Schweizer Erinnerungen
an die Zukunft
Novelle
Cyrill Delvin
Dies ist eine fiktive Geschichte. Namen, Charaktere, Geschäfte, Organisationen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Vorstellungskraft des Autors oder fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Orten ist rein zufällig.
»Schweizer Erinnerungen an die Zukunft«
Erste deutsche Ausgabe
Alle Rechte vorbehalten.
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright © 2019 Cyrill Delvin
ISBN 978-3-748541-19-6
Aufzug 5 Aufzug 1815 und 1847 veränderten die Schweiz. Danach galt sie als hoch industrialisiertes und freiheitlichstes Land im Herzen Europas. Sie hatte an den französischen und amerikanischen Revolutionen Anteil genommen, ohne mitzumachen. 1815 konsolidiert, entwickelte sich die Alpenrepublik zum wirtschaftlichen, technischen und politischen Zufluchtsort liberaler Kräfte aus ganz Europa. Sie repräsentierte das Beste aller Welten. Sie überstand alle Wirren, äußere wie innere, ohne den Kopf zu verlieren. Das ist das wahrhaftige Gründungswunder. Die dem Land von den Großmächten Mitte des 19. Jahrhunderts verordneten Industrialisierung und Ökonomisierung riefen große, aber auch zwielichtige Figuren auf den Plan. Erschaffen wurden fantastische Bahnen genauso wie bizarre Finanzkomplexe. Unausweichlich damit verzahnt waren die in immer engeren Schlaufen wiederkehrenden, Gesellschaften und Länder verzehrenden Börsenkrisen. Eine Elite nach der anderen zerbrach. Dennoch entstand ein System, das, sich andauernd fortzeugend, ewigen Reichtum verhieß. Der Glaube an den Fortschritt ersetzte den Glauben an die Herkunft. Die Progressiven besiegten die Konservativen. Zwar blutig, doch ohne eigentliche Verlierer. Ein Oberst Ochsenbein spielte eine verbindende Rolle. Ein Wilhelm Tell ebenso. Als Schweizer Freiheitskämpfer von einem deutschen Dichter inszeniert, um eine liberale, demokratische und auf naturalistischen Pfeilern gründende Revolution im Bedarfsfall auch durch Tyrannenmord zu bewahren: »… wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden … zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben. Der Güter höchstens dürfen wir verteid’gen gegen Gewalt – Wir stehn vor unser Land …« 1804 niedergeschrieben, als in Frankreich der nächste Kaiser sich selbst krönte und damit das vermeintlich Liberale und Demokratische der Revolution mit deren eigenen Waffe, der Guillotine, enthauptete. So zog sich die Schweiz immer wieder am eigenen Schopf aus dem Sumpf, und es entstand 1848, in der Folge des Sonderbundskrieges von 1847, der moderne Bundesstaat. Gerne vergessen wir heute, wie fest dabei doch fremde Hände mitgezogen haben. In der Folge rankten Mythen um Selbstbehauptung, Freiheit, Neutralität, Frieden und fortwährende Prosperität. Diese wahrhaft geglaubten Gefühle waren Zutaten des Amalgams, das die Schweiz zum fortwährenden Sonderfall verschmolz. Für immer? Wir werden sehen.
Erster Akt: Idyll und Sezession
2064 Die letzte Schlacht 8
2038 – 2060 Die Harten gegen die Linden 14
1984 Vor dem Wandel 19
1849 Die Karte 23
1900 – 1914 Zwischengesang 26
Zweiter Akt: Revision und Restauration
2067 Kindheiten 28
2069 Tendenz zunehmend – oder abnehmend 31
2070 Kalte Verdammung 33
2071 Die Gottesanbeterin 39
2072 Wachablösung 40
2074 Die Mauer 42
2075 Flüchtlinge 44
2076 Abstieg und Aufstieg 50
2077 Restzeit 54
2080 Fürst des Südens 57
2084 Gottesland 62
2094 Dazwischen: Nichts 67
2097 Die Wende 70
2098 Blutsauger (Der Durst) 74
2125 Doc. NO. 8234-2148 77
1989 – 2001 Zwischengesang 80
Dritter Akt: Destruktion und Bedeutungslosigkeit
2119 Raubzug (Die Pest) 82
2120 Angriff (Der Tod) 87
2121 Gegenangriff (Das Ende) 91
2126 Albert Schwarz 94
2182 Sophie Nansé 97
Abgang 102
Stammbaum 105
›Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.‹
Friedrich Schiller
1815 und 1847 veränderten die Schweiz. Danach galt sie als hoch industrialisiertes und freiheitlichstes Land im Herzen Europas. Sie hatte an den französischen und amerikanischen Revolutionen Anteil genommen, ohne mitzumachen. 1815 konsolidiert, entwickelte sich die Alpenrepublik zum wirtschaftlichen, technischen und politischen Zufluchtsort liberaler Kräfte aus ganz Europa. Sie repräsentierte das Beste aller Welten. Sie überstand alle Wirren, äußere wie innere, ohne den Kopf zu verlieren. Das ist das wahrhaftige Gründungswunder.
Die dem Land von den Großmächten Mitte des 19. Jahrhunderts verordneten Industrialisierung und Ökonomisierung riefen große, aber auch zwielichtige Figuren auf den Plan. Erschaffen wurden fantastische Bahnen genauso wie bizarre Finanzkomplexe. Unausweichlich damit verzahnt waren die in immer engeren Schlaufen wiederkehrenden, Gesellschaften und Länder verzehrenden Börsenkrisen. Eine Elite nach der anderen zerbrach. Dennoch entstand ein System, das, sich andauernd fortzeugend, ewigen Reichtum verhieß.
Der Glaube an den Fortschritt ersetzte den Glauben an die Herkunft. Die Progressiven besiegten die Konservativen. Zwar blutig, doch ohne eigentliche Verlierer. Ein Oberst Ochsenbein spielte eine verbindende Rolle. Ein Wilhelm Tell ebenso. Als Schweizer Freiheitskämpfer von einem deutschen Dichter inszeniert, um eine liberale, demokratische und auf naturalistischen Pfeilern gründende Revolution im Bedarfsfall auch durch Tyrannenmord zu bewahren: »… wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden … zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben. Der Güter höchstens dürfen wir verteid’gen gegen Gewalt – Wir stehn vor unser Land …«
1804 niedergeschrieben, als in Frankreich der nächste Kaiser sich selbst krönte und damit das vermeintlich Liberale und Demokratische der Revolution mit deren eigenen Waffe, der Guillotine, enthauptete.
So zog sich die Schweiz immer wieder am eigenen Schopf aus dem Sumpf, und es entstand 1848, in der Folge des Sonderbundskrieges von 1847, der moderne Bundesstaat. Gerne vergessen wir heute, wie fest dabei doch fremde Hände mitgezogen haben. In der Folge rankten Mythen um Selbstbehauptung, Freiheit, Neutralität, Frieden und fortwährende Prosperität. Diese wahrhaft geglaubten Gefühle waren Zutaten des Amalgams, das die Schweiz zum fortwährenden Sonderfall verschmolz.
Für immer? Wir werden sehen.
Erster Akt Idyll und Sezession
Ich war allein. Ich war abenteuerlustig. Da kam mir die diplomatische Mission gerade recht. Sie führte mich in die eigenen und in fremde Archive und dann zu den Orten des Geschehens. Das war damals nicht ungefährlich, das Land war vom Auswärtigen Amt als Krisengebiet eingestuft gewesen.
Ich war naiv. Bereits die Recherchen im Zentralarchiv der Nordmächte enthüllten Dinge, auf die ich nicht vorbereitet war. Ich hatte mich im Glauben aufgemacht, die Geschichte der alten Schweiz zu kennen. Das Studium unveröffentlichter Dokumente über die Zeit der Sezessionswirren belehrte mich eines Besseren. Zweifel an der offiziellen Geschichtsschreibung überkamen mich. Der militärische Sieg der Revisionisten über die Harten hatte keineswegs zu der Eintracht geführt, auf der unsere Republik gegründet worden war. Vielmehr war es ein Pyrrhussieg gewesen, der den eigentlichen Wendepunkt der Schweiz begründete.
Je mehr ich herausfand, desto verworrener wurde es. Lag der Zweck meiner Mission wirklich in der Aufarbeitung unserer gemeinsamen Vergangenheit? Ging es nicht vielmehr um die Zementierung der offiziellen Sichtweise? Weshalb sonst waren diese Tatsachen so lange unter Verschluss geblieben?
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