»Ich bin so ungeschickt, ich hätte es Ihnen zarter beibringen sollen. Ich habe vergessen, wie empfindsam Damen sind. Es tut mir leid, daß ich Sie so erschreckt habe. Kann ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«
»Nein.« Sie brachte ein schiefes Lächeln zustande.
»Wollen wir uns auf die Bank setzen?« Er nahm ihren Arm. Sie nickte, und er geleitete sie behutsam die Stufen hinunter und führte sie nach der Bank unter der großen Eiche im Vorgarten. »Wie zart und zerbrechlich Frauen sind«, dachte er, »schon die Erwähnung von Krieg und Greuel benimmt ihnen die Sinne.« Dabei fühlte er sich sehr männlich und verdoppelte seine Fürsorge. Sie sah so seltsam aus. Auf ihrem bleichen Gesicht lag eine wilde Schönheit, die ihm das Herz zusammenzog. Wäre es möglich, daß der Gedanke, er würde in den Krieg gehen, ihr Kummer machte? Nein, das war zu anmaßend, das konnte er nicht glauben. Warum sah sie ihn dann aber so wunderlich an? Warum zitterten ihr die Hände, während sie an ihrem Spitzentaschentuch zerrte? Und die dichten kohlschwarzen Wimpern zuckten auf und nieder, wie es bei den Mädchen, von denen man in Romanen las, vor Schüchternheit und Liebe geschah.
Er räusperte sich dreimal, um etwas zu sagen, und es mißlang ihm jedesmal. Er schlug die Blicke nieder, weil ihre grünen Augen die seinen so starr durchdrängen, als sähe sie ihn gar nicht.
»Er hat eine Menge Geld«, dachte sie schnell, indem ein Gedanke ihr durchs Hirn zog. »Er hat keine Eltern, die mir das Leben schwermachen würden, er lebt in Atlanta, und wenn ich ihn jetzt auf der Stelle heirate, kann ich Ashley zeigen, daß ich mir nicht das mindeste aus ihm mache, daß ich nur mit ihm gespielt habe, und Honey würde es einfach umbringen. Einen anderen Verehrer kriegt sie nie und nimmer, und jedermann würde sich über sie totlachen. Und Melanie könnte ich auch damit weh tun, weil sie Charles liebhat. Und Stu und Brent könnte ich damit kränken.« Sie wußte nicht recht, warum sie eigentlich alle kränken wollte. Nun ja, sie hatten boshafte Schwestern. »Und es würde sie alle kränken, wenn ich in einem schönen Wagen mit vielen hübschen Kleidern hierher auf Besuch käme und hätte mein eigenes Haus daheim. Dann lachen sie nie wieder über mich.«
»Das bedeutet natürlich Kampf«, sagte Charles nach mehreren weiteren schüchternen Versuchen. »Aber grämen Sie sich nicht, Miß Scarlett, in einem Monat ist es vorbei, dann kriegen sie das Heulen. Jawohl! Das Heulen! Um alles in der Welt muß ich dabeisein. Heute wird wohl nicht viel aus dem Ball werden; die Truppe hat Appell in Jonesboro. Die vier Tarletons bringen die Nachricht herum. Ich weiß, den Damen wird es leid tun.«
Sie sagte »Ach«, weil ihr nichts Besseres einfiel, aber es genügte. Allmählich fand sie ihr Gleichgewicht wieder, und die Gedanken begannen sich zu sammeln. Auf allen ihren Gefühlen lag es wie Rauhreif, sie meinte, sie würde nie wieder wann empfinden können. Warum nicht diesen hübschen, errötenden Jungen nehmen? Er war so gut wie jeder andere. Und ihr war es so einerlei. An nichts lag ihr mehr etwas, ihr Leben lang, und wenn sie neunzig Jahre alt würde.
»Ich kann mich noch nicht entschließen, ob ich mit Mr. Wade Hamptons Südcarolina-Legion oder mit der Atlantaer Stadtgarde hinausgehe.«
Wieder sagte sie »0h«, ihre Augen begegneten einander, ihre bebenden Lider gaben ihm den Rest.
»Wollen Sie auf mich warten, Miß Scarlett? Es wäre himmlisch, wenn ich wüßte, Sie warteten auf mich, bis wir sie verdroschen haben!« Atemlos hing er an ihrem Munde und bemerkte, wie ihre Lippen sich in den Winkeln verzogen, sah zum erstenmal die Schatten darin und dachte, wie es wohl wäre, sie zu küssen. Ihre Hand, die innen kalt von Schweiß war, glitt in die s eine.
»Ich möchte eigentlich nicht warten«, sagte sie mit verschleierten Augen.
Er umklammerte ihre Hand, der Mund stand ihm weit offen. Durch ihre Wimpern beobachtete Scarlett ihn völlig unbeteiligt und fand, er sähe aus wie ein aufgespießter Frosch. Mehrmals fing er stotternd an, schloß den Mund und öffnete ihn wieder und wurde rot wie eine Geranie.
»Ist es denn möglich, daß Sie mich lieben?«
Sie antwortete nichts, sie blickte nur in ihren Schoß und stürzte Charles in neue Wonne und neue Verlegenheit. Vielleicht durfte der Mann ein Mädchen nicht so etwas fragen, vielleicht war es nicht mädchenhaft, darauf zu antworten. Charles hatte nie vorher den Mut gehabt, solche Fragen zu stellen, und wußte nun nicht, was er tun sollte. Am liebsten hätte er gejubelt und gesungen und sie geküßt und auf dem Rasen Purzelbäume geschlagen und wäre dann hingelaufen und hätte jedem, Schwarz oder Weiß, erzählt, daß sie ihn liebte. So aber drückte er nur ihre Hand immer fester, bis die Ringe ihr ins Fleisch schnitten.
»Wollen Sie mich schon bald heiraten, Miß Scarlett?«
Sie fingerte an den Falten ihres Kleides.
»Wollen wir eine Doppelhochzeit mit Mel ...?«
»Nein!« sagte sie rasch, ihre Augen blitzten unheilverkündend zu ihm auf. Wieder merkte Charles, daß er etwas falsch gemacht hatte. Natürlich wollte ein Mädchen ihre eigene Hochzeit haben, ihren Ehrentag nicht teilen. Wie gut von ihr, seine Tölpeleien zu übersehen! Wäre es doch dunkel, fände er doch den Mut, den die Dunkelheit gibt, könnte er ihr doch die Hand küssen und ihr sagen, wovon sein Herz voll war!
»Wann kann ich mit Ihrem Vater sprechen?«
»Je eher, desto besser.« Sie hoffte, er würde vielleicht ihre Hand von dem lästigen Druck der Ringe erlösen, ehe sie ihn darum bitten müßte. Er sprang auf, und einen Augeblick meinte sie, er wollte einen Purzelbaum schlagen, ehe der Anstand es ihm verbot. Strahlend blickte er auf sie nieder, sein ganzes Herz in all seiner reinen Einfalt lag in den Augen. So hatte noch niemand sie angeschaut, und so sollte auch nie wieder jemand sie anschauen. Aber traumhaft losgelöst von allem, wie sie war, fand sie nur, er sähe aus wie ein Kalb.
»Ich will nun Ihren Vater suchen«, sagte er und lächelte über das ganze Gesicht. »Ich kann nicht länger warten. Willst du mich entschuldigen ... du Liebe?« Das Du wurde ihm schwer. Als er es aber einmal gesagt hatte, wiederholte er es voller Wonne immer von neuem. »Ja«, sagte sie, »ich warte hier. Hier ist es so schön kühl.« Er ging quer über den Rasen und verschwand hinter dem Hause. Sie saß allein unter der rauschenden Eiche. Von den Ställen kamen Scharen von Reitern, schwarze Diener dicht hinter ihren Herren. Die Munroes preschten vorbei und schwenkten die Hüte. Die Fontaines und Calverts ritten jauchzend die Straße hinunter. Die vier Tarletons jagten miteinander über den Rasen, und Brent rief: »Mutter, gib uns die Pferde! Yee - aay - ee!« Rasenstücke flogen, weg waren sie. Sie war wieder allein.
Vor ihr ragten die Säulen des weißen Hauses empor, als zöge es sich, würdig und unnahbar, von ihr zurück. Ihr Haus würde es nun nie werden. Nie würde Ashley sie als Braut über die Schwelle tragen. Ach, Ashley, Ashley! Was hab' ich getan? Tief unter Schichten von verletztem Stolz und kalter Berechnung regte es sich in ihr und schmerzte. Ein reifes Gefühl wurde in ihr geboren, stärker als ihre Eitelkeit und Selbstsucht. Sie liebte Ashley und wußte, wie sehr sie ihn liebte, und hatte ihn nie so heiß geliebt wie in diesem Augenblick, da sie Charles auf dem gewundenen Kiesweg verschwinden sah.
7
Innerhalb von zwei Wochen war Scarlett verheiratet, zwei Monate später war sie Witwe. Die Bande, die sie so hastig und gedankenlos geknüpft hatte, waren schnell zerrissen, aber die sorglose Freiheit ihrer Mädchentage sollte sie nie wieder kennenlernen. Witwentum war der Heirat auf dem Fuße gefolgt, und nach ihr kam zu Scarletts Schrecken bald auch die Mutterschaft.
Wenn Scarlett in späteren Jahren an diese letzten Apriltage des Jahres 1861 dachte, konnte sie sich der Einzelheiten nie mehr deutlich entsinnen. Zeit und Ereignisse schoben sich ineinander, wirr wie bei einem Alpdrücken, bar jeder Wirklichkeit und jeden Sinnes. Bis zu ihrer Todesstunde behielten die Erinnerungen an jene Tage blinde Flecken. Nebelhaft verschwand ihr besonders die Zeit zwischen ihrem Jawort an Charles und der Hochzeit. Vierzehn Tage! In Friedenszeiten wäre eine so kurze Verlobung undenkbar gewesen; der Schicklichkeit halber hätte man ein ganzes Jahr oder mindestens sechs Monate gewartet. Aber der Süden stand in Kriegsflammen, die Ereignisse brausten wie vor einem gewaltigen Winde dahin, das langsame Zeitmaß vergangener Tage war vorüber.
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