„Und dann?“, fragte Ardua.
„Nun, Flaric musste natürlich noch ein paar Tage lang im Bett bleiben, aber er ist wieder vollständig gesund geworden. Er lebte noch lange glücklich und zufrieden, und wenn er nach Pol Movenn kam, ließ er es sich nie nehmen, hinüber zur Triftafurt zu reiten und Achlys zu besuchen. Dann schwatzten beide vergnügt über alte Zeiten, und manchmal erzählten sie sich auch Gespenstergeschichten. Nur von den Salben der Hexe war der König überhaupt nicht begeistert, und er nahm ihr das feierliche Versprechen ab, ihm nie wieder mit ranziger Butter auf den Leib zu rücken.“
„Verständlich“, fand Ardua.
Lournu lächelte. Sie schob den Topf zu ihm hinüber und forderte ihn auf: „Jetzt du.“
„Wie?“ Ardua riss die Augen ungläubig auf. Wollte die Hexe allen Ernstes von ihm verlangen, dass er das Ekelzeug anfasste?
„Du wolltest es lernen. Da an der Hand ist noch ein Kratzer offen.“
Widerstrebend tauchte er die Fingerspitze in das Fett und strich es über den verletzten Handrücken. Die Wunde war klein. Sie würde auch ohne Quacksalbereien heilen. Also, wozu das alles.
„Na los, sag es.“
Ardua spürte ein merkwürdiges Kribbeln in den Fingerspitzen. „Helpt dat nich, dann schad’t ook nich“, flüsterte er andächtig.
Als sich der Kratzer unter seinen Fingern schloss, war Ardua etwas verwirrt. Vorsichtig tastete er über die Stelle, die eben noch zerrissen und blutig unter seinen Fingerspitzen gelegen hatte. Nicht einmal eine Narbe war zurückgeblieben, verschwunden wie der brüllende Schmerz in Oberschenkel und Armen war der kleine Kratzer auf dem Handrücken, als hätte es ihn niemals gegeben.
„Das verstehe ich nicht“, murmelte er. „Lournu, wie funktioniert dieser Zauber?“
„Oh“, entgegnete sie gelassen, „der funktioniert sehr gut.“ Sie drückte den Deckel auf den Topf. „Genug gezaubert für heute. Und jetzt nimm dir einen Spaten und vergrab das alte Gammelzeug hinterm Haus, ja? Ich hätte es längst wegwerfen sollen. Das ist ja nicht zum Aushalten mit dem Gestank.“
Seufzend trug Ardua den Topf hinaus. Eines Tages, das nahm er sich fest vor, würde er das Geheimnis der movennischen Magie lösen. Und er hoffte, dass er dafür die Butter nicht wieder ausgraben musste.
Das letzte Glied der Kette
Man konnte den fremden Eroberern eine ganze Menge nachsagen. Nur das eine nicht, dass sie es nämlich nicht verstanden, Feste zu feiern. Zwar Harvart aus Mogàl, der das Land mit seinem Heervolk überzogen hatte, war noch das alte Raubein von Kriegerkönig geblieben, als er sich selbst zum neuen Herrscher Movennas ernannte, und er hatte auf jeden Pomp verzichtet. Doch schon sein Sohn Jurtak hatte seine Krönungsfeierlichkeiten als eine solche Demonstration von Macht und Pracht begangen, wie man es im Lande noch niemals erlebt hatte. Nicht zu Zeiten der sieben großen Könige, ja nicht einmal als die sieben kleinen Könige regierten, die doch für ihren Reichtum und ihre Prunkliebe berühmt gewesen waren. Da hatte es Waffenspiele gegeben und Gelage und die grausigsten Hinrichtungen, die ein mogalithisches Herz sich nur erträumen konnte, daneben Gesang und Tanz und Theateraufführungen in der kostbarsten Ausstattung. Bier und Wein waren in Strömen geflossen, und noch Jahre später sprachen selbst die entschiedensten Gegner Jurtaks mit Anerkennung, ja mit Begeisterung von dieser Krönungsfeier.
Und doch waren die Krönungsfeierlichkeiten Jurtaks nichts im Vergleich zu den überwältigenden Spielen, die der König am zehnten Geburtstag seines Sohnes und Kronprinzen Ardua gab. Denn Ardua, so war es Jurtaks Wille, sollte dereinst als sein Erbe die Herrschaft über Movenna antreten und die noch junge mogalithische Königsdynastie im Lande fortsetzen. Und so war es wichtig, dem Volk der Moven’Am den jungen Prinzen als Herrn der Festspiele zu präsentieren und als freigebigen Fürsten, der mit Gold und Geschenken nicht sparte. Zwei ganze Wochen lang hallten die Straßen der mächtigen Reichshauptstadt Pol Movenn wider von Trompetenklang und Saitenspiel, Hufschlag und Schwerterklirren, und jeden Tag ritt der Kronprinz in einem prächtigen Umzug durch die Stadt zum Festplatz hinaus, streute aus vollen Händen Goldmünzen mit seinem Bildnis unters Volk und ließ sich huldigen. Draußen auf dem Festplatz aber saß er dann auf einem gewaltigen goldenen Thron an der Seite seines Vaters Jurtak und sah gemeinsam mit dem Volk den Spielen zu, die zu seinen Ehren gegeben wurden, lauschte den berühmtesten Barden des Reiches und ergötzte sich an den Reiterkämpfen, für die sich die Moglàt seit jeher begeistern konnten.
Mehr als einmal schrien die Moven’Am angstvoll auf, wenn einer der mogalithischen Reiter sein Pferd auf der Hinterhand wendete oder sich in vollem Galopp unter dem Bauch seines Pferdes hindurch gleiten ließ, um einen winzigen Goldreif vom Boden aufzugreifen. Die fremden Reiter aus den östlichen Steppen, so hieß es, hatten ihr gesamtes Leben auf dem Rücken ihrer Pferde zugebracht, und daheim in Mogàl, so erzählte man sich in Movenna, aßen und schliefen sie sogar im Sattel. So war es kein Wunder, dass ihre Kunst den Moven’Am bei diesen Spielen den Atem raubte.
Einzig die Nearith, die im Grenzland zwischen Movenna und Mogàl lebten, konnten mit den Reitern der Eroberer konkurrieren, und groß war der Jubel auf dem Festplatz, als ein junger Häuptlingssohn aus den nearithischen Steppen das große Ringstechen vor allen mogalithischen Reitern gewann und einen goldenen Ehrenpokal aus den Händen Arduas empfing. Die Ehre Movennas schien gerettet mit diesem Sieg, und auch die Moglàt stimmten in die Beifallsrufe des Volkes mit ein, denn zum einen galten die Nearith als ein vor Jahrhunderten nach Movenna eingewanderter Stamm der Moglàt, zum anderen aber war Arduas Mutter eine nearithische Prinzessin gewesen, und so blieb auch dieser Sieg in der Familie der neuen Dynastie.
Auch Jurtak und Ardua lauschten dem nicht enden wollenden Jubel auf dem Festplatz. Jurtak mit der zufriedenen Miene eines Staatsmannes, dem ein schwieriges Projekt gelungen war, und Ardua mit großen runden Kinderaugen, wie sie die schmaläugigen Steppenbewohner fast alle bekommen hatten in den farbenfrohen Landschaften Movennas, doch Arduas Augen waren besonders rund und glänzend, selbst für einen Moglàt.
Endlich hob Jurtak die Hand, und ein schmetternder Fanfarenstoß aus hundert Trompeten schallte über den Platz. Sofort trat Stille ein. Aller Augen richteten sich auf den König, der sich von seinem Sitz erhoben hatte und sich in einer feierlichen Ansprache zugleich an den Prinzen und an das Volk der Moven’Am wandte: „Ardua, mein Sohn“, hallte seine Stimme weithin über die Köpfe der Zuschauer bis hin zu den Knechten und Tagelöhnern ganz hinten in den letzten Reihen des Volkes. „Du bist der Erbe zweier großer Nationen und wirst dereinst an meiner Statt die Krone dieses Reiches tragen. Zwei Wochen lang habe ich dich dem Volk gezeigt, und du hast die Huldigungen deiner zukünftigen Untertanen entgegengenommen. Empfange nun zu deinem Geburtstag das letzte Geschenk deines Vaters und des Landes Movenna.“
Wieder hob Jurtak die Hand, und ein erneuter Fanfarenstoß erschütterte die Luft. Mit weitaufgerissenen Augen starrten die Moven’Am auf den Kampfplatz und erwarteten gespannt die neuen Sensationen, die jetzt kommen sollten. Pferde mit glänzendem Fell und bebenden Nüstern mussten nun heran galoppieren, gewandte, sehnige Steppenkrieger und Magier der Reitkunst, noch großartigere Darbietungen als bisher erwartete das Volk.
Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen teilten sich die Reihen der mogalithischen Krieger und gaben den Blick auf einen einzelnen, alten Mann frei, ein Greis mit wallendem weißen Bart und lang auf die Schultern niederfallenden weißen Locken kam zu Fuß auf den Kampfplatz geschritten, langsam, feierlich, einen Schritt nach dem anderen, trat er in die Mitte der Arena, senkte in einer kurzen, ruckartigen Bewegung vor dem König und seinem Sohn den Kopf und schlug dann seinen weißen, weitgebauschten Mantel zurück.
Читать дальше