3.2 Durchführungsphase
3.2.1 Motivierende Führung
Wie bekommt man eine verwöhnte Prinzessin dazu, eine Ausbildung in Hauswirtschaft und im Einzelhandel aufzunehmen und auf diesen Gebieten mit großem Einsatz zu arbeiten?
König Drosselbart hat das sehr geschickt erreicht.
Die Königstochter fragt: „Wo sind die Diener?“
Drosselbart reagiert: „Was Diener? Du musst selber tun, was du willst getan haben.“
Drosselbart hatte damit eine Situation geschaffen, in der das Lernen überlebenswichtig wurde.
Drosselbart ordnet an: „Frau, so geht’s nicht länger, dass wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten.“
Nachdem weder das Feuermachen, das Essen kochen, das Körbe flechten und noch das Spinnen geklappt hatten, forderte König Drosselbart den Handel mit Töpfen und irdenen Geschirr anzufangen. Schließlich wurde die Königstochter eine Küchenmagd. Nach einem erfolgreichen „Praktikum“ kam schließlich mit der Hochzeit das glückliche Ende. (Grimm, et al., 2001)
Eigentlich noch erfolgreicher verlief die berufliche Ausbildung der drei Brüder im Märchen „Tischlein deck dich“.
Nachdem die drei Brüder durch die Intrigen der Ziege bei ihrem Vater zu Unrecht beschuldigt wurden, „gerbte der Vater den Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, dass sie zum Haus hinaussprangen“. Es war nun erforderlich, dass sie sich eigenständig und auf sich allein gestellt „durchs Leben schlagen“ und einen Beruf erlernen mussten. Als die Lehrjahre erfolgreich abgeschlossen waren, kehrten die drei Brüder als Schreiner, Müller und Drechsler in ihr Vaterhaus zurück. Als verdienten Lohn brachten sie das „Tischlein deck dich“, den „Goldesel“ und den „Knüppel aus dem Sack“ mit. Nach der Bestrafung des betrügerischen Gastwirtes, der sie um ihren Lohn bringen wollte, wurde das glückliche Ende ausgiebig gefeiert. (Grimm, et al., 2001)
Ein aktuelles Beispiel soll diese beiden märchenhaften Berichte ergänzen.
Eine Wissenschaftlerin bekommt das Angebot, in einem weltweit anerkannten Labor in Australien zu arbeiten. Für ihren Ehemann wird gleichfalls ein interessantes Einsatzgebiet gefunden. Die Familie beschließt, für drei Jahre gemeinsam mit dem vierjährigen Sohn und dem noch recht mobilen - jedoch verwitweten - Vater der Ehefrau eine neue zeitweilige Heimat zu finden.
Der Sohn gewöhnt sich schnell im Kindergarten ein, und sein Opa beschäftigt sich mit dem kleinen Garten am Haus und findet auch Zeit, die Familiengeschichte aufzuarbeiten. Sein Schwiegersohn schenkte ihm einen Englisch-Kurs, den er auch aus Höflichkeit ab und zu besuchte.
Als die Mutter und der Vater zu einer Tagung fahren, müssen sich der Sohn und sein Opa einige Tage selbst versorgen. Beim Einkaufen in einem kleinen Laden muss der inzwischen fünfjährige Enkel der Verkäuferin die Einkaufswünsche des Großvaters übersetzen. Der Enkel beherrschte inzwischen nahezu perfekt die Landessprache und konnte auch bereits etwas lesen. Das gemeinsame Spielen und der Wunsch, von den anderen Kindern akzeptiert und einbezogen zu werden, hatten ihn – ohne dass er es selbst kaum zur Kenntnis nahm – motiviert, die Sprache zu erlernen.
Auch gegenwärtig gibt es in vielen Regionen unzählige Beispiele für ähnliche Situationen. Es sollte daher über geeignete lernfordernde Situationen nachgedacht werden.
Die lernfordernde Situation kennzeichnet ein Problem und damit einen Widerspruch zwischen Nichtwissen und Wissen und erfordert eine umgebungs- und handlungsbezogene Verhaltensänderung
durch die Aneignung des erforderlichen Wissens und
durch das Auslösen der dazu notwendigen Lernbereitschaft.
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Anlass und Ausgangspunkt für das Lernen ist eine lernfordernde Situation, die für das einzelne Individuum oder für eine Institution die Notwendigkeit zum Erwerben von neuen Kompetenzen (Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten) deutlich und zwingend werden lässt. Lernfordernde Situationen können – auch ohne lernfördernde Bedingungen – zu einem erfolgreichen Lernen führen. Lernförderliche Bedingungen ohne lernfordernde Situationen garantieren allein noch kein erfolgreiches Lernen. |
Die lernfordernde Situation kann
durch Fremdsteuerung oder
durch Selbststeuerung entstehen.
Sie kann also aus einer vorgegebenen Aufgabenstellung (Problemstellung) - die Teil einer Lehr- und Lernstrategie sein kann - oder aus dem selbstständigen Erkennen der Problemsituation im Handeln (sowohl in als auch außerhalb der Erwerbstätigkeit) resultieren. (Buggenhagen, et al., 2012)
Die Bereitschaft des handelnden Individuums, sich dem erforderlichen Lernprozess zuzuwenden, wird von mehreren subjektiven und objektiven Erfordernissen beeinflusst. Dazu gehören unter anderem
das Interesse an Erkenntnissen,
die zeitliche Abstimmung mit der berufspraktischen Ausbildung,
das Erwerben von Wissen für die praktische Arbeit,
das Streben nach Lob oder Belohnung bzw. das Vermeiden von Misserfolgen und Strafen,
das Erwerben von Wissen für private Vorhaben,
das Festigen der Stellung in der Gruppe und die soziale Identifikation sowie das Streben nach einem bestimmten sozialen Status,
das Ansehen bei den Lehrenden und die Identifikation mit ihnen,
das Erreichen persönlicher Vorteile und
das Handeln unter Zwang.
Den Begriff „lernfordernde Situation“legen wir wie folgt fest.
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Eine lernfordernde Situationist ein zeit- und ortsgebundener Umgebungszustand für ein handelndes Individuum, der dadurch gekennzeichnet ist, dass das handelnde Individuum zum gegebenen Zeitpunkt und am gegebenen Ort nicht über die erforderlichen Voraussetzungen verfügt, um einen gegebenen Zustand in einen geforderten Zustand zu überführen. |
Die Lehrenden müssen es verstehen, geeignete lernfordernde Situationen zu schaffen bzw. bereits vorhandene lernfordernde Situationen so auszugestalten, dass sie das Interesse der Lernenden am Lernstoff, und die Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln von Lehrenden und Lernenden wecken. Damit gelingt es, die Lernenden sowohl bei der Einführung als auch kontinuierlich über die gesamte Lerneinheit zu motivieren.
Die Motivation der Lernenden ist ein entscheidender Einflussfaktor auf den Erfolg der Kompetenzvermittlung und Kompetenzaneignung. Neben
der Motivation sind
die Aktivität der Lernenden,
die Freizügigkeit für die Lernenden,
die Informationsbreitstellung und
die Gedächtnisprozesse der Lernenden
für den Lernerfolg ausschlaggebend. Aus den Anfangsbuchstaben dieser Einflussfaktoren ergibt sich – als Gedankenstütze – die Abkürzung M A F I G. (Buggenhagen, 2019)
Im Rahmen dieses Abschnittes sollen besonders die Motivation und die Möglichkeiten ihrer Verstärkung Gegenstand der Betrachtungen sein.
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Die Motivationcharakterisiert die aktuelle Bereitschaft zum Handeln. Sie ist Beweggrund und Anreiz zu einem bestimmten Verhalten und bestimmt damit, wie sich eine Person mit einer Aufgabe identifiziert und sich für das Lösen der Aufgaben engagiert. Die Motivation hat damit eine Schlüsselfunktion für die Gestaltung des Lehr- und Lernprozesses. |
Die Motivation umfasst das gesamte System der „Antriebskräfte“ für das Denken und Handeln des Menschen. Im Allgemeinen wird die Motivation in zwei Gruppen unterteilt.
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