Die vier Tarletons, hinter ihnen die Fomaineschen Jungens, lösten sich von den übrigen, liefen eilig nach dem Stall und riefen dabei gellend: »Jeems! Jeems! Pferde satteln!«
Einem von ihnen muß das Haus brennen, sagte sich Scarlett. Feuer hin, Feuer her, sie mußte jetzt ins Schlafzimmer zurückgelangen, ehe sie entdeckt wurde.
Ihr Herz hatte sich beruhigt, auf Zehen schlich sie die Stufen hinauf in den lautlosen Flur. Schwere warme Schläfrigkeit lag über dem Hause, als schliefe es selbst ruhig wie die Mädchen bis zum Abend, um dann mit Musik und Kerzen zur vollen Schönheit aufzublühen. Vorsichtig hob sie die Tür des Ankleidezimmers ein wenig an, öffnete sie und schlüpfte hinein. Ihre Hand lag noch hinter ihr auf der Klinke, als Honey Wilkes' Stimme leise, fast flüsternd, durch den Spalt der gegenüberliegenden Schlafzimmertür zu ihr drang: »Ich finde, Scarlett hat sich heute so schamlos benommen, wie ein Mädchen überhaupt nur kann.«
Scarletts Herz begann wieder seinen wilden Tanz, unbewußt stemmte sie die Hand dagegen, als wollte sie es mit Gewalt unterdrücken. »Horcher hören oft höchst lehrreiche Dinge«, äffte sie eine Erinnerung. Sollte sie sich leise wieder entfernen? 0der sich bemerkbar machen und Honey in Verlegenheit bringen, wie sie es verdient hatte? Da hörte sie wieder etwas und hielt inne. Ein ganzes Gespann Maultiere hätte sie nicht wegzerren können, als sie Melanies Stimme vernahm.
»Ach, Honey, nicht doch! Nicht so unfreundlich sein! Sie ist eben temperamentvoll und lebhaft. Ich fand sie sehr reizend.«
»0ho!« Scarlett krallte die Nägel in ihre Taille ein. »Dies schüchterne kleine Persönchen tritt für mich ein!«
Das war mühsamer anzuhören als Honeys gehässige Stichelei. Scarlett hatte nie einem weiblichen Wesen getraut und außer ihrer Mutter k einer Frau andere als selbstsüchtige Antriebe zugebilligt. Melanie war Ashleys sicher, da konnte sie sich solch selbstlose Denkungsart leisten. Das war echt Melanie, dachte Scarlett, auf solche Weise mit ihrer Eroberung großzutun und sich zugleich in den Ruf eines sanften Gemütes zu bringen. 0ft hatte Scarlett sich, wenn sie mit Männern andere Mädchen durchhechelte, desselben Kniffes bedient, und er hatte die dumme Männerwelt jedesmal unfehlbar von ihrer Sanftmut und Selbstlosigkeit überzeugt.
»Nun, mein Fräulein«, erhob Honey patzig die Stimme, »dann mußt du blind sein.«
»Seht, Honey«, zischte Sally Munroes scharfe Stimme. »Man hört dich ja im ganzen Haus.«
Gedämpft fuhr Honey fort: »Du hast doch gesehen, wie sie mit jedem Mann, den sie erwischen konnte, ins Zeug ging ... sogar mit Mr. Kennedy, und er ist doch der Verehrer ihrer eigenen Schwester. So etwas habe ich nie erlebt! Und ganz sicher hatte sie es auf Charles abgesehen.« Honey verfiel in ein gereiztes Kichern: »Und du weißt doch, Charles und ich ...«
»Wahrhaftig?«flüsterten erregte Stimmen.
»Nun, erzählt es, bitte, niemand ... noch nicht!«
Das Getuschel nahm zu, Bettfedern krachten. Melanie flüsterte, wie glücklich sie sei, daß Honey ihre Schwester werden sollte.
»Ich freue mich aber gar nicht darauf, Scarlett zur Schwester zu bekommen«, ertönte bekümmert Hetty Tarletons Stimme. »Was ist sie nur für ein unglaublicher Draufgänger. Sie ist mit Stuart so gut wie verlobt. Brent sagt zwar, sie gebe keinen Deut um ihn, aber Brent ist natürlich auch in sie verliebt.«
»Wenn ihr mich fragt«, tuschelte Honey geheimnisvoll, »ich sage euch, es gibt nur einen, aus dem sie sich wirklich etwas macht, und das ist Ashley.«
Als das Getuschel der Fragen und Antworten immer heftiger wurde, ging ein Frösteln der Angst und Scham durch Scarletts Brust. Honey war eine dumme Gans, ein albernes, einfältiges, unerfahrenes Ding, soweit es sich um Männer handelte; für andere Frauen aber hatte sie einen Spürsinn, den Scarlett unterschätzt hatte. Neben der Schmach, die sie hier auf ihrem Lauscherposten erlitt, waren die Demütigung und der verletzte Stolz, die sie bei Ashley und Rhett Butler in der Bibliothek gepeinigt hatten, nur Nadelstiche. Männern konnte man zutrauen, daß sie den Mund hielten, sogar solchen wie Mr. Butler, aber Honey Wilkes gab Laut wie ein Jagdhund, und dann wußte die ganze Provinz noch vor sechs Uhr alles. Gestern abend erst hatte Gerald gesagt, er wolle nicht, daß die Provinz über seine Tochter lache. Und wie nun alle lachen würden! Der kalte Schweiß brach ihr aus. Melanies gemessene, friedliche Stimme erhob sich ein bißchen vorwurfsvoll über die der andern:
»Honey, du weißt, daß das nicht wahr ist. Es ist lieblos von dir.«
»Es ist doch so, Melly, und wärest du nicht immer so darauf aus, etwas Gutes an Leuten zu entdecken, an denen gar nichts Gutes ist, dann hättest du es auch gesehen. Und ich freue mich, daß es so ist. Es geschieht ihr ganz recht. Scarlett 0'Hara hat immer nur überall Unfrieden gestiftet und versucht, andern Mädels die Freunde wegzuschnappen. Du weißt ganz gut, daß sie India ihren Stuart weggeschnappt hat und ihn jetzt nicht einmal will. Heute hat sie es nun mit Mr. Kennedy und Ashley und Charles versucht ...«
»Ich muß nach Hause!« dachte Scarlett. »Ich muß einfach nach Hause!«
Könnte doch Zauberei sie nach Tara entrücken und in Sicherheit bringen! Könnte sie doch bei Ellen sein, nur sie sehen, sie am Rock fassen und in Ellens Schoß weinen und ihr ganzes Herz ausschütten! Hörte sie nur noch ein Wort, so stürzte sie hinein, das wußte sie, und riß ganze Hände voll von Honeys dünnen blaßblonden Haaren aus und spie Melanie Hamilton ins Gesicht, um ihr zu zeigen, was sie von ihrer Nächstenliebe hielt. Aber sie hatte sich heute schon gemein genug benommen, ganz wie »weißes Pack« ... daher rührte überhaupt das ganze Unheil!
Mit den Händen drückte sie ihre Röcke ganz fest an sich, damit sie nicht raschelten, und entwischte verstohlen wie ein Tier. Nach Hause! Damit jagte sie hinunter in die Halle an verschlossenen Türen und stillen Zimmern vorbei. Sie mußte nach Hause. Schon war sie an der Haustür, da stutzte sie. Ihr war eingefallen - sie konnte ja nicht nach Hause. Weglaufen konnte sie nicht! Sie mußte hindurch, durch alle Bosheit der Mädchen, durch ihre eigene Schmach und all das Herzweh. Lief sie weg, so gab sie ihnen nur neue Waffen in die Hand.
Mit der geballten Faust schlug sie gegen die hohe weiße Säule neben sich und wünschte sich, Simson zu sein, um das ganze Twelve 0aks samt allen Menschen darin in Grund und Boden reißen zu können. Sie sollten es noch zu fühlen bekommen. Sie wollte es ihnen schon zeigen! Sie wollte ihnen noch weher tun, als sie ihr getan hatten. Für den Augenblick war Ashley vergessen. Er war nicht mehr der große, träumerische Junge, den sie liebte, sondern gehörte zu der ganzen Wilkesschen Sippe, zu Twelve 0aks, zur Provinz - sie haßte sie alle, weil sie sie auslachten. Mit sechzehn Jahren ist die Eitelkeit stärker als die Liebe; in ihrem heißen Herzen hatte nichts anderes mehr Raumals der Haß.
»Ich will nicht nach Hause. Ich bleibe hier und lasse es sie fühlen. Mutter sage ich nichts davon, nein, keinem Menschen.« Sie raffte sich zusammen, um ins Haus zurückzukehren. Die Treppe hinauf in ein anderes Schlafzimmer. Als sie sich in der Halle umwandte, sah sie Charles am andern Ende ins Haus treten. Er erblickte sie und kam rasch auf sie zu, sein Haar war zerzaust, sein Gesicht vor Aufregung so rot wie eine Geranienblüte.
»Wissen Sie, was geschehen ist?« rief er ihr schon von weitem entgegen. »Haben Sie es gehört? Paul Wilson kommt eben von Jonesboro herübergeritten! «
Er hielt atemlos inne. Sie entgegnete nichts, sie starrte ihn nur an.
»Mr. Lincoln hat die Männer aufgerufen, Soldaten - Freiwillige meine ich - fünfundsiebzigtausend!«
Schon wieder Mr. Lincoln! Dachten denn die Männer nie an wirklich Wichtiges? Dieser dumme Junge erwartete von ihr, sie solle sich über Mr. Lincolns Possen aufregen, während ihr das Herz brach und ihr Ruf so gut wie zerstört war. Jetzt starrte Charles sie an. Ihr Gesicht war weiß wie Papier, ihre schmalen Augen sprühten grünes Feuer wie Smaragde. Solches Feuer hatte er nie in einem Mädchengesicht gesehen, solche Glut noch nie in einem menschlichen Auge.
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