzüge auf ihrem Weg nordwärts nach Atlanta und Virginia. Einige Truppenabteilungen hatten bunte, scharlachrote, hellblaue und grüne Uniformen, es war die Miliz, die von der besten Gesellschaft gebildet wurde. Andere Abteilungen trugen grobe handgewebte Jacken und Bärenmützen, noch andere überhaupt keine Uniform, sondern Tuchanzüge und Batistwäsche. Alle waren halb ausgebildet, halb bewaffnet, außer sich vor Erregung und schrien durcheinander, als wären sie zu einem Picknick unterwegs. Der Anblick dieser Leute versetzte die jungen Leute der Provinz in eine wahre Panik. Sie fürchteten, der Krieg könnte aussein, bevor sie nach Virginia gelangten, und die Vorbereitungen für den Abmarsch der »Truppe«wurden beschleunigt.
Mitten in all diesem Durcheinander rüstete man zu Scarletts Hochzeit, und ehe sie es sich versah, hatte sie Ellens Hochzeitskleid und Schleier an und schritt an ihres Vaters Arm die breite Treppe in Tara hinunter, um ein ganzes Haus voller Gäste zu begrüßen. Später kam ihr alles wie ein Tra um vor, die vielen hundert Kerzen, die an den Wänden flammten, das liebevolle, ein wenig beunruhigte Gesicht der Mutter, in dem die Lippen sich in stummem Gebet für das Glück der Tochter bewegten, Gerald, hochrot von Branntwein und von Stolz, daß seine Tochter sowohl Geld wie einen vornehmen und alten Namen in die Familie brachte - und Ashley, der unten an der Treppe stand, mit Melanie am Arm.
Als sie sein Gesicht sah, dachte sie: »Dies alles kann nicht wahr sein. Es kann nicht sein. Es ist ein böser Traum. Nachher wache ich auf und sehe, daß alles nur ein Traum war. Jetzt darf ich nicht daran denken, sonst fange ich vor all den Leuten an zu schreien. Ich kann jetzt überhaupt nicht denken. Das tue ich später, wenn ich es aushallen kann - wenn ich seine Augen nicht mehr sehe.«
Alles war wie ein Traum, der Weg durch die Reihen lächelnder Menschen, Charles' rotes Gesicht, sein Stottern und ihre eigenen Antworten, die so erschreckend klar und kalt herauskamen. Und dann die Glückwünsche, die vielen Verwandtenküsse, die Tischreden, der Tanz - alles, alles wie ein Traum. Sogar Ashleys Kuß auf ihre Wange, sogar Melanies sanftes Flüstern: »Nun sind wir wirklich und wahrhaftig Schwestern«, kamen ihr unwirklich vor. Selbst die Aufregung, die der 0hnmachtsanfall von Charles' rundlicher, gefühlvoller Tante Miß Pittypat Hamilton hervorrief, wirkte wie ein Alpdruck.
Als aber Ball und Gläserklingen endlich zu Ende waren, als der Morgen dämmerte und all die Gäste aus Atlanta, die in das Herrenhaus und das Haus des Aufsehers gepfercht werden konnten, sich auf Betten, Sofas und am Boden ausgebreiteten Strohsäcken zur Ruhe gelegt hatten und die Nachbarn nach Hause gefahren waren, um sich für den nächsten Tag und die Hochzeit in Twelve 0aks vorzubereiten, da zerbrach die traumhafte Entrücktheit wie Kristall an der Wirklichkeit. Wirklich aber war der errötende Charles, der im Nachthemd aus ihrem Ankleidezimmer zum Vorschein kam und dem erschrockenen Blick auswich, mit dem sie ihn über das heraufgezogene Laken anstarrte.
Natürlich wußte sie, daß verheiratete Leute in demselben Bett schlafen, aber sie hatte noch nie näher darüber nachgedacht. Bei Vater und Mutter war das etwas ganz Natürliches, auf sich selbst hatte sie die Tatsache nie bezogen. Nun wurde ihr zum erstenmal seit jenem Gartenfest wirklich klar, was sie auf sich genommen hatte. Der Gedanke, dieser fremde Junge, den sie eigentlich gar nicht hatte heiraten wollen, sollte zu ihr ins Bett steigen,während ihr das Herz brach vor Reue über ihre Übereilung und vor Schmerz, Ashley auf immer verloren zu haben, war mehr, als sie ertragen konnte. Ab er zögernd näher kam, flüsterte sie heiser: »Wenn du mir nahe kommst, schreie ich. Das tue ich! So laut ich kann! Mach, daß du wegkommst!Untersteh dich nicht, mich anzurühren!«
Charles Hamilton verbrachte also die Hochzeitsnacht auf einem Sessel in der Ecke, nicht einmal so unglücklich, denn er verstand die zarte Verschämtheit seiner Braut oder glaubte doch, sie zu verstehen. Er wollte gern warten, bis ihre Angst sich verlöre, nur ... nur - er seufzte, während er sich verrenkte, um eine bequeme Lage zu finden - er mußte ja so sehr bald schon in den Krieg!
War ihre eigene Hochzeit für sie schon gespenstisch gewesen, Ashleys Hochzeit war es noch mehr. Scarlett stand in dem apfelgrünen Kleid für den »zweiten Tag« im Salon zu Twelve 0aks mitten im Glanz von vielen hundert Kerzen, umdrängt von der gleichen Menschenmenge wie am Abend vorher, und sah Melanie Hamiltons schlichtes Gesichtchen zu Schönheit erglühen, als sie Melanie Wilkes wurde. Nun war Ashley auf immer dahin. Ihr Ashley. Nein, jetzt nicht mehr der ihre. War er es jemals gewesen? Alles ging so durcheinander in ihrem Sinn, ihr Kopf war so müde, so verworren. Er hatte gesagt, daß er sie liebte. Was hatte sie denn eigentlich getrennt? Wenn sie sich nur darauf besinnen könnte! Sie hatte die Klatschmäuler der Provinz durch ihre Hochzeit mit Charles zum Schweigen gebracht, aber was lag daran? Es war ihr damals so wichtig vorgekommen, jetzt war es so völlig gleichgültig. Das einzige, worauf es ankam, war Ashley. Nun war er fort und sie an einen Mann verheiratet, den sie nicht liebte, den sie sogar verachtete.
Amschlimmsten ward die Erkenntnis, daß sie allein an allem schuld war. Ellen hatte versucht, sie zurückzuhalten, aber sie hatte nicht hören wollen.
So vertanzte sie die Nacht von Ashleys Hochzeit wie betäubt, sprach mechanisch allerlei, lächelte und verwunderte sich über die Dummheit der Menschen, die sie für eine glückliche Braut hielten und nicht sahen, daß ihr das Herz gebrochen war. Nun, Gott sei Dank, daß sie es nicht sehen konnten.
Als Mammy ihr dann beim Ausziehen geholfen hatte und hinausgegangen war, als Charles schüchtern in der Tür des Ankleidezimmers auftauchte, unsicher, ob er auch die zweite Nacht in dem Roßhaarstuhl zubringen mußte, brach sie in Tränen aus. Sie weinte, bis Charles zu ihr ins Bett stieg und sie zu trösten suchte, weinte wortlos, bis ihr keine Tränen mehr kamen, weinte sich schließlich an seiner Schulter in den Schlaf.
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