Katja Brandis
Vulkanjäger
Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Katja Brandis Vulkanjäger Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
Feurige Ferien
Dunkle Augen
Alles auf eine Karte
Schwarzes Wasser
Hawaii
Feuerfest
Ohne Peles Gnade
Gelbe Augen
Denk an die Kraft
Mädchen
Schwefelsklaven
Ausgestoßen
Respekt
Angst
Brennende Wolken
Born this way
Schönheit und Furcht
Entscheidung
Ganz und gar Giulia
Toter Stein
Rivalen
Undercover
Verhör
Zeit der Wahrheit
San Gennaro
Dachwache
Gefangen!
Fluchthelfer
Asche
In der Stadt des schwarzen Mönchs
Todesurteil
Familie
Epilog
Nachwort
Glossar
Impressum neobooks
Als mir der Brandgeruch in die Nase stieg, wusste ich, dass etwas gewaltig schieflief. „Melde mich später wieder“, sagte ich zu meinem besten Freund Noah, drückte Auflegen und sprintete die Treppe hinunter in die Küche. Kurzer Blick durch die Glasscheibe des Backofens – verdammt, das sah schlecht aus! Ich riss die Ofentür auf und Rauch wallte mir entgegen. O Mann, ich hatte versehentlich Grill eingestellt! Das Hühnchen sah aus, als hätte es eine Feuerbestattung hinter sich. Konnte man das noch essen? Oder hatte sich die selbst gekochte Überraschung für Mama gerade erledigt?
Ich packte das Hühnchen mit einem Ofenhandschuh am Schenkel, versuchte, es auf einen Teller zu schleudern und gleichzeitig mit dem Knie die Ofenklappe zuzuknallen. Aber das Hühnchen hatte zu viel Schwung, es glitschte auf der anderen Seite des Tellers wieder hinunter. Instinktiv wollte ich es mit der bloßen Hand stoppen, schrie auf – heiß! – und ließ es fallen. Auf den Fußboden.
Alles kein Problem. Kein Problem – wenn man sich das oft genug sagt, dann stimmt es irgendwann. Ich hatte noch eine Viertelstunde, bis Mama von der Arbeit kam. Reichlich Zeit, den Vogel abzuwaschen und die verkohlten Stellen abzukratzen. Als ich damit fertig war, hatte ich noch genau sieben Minuten für den Salat. Aber wenn jemand Salat machen kann, dann ist das Jan Bendert, sechzehn Jahre, Vizechampion im Küchenduell der zehnten Klasse. Die Gurke hatte keine Chance gegen mich, die Tomaten zerfielen förmlich vor meinem Messer, und die Paprika drückte sich winselnd in eine Ecke des Kühlschranks, als sie mich kommen sah. Pünktlich war alles fertig. 19.30 Uhr, fast auf die Sekunde genau. Wow!
Jetzt fehlte nur noch meine Mutter.
Ich wischte mir den Schweiß ab, kippte das Küchenfenster und wartete auf das Geräusch ihres Schlüssels im Schloss. Vielleicht kam sie ein paar Minuten später, das war gar nicht so schlecht, dann konnte ich noch den Tisch decken. Das tröstete sie vielleicht darüber hinweg, dass es im ganzen Erdgeschoss nach Waldbrand roch.
19:40 Uhr. Wahrscheinlich traf sie jeden Moment ein. Ich warf mich aufs Sofa. Zu einem gelungenen Essen gehört schließlich ein entspannter Gastgeber.
Das Telefon klingelte. Es dauerte eine Weile, bis ich es gefunden hatte – ich hatte es vorhin auf mein Bett fallen lassen. „Bendert“, meldete ich mich und zurückkam ein gut gelauntes „Hier auch!“.
„Hi, Mama“, sagte ich und blickte auf die Anruferkennung, um festzustellen, ob sie vom Handy aus anrief oder aus dem Büro. Mama Büro, stand da. In diesem Moment wusste ich Bescheid und ein hohles Gefühl breitete sich in meinem Inneren aus.
„Bei mir wird´s leider ein bisschen später, ich bin mit der Präsentation immer noch nicht fertig und die Geschäftsleitung sitzt mir im Nacken ...“
„Aha“, sagte ich so freundlich wie möglich. „Na, dann noch viel Erfolg und bis nachher.“
Ich nahm mir die Hälfte des Hühnchens und ein bisschen Salat, den Rest warf ich weg. War eh nicht so gut geworden, in der Eile hatte ich zu viel Kreuzkümmel ins Dressing getan. Meine Katze Lucky machte es sich auf meinem Schoß bequem, begann sofort zu schnurren und tat so, als interessiere sie das Huhn gar nicht. Ich schenkte ihr trotzdem ein Stück. Vor drei Jahren war mir Lucky in einer eiskalten Winternacht auf dem Bahnsteig einer S-Bahn-Station begegnet und fast einen Kilometer weit hinterhergelaufen. Wieso hatte sie ausgerechnet mich ausgesucht und keinen von den anderen Fahrgästen, obwohl auch andere sie gestreichelt hatten? Hatte sie gespürt, wie sehr ich Tiere mochte? Als Kind hatte ich mal eine junge Elster großgezogen, und wenn die Nachbarn einen Igel fanden, der Hilfe brauchte, brachten sie ihn direkt zu mir.
Während ich den letzten Rest Salat aß, informierte mich der 3-D-Screen über all das, was an diesem 4. Mai 2020 passiert war. Ehemaliger Ministerpräsident Italiens nach Herzinfarkt in seinem Pool ertrunken. Neuer Wasserkrieg zwischen Pakistan und Indien. Naturschützer verurteilen den neuen Trend, aus haltbar gemachten Blumen Kleidung herzustellen. Sämtliche Neuigkeiten rauschten an mir vorbei. Wieso hatte ich überhaupt versucht, sie zu überraschen? Das war total naiv. Jemand Schlaueres als ich hätte ihr heimlich einen wichtigen Dinner-Termin in den elektronischen Terminkalender eingetragen. Aber sobald sie gemerkt hätte, dass es nur ein Treffen mit mir ist ...
Mit aller Kraft konzentrierte ich mich auf den Bildschirm, ich wollte diesen Gedanken nicht zu Ende denken. In Island war gerade mal wieder ein Vulkan ausgebrochen und bedrohte durch seine Aschewolke den Flugverkehr. Dunkelgrau wallte das Zeug nach oben. Sah ein klein bisschen aus wie der Rauch aus unserem Ofen, nur dicker.
Wie immer, wenn ich irgendetwas über Vulkane im Fernsehen sah, musste ich an meinen Vater denken. Ob er gerade dort war, in Island? Waren diese Filmaufnahmen von ihm?
Ich schrak auf, als das Telefon schon wieder klingelte. Vielleicht war das Noah, der wissen wollte, was passiert war und wann ich endlich zurückrief. Abwesend drückte ich auf den grünen Knopf und murmelte: „Ja?“
„Hier ist André. Bist du das, Jan?“
„Äh, ja“, stammelte ich verblüfft. Mein Vater! Zum ersten Mal seit zwei Monaten! Hatte er gespürt, dass ich an ihn dachte?
„Alles klar bei dir?“
„Ja“, sagte ich zum dritten Mal. Bis auf ein verbranntes Huhn und eine Mutter, die nicht aufgekreuzt ist. „Wo bist du gerade? In Island?“
Er lachte. „Nee, in München, ganz in eurer Nähe. Du meinst, wegen der Eruption? Die ist mir eine Nummer zu klein. Und weil die isländischen Vulkane oft unter Gletschern liegen, sieht man bei den Ausbrüchen sowieso fast nichts.“
„Aufnahmen von Aschewolken hast du wahrscheinlich schon genug, oder?“
„Yep. Dutzende.“
Es tat gut, mit ihm zu reden. So gut, dass ich auf einmal feuchte Augen hatte. Ich wischte mir schnell mit dem Ärmel drüber.
André war in München! Hieß das etwa, dass er Zeit hatte, mich zu sehen? Besser, nicht drauf zu hoffen. Wahrscheinlich ging schon morgen sein Flug nach Kolumbien, Japan oder wohin auch immer.
Doch so war es anscheinend nicht. „Kann ich am Wochenende mal bei euch vorbeikommen?“, fragte mein Vater. „Ich würde dich gerne sehen und habe einen Vorschlag, der dich vielleicht interessiert.“
„Einen Vorschlag?“, wiederholte ich, wahrscheinlich klang ich heute arg begriffsstutzig. Kurzer Blick in den geistigen Terminkalender. „Samstag haben wir noch nichts vor, glaub ich. Komm einfach am Nachmittag vorbei, wenn du magst.“ Ich sagte nicht, dass ich mich schon darauf freute. Nur für den Fall, dass es doch nicht klappte.
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