Als aufmerksamer Leser, werden Sie sicher schon längst bemerkt haben, dass ich hier die ganze Zeit im Konjunktiv, also in der Möglichkeitsform schreibe. Daraus könnten Sie schließen, dass irgendwas passiert sein könnte, was unseren ursprünglichen Plan etwas aus dem Gleis hob.
In der Nachbetrachtung behauptete Andi später, die Sache wäre in dem Augenblick schon erledigt gewesen, als Momo, nach dem Liter Cola, den er auf einen Zug trank, so richtig herzhaft rülpsen musste. Erstens hallte dieser Rülpser in den hohen Gängen des Kapuzinerklosters doch beachtlich nach, was die Lautstärke irgendwie noch zu verdoppeln schien, und zweitens hatte Momo die Angewohnheit, irgendwelche bescheuerten Wörter oder Sätze zu rülpsen. Was da dann kam, konnte Momo selbst nicht einschätzen, das war so mehr, wie ein Tourette-Syndrom und er erschrak selber darüber am meisten.
Sein herzhaft gerülpstes: „FordDieTunWas“ hallte durch die Gänge und hatte Gott sei Dank noch keine Auswirkung auf die Aktion. Endgültig durch war die Nummer, als Matze, der vorne lief, flüsterte: „Boah, Mann. Das Chili von heute Mittag liegt mir irgendwie ganz komisch im Magen. Das fühlt sich an, als ob es noch leben würde.“ Dem kleinen Mann, der hinter ihm auf der Liege lag, wehte es kurz und schnell die Haare ins Gesicht und auch diese, nun, Flatulenz, so will ich sie mal nennen, hallte von den hohen, glatten Wänden beachtlich wider. Momo, hinten laufend, kicherte kurz dümmlich, was ihn kurz straucheln ließ und stolperte dabei über eine hochstehende Bodenfliese. Den Knirps im Bett hob es kurz aus den Federn, er knurrte leicht, hob etwas den Kopf und blinzelte ein paar Mal etwas irritiert umher, hätte aber bestimmt weiter geschlafen. Ich meine, wenn Momo ihm nicht seine Pranke, die so groß war, um Waldbrände auszuschlagen, ins Gesicht gedrückt und ihn mit den Worten: „Bleib liegen, du Frettchen“, zurück in sein Kissen gedrückt hätte, wäre auch sicher weiter nichts passiert. Nun wachte der Bengel aber leider genau deswegen und in diesem Moment ganz auf. In diesem Augenblick hätten wir zwar alle immer noch die Zeit gehabt, die Bettchen abzusetzen und einfach leise abzuhauen und zu hoffen, dass der Bursche noch so verpennt gewesen wäre, um keinen zu erkennen. Sie sehen schon, „hätte, hätte, Fahrradkette“, wie man so schön sagt, nicht wahr? Also, ab hier, so könnte man sagen, lief die Sache komplett aus dem Ruder. Tommi, der mit seiner Taschenlampe ganz vorne lief und die Vorhut bildete und mit der Aktion eigentlich nichts zu tun hatte, versuchte, die Situation zu retten, damit hätte jetzt von uns keiner wirklich gerechnet. Er schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete sein Gesicht damit von unten an. Durch das Licht der Lampe und verschiedenen Schatten auf seinem Gesicht, wirkte Tommis ganzer Kopf irgendwie verschoben, krumm und schief, so wie dieses Zeug in den Lavalampen und sein Gesicht war, fratzenhaft verformt, also jetzt nicht gerade eben von Vorteil in so einer Situation. Der Junge schaute Tommi mit weit aufgerissenen Augen an. Als ob Tommis schiefe Birne alleine nicht schon genug gewesen wäre, sagte er, mit tiefer, irgendwie monsterhaft verstellter Stimme: „Wir sind die Borg. Sie werden assimiliert werden. Widerstand ist zwecklos“ und imitierte dazu noch irgendwelche merkwürdigen Roboter-Geräusche: „Miiiieb ... Mubmubmub … Ööüüööüü.“ Ich lief ein Bettchen direkt hinter dieser Gruppe und schlug mir die Hände vors Gesicht und murmelte nur noch: „Ohgottohgottohgott.“ Tommi blickte nun selber leicht panisch, mit weit aufgerissenen Augen umher, glaubte seinen offensichtlich Fehler zu erkennen und setzte erneut an: „Ähm ... ja, also ... scheiße ... ich meine natürlich. ICH BEFEHLE DIR: SCHLAF WEITER. HÖRE AUF MICH, DENN ICH BIN DEIN GEBIETER, ICH BIN SAATAAAN.“ Auch Tommis SAATAAAN hallte von diesen dunklen, hohen Wänden, noch ein paar Mal zurück. In diesem Augenblick fing der kleine Bursche völlig kopflos an zu schreien. Beeindruckende Lautstärke, die der Bengel da aus seinem kleinen Körper heraus presste. Ab da überschlugen sich die Ereignisse ein klein wenig: Man hörte, wie an verschiedenen Ecken des Ganges kleine Feldbetten abgestellt wurden und mehrere Kinder fingen simultan an zu brüllen. Man hörte, wie mehrere Jugendliche in unterschiedliche Richtungen abhauten. Lichter gingen an, Türen wurden aufgerissen, Kinder und Erwachsene erschienen im Gang. Ein Knirps schrie: „Das waren die großen Jungs aus dem großen Zimmer .....“, Matze brüllte: „Na, toll gemacht, Tommi“ Tommi meckerte: „Ach ja und der feine Herr Schröder hat ja alles richtig gemacht.“ Momo rief: „Hört endlich auf eure Scheiß-Namen zu nennen, ihr Idioten“ Beide brüllten: „Fresse, Momo“ „Gott sei Dank nicht meinen Namen“, dachte ich so bei mir, als es durch die Gänge hallte „Wo is´n der Gleim und die anderen beiden Arschlöcher ...“, mehr nahm ich auf meiner kopflosen Flucht nicht wahr.
Auf dem Weg in den Speisesaal zum Mittagessen fing uns der Herr Pfarrer ab. Mit zusammen gepressten, blutleeren Lippen, vibrierten seine beiden nach oben gezwirbelten Bartenden leicht vor Zorn: „Auf ein Wort, meine Herren. Bitte in mein Büro.“ Irgendwie hatten wir das erwartet, jedoch nicht so früh. Noch als er die Türe hinter sich zu zog, fing er schon an zu brüllen: „SATAN? ECHT JETZT? IST DAS IHR ERNST? AUSGERECHNET HIER?“, dann fiel die Türe ins Schloss. Alter Verwalter, ich habe noch nie einen Pfarrer so viele hässliche und böse Worte brüllen hören, die alle irgendwie aus der Wortfamilie „Blöd“ stammten. Als Momo sagte: „Na, da muss jetzt aber mal einer so richtig ordentlich seinen Mund mit Weihwasser ausspülen, was?“, bekam der Herr Pfarrer tellergroße Augen und fing an, zu hyperventilieren. Die Sanitäter ließen ihn in eine Tüte atmen. Wir sprachen nie mehr wieder über die Satan-Sache.
(Wolfgang Ambros)
Ja, ich glaube zur Rampensau muss man geboren werden. Man muss es mögen, auf einer Bühne zu stehen und von anderen beobachtet zu werden. Es gehört ein gewisser Exhibitionismus dazu, sich auf Bühnen, egal welcher Größe, wohl zu fühlen. Ich spürte das zum ersten Mal, als wir in der Schule mit der Schauspielgruppe das Theaterstück „Zieh´ den Stecker raus, das Wasser kocht“ von Ephraim Kischon aufführten, dass ich mich auf der Bühne irgendwie wohl fühlte. Ich mochte dieses Kribbeln, dieses Grummeln in der Magengegend, diese Mischung aus Angst, vor den Leuten auf der Bühne zu stehen, und plötzlich ist der komplette der Text weg. Angst auf der einen Seite, ganz erbärmlich zu versagen und das Ding in den Dreck zu fahren, und auf der anderen Seite, die Lust und die Freude, Menschen zu unterhalten und dafür beklatscht zu werden. Von Leuten beklatscht zu werden, ist ein Kick, der durch nichts zu ersetzen ist. Ja, isso. Ein Erlebnis, das schwer zu beschreiben ist. Ein Rauschzustand. Eine Droge. Was kann es denn Schöneres geben, als Leute zu unterhalten und ihnen ein oder zwei geile Stunden zu geben?
Es gibt Kreative, die sich diesem Hochgefühl oder dieser Versagensangst niemals stellen werden. Diese sogenannten „Probeweltmeister“ üben ihre Programme bis zur Perfektion. Jede Bewegung und jeder Handgriff wird exzessiv geprobt und verbessert. Es wird aber trotzdem immer ein „Wenn“ und ein „Aber“ geben, dass laut genug ist, um nicht überhört zu werden und um noch einen Probetermin anzusetzen. Und es gibt Musiker, die beim ersten Probetermin schon den ersten Auftrittstermin bekannt geben. Zu denen gehörte ich wohl. Kaum konnten wir in der ersten Band „The Studebakers“ drei oder vier Lieder mehr oder weniger fehlerfrei durchspielen, schleppten wir schon unsere Verstärker in irgendwelche Partyräume. Jeder Gig war besser als drei Proben.
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