Bis sie das gegenüberliegende Flussufer erreicht hatten, dachte er nach, und er sagte kein einziges Wort dabei. Doch als er vom Pferd sprang und Achlys aus dem Sattel half, da begannen seine Augen plötzlich zu leuchten. Hatte ich schon erwähnt, dass Prinz Flaric strahlendblaue Augen hatte? Manchmal, wenn er einen guten Gedanken verfolgte, haben die Leute sogar dunkelblaue Blitze darin flackern sehen. ‚Du könntest doch nebenher ein wenig doktern’, schlug er vor. ‚Krankheiten heilen und Wunden pflegen, das soll schon etwas einbringen.’ Achlys schüttelte den Kopf. ‚Davon verstehe ich nichts.’ Aber Flaric hatte den Faden schon weitergesponnen und erklärte begeistert: ‚Nichts leichter als das. Du brauchst nur ein paar Salben. Nimm Butter dazu oder meinethalben Wagenschmiere, dann tu ein paar Kräuter hinein, das wird schon ausreichen. Anfangs musst du von selbst hingehn, wenn du hörst, dass jemand krank ist. Den reibst du mit deiner Salbe ein und murmelst dabei immer so vor sich hin: Helpt dat nich, dann schad’t ook nich. Du wirst sehen, die meisten werden wieder gesund, denn so leicht stirbt es sich nicht hierzulande. Und wenn du das ein paarmal getan hast, werden die Leute irgendwann zu dir kommen und dich holen, wenn jemand krank wird. Es wird gar nicht so lange dauern, dann musst du keine Pilze mehr sammeln und kannst von deiner Heilkunst leben.’
Achlys, die wusste, dass Prinz Flaric am liebsten sämtliche Wälder Movennas mit Kräuterhexen und Nachtgespenstern bevölkert hätte, dankte ihm höflich für den Ratschlag und beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Sie verabschiedete sich also von dem jungen Mann, er stieg wieder auf sein Pferd, und beide setzten ihren Weg fort. Flaric hat meine Ahnfrau auch bald vergessen.“
Als Lournu die Salbe in seinen aufgeschrammten Ellenbogen einmassierte, konnte Ardua deutlich verstehen, was sie da vor sich hinmurmelte. „Helpt dat nich, dann schad’t ook nich“, brummelte sie immer wieder, „hilft’s auch nicht, es schadet nicht.“ Das Kribbeln in seinem Arm war nicht unangenehm, und die Schmerzen in seinem Bein hatten inzwischen fast vollständig aufgehört.
„Achlys hatte nicht vor, sich auf die Doktorei zu verlegen. Aber im nächsten Jahr wuchsen die Braunhüte noch schlechter, und im übernächsten hat sie auch keine Mundlinge mehr finden können. Nur Schmackschwämme wuchsen noch reichlich, aber sag selbst, was würdest du wohl ausgeben für einen Korb Schmackschwämme?
In dieser Zeit geschah es, dass ein Schmied in Pol Movenn sich an einem glühenden Eisen verbrannte. Da warf Achlys eine Handvoll getrockneter Kräuter in einen Topf voll Butter, gab zerstoßene Schmackschwämme hinzu und vermengte das alles miteinander. Am nächsten Morgen stand sie vor der Tür der Schmiede und verlangte, die Wunde zu sehen, strich dann ihre Salbe darauf, und dabei murmelte sie leise vor sich hin: ‚Helpt dat nich, dann schad’t ook nich.‘ Daraufhin kehrte sie nach Hause zurück, und als die Zeit vergangen war, die es braucht, bis eine Brandblase verheilt, war der verletzte Schmied wieder gesund. Nur wenig später geschah es, dass an der Furt ein auskeilendes Pferd einen Kaufmann am Bein verletzte. Achlys kam zufällig herzu, und wieder strich sie ihre Salbe auf die Wunde und sagte ihren Spruch dabei, den niemand verstehen konnte. Und da Kaufleute weit herumkommen, wusste es nach einigen Jahren beinahe das ganze Land, dass unten am Fluss eine Frau hauste, die Wunden besprach und Kranke heilte. Es dauerte gar nicht lange, da kamen Verletzte von selbst zu ihr oder ließen sie durch Boten zu sich bitten. Zuerst waren es nur Bewohner Pol Movenns, die sie riefen, bald aber kamen Menschen von weither, um sich heilen zu lassen.“
„Aber das war doch Betrug“, schimpfte Ardua.
„Wie man es nimmt“, entgegnete Lournu. „Die Menschen wurden ja gesund, oder nicht? Tut dein Bein noch sehr weh?“
„Nein, nicht mehr so sehr.“
„Nun“, fuhr Lournu fort, „meine Ahnfrau jedenfalls war bald eine bekannte Heilerin, und manches wurde wohl auch bis ins Maßlose hinein aufgebauscht, je weiter man sich von Pol Movenn entfernte. Längst musste sie keine Pilze mehr sammeln, um sich zu ernähren. Aus der alten Pilzfrau war angesehene Zauberin geworden, und sie lebte nicht schlecht dabei.
Auch Flaric war inzwischen nicht mehr der junge, unbekümmerte Prinz von damals, der in den Wäldern herum streifte und Gespenster suchte. Nach dem Tode Eirikirs war er König geworden, und da blieb nicht viel Zeit, um über Spukgestalten nachzugrübeln. In jenen Tagen legte die Handelsstadt Ura sich einen neuen Hafen an der Mündung des Lethargyrion an: Urasport, eine hübsche kleine Hafenstadt. So hatte der junge Säulenkönig seinen Hof nach Ura verlegen lassen, um die Bauarbeiten besser verfolgen zu können.“
„Dann hat er nie erfahren, dass er die Hexenzunft begründet hat?“, warf Ardua ein. „Das ist aber schade.“
„Man muss nicht alles wissen über die Dinge, die man geschaffen hat. Flaric hatte wichtigere Dinge zu bedenken, da blieb keine Zeit für Geschichten von Kräuterhexen und Nachtgespenstern. Frag einmal deinen Vater den König, ob er noch Zeit zum Träumen hat. Flaric hatte alle Sorgen und Nöte Movennas in seinen königlichen Gedanken zu bewegen. Nachts wachte er schweißgebadet auf und hatte von Kostenvoranschlägen geträumt für den Bau des Hafenbeckens von Urasport.
Nein, es war kein leichtes Amt, das Königsamt von Movenna. Und so ist es kein Wunder, dass der gute König Flaric am Ende krank wurde dabei. Ein faustgroßes Geschwür unten am Bauch hat ihm die Sache eingetragen, und seine Ärzte schüttelten traurig die Köpfe darüber, denn sie konnten es nicht operieren. Flaric, der spürte, wie es mit ihm zu Ende ging, schrieb sein Testament, und dann legte er sich hin und erwartete den Tod.
Ganz bestimmt hätte der ihn auch ereilt, wenn nicht gerade in diesen Tagen der Kaufmann nach Urasport gekommen wäre, den Achlys damals geheilt hatte. Als er vom Zustand des Königs hörte, erinnerte er sich an die Zauberfrau und berichtete Flarics Familie von ihr. Sofort wurden Boten ausgesandt, zwanzig schwarze Ritter galoppierten nach Pol Movenn und suchten und fragten, bis sie die berühmte Wunderheilerin gefunden hatten.
Achlys hatte ein wenig Angst, als man sie fast gewaltsam ins Krankenzimmer des Königs hineinschob. Denn wie sollte sie dem Kranken etwas vorzaubern, sie kannte ja nur den einen Zauberspruch, den er sie damals gelehrt hatte. Sicher, sie hatte viele Menschen geheilt inzwischen, doch waren das Menschen gewesen, die an sie geglaubt hatten. So trat sie sehr zögernd an sein Bett.
Flaric erkannte sie nicht. Er lag zusammengerollt da und atmete schwer. Das Geschwür hatte inzwischen die Größe eines Kindskopfs, dick und rot leuchtete es, und es war leider gar kein Zweifel mehr möglich, dass es ihm ans Leben griff, wenn nicht schnell etwas geschah. Seufzend packte sie ihre Salben aus und fing an, den König einzureiben.
Flaric war inzwischen alles egal, was man mit ihm anstellte. Teilnahmslos lag er dort, starrte die Wand an und ließ auch diese Kur gleichmütig über sich ergehen. Nur ein leises Murmeln hörte er, jemand sagte einen Zauberspruch auf. Doch plötzlich stutzte er. Irgendetwas an der Frau kam ihm bekannt vor. Er fasste sie näher ins Auge, und als er nun die Ohren spitzte, da verstand er, was sie sagte: ‚Helpt dat nich, dann schad’t ook nich’, brummte sie vor sich hin. Als Flaric die alte Pilzfrau wiedererkannte, brach er in Gelächter aus. ‚Das ist doch nicht wahr!’, prustete er. ‚Das kann doch nicht wahr sein, dass du tatsächlich mit dem Doktern angefangen hast!’ Er konnte sich gar nicht mehr halten vor Lachen, er lachte und lachte, so laut lachte er, dass die Wände des Zimmers zu zittern begannen, und plötzlich gab es einen lauten Knall, und das Geschwür platzte auf.“
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