Andi war unser Held. Er hatte es geschafft, ohne sein aktives Dazutun, einen kompletten Bus zu Revolutionären zu verwandeln.
In Neuendettelsau war die Trio-Kassette in der folgenden Woche der Knaller. Wie es Andi schaffte, wieder zu seiner Kassette zu kommen, ohne sich eine ewig lange Gardinenpredigt des Pfarrers anzuhören, blieb sein Geheimnis. Aber er blieb während der Woche unser heimlicher Held. Andi hatte uns mit der Trio-Kassette die musikalsche Revolution nach Neuendettelsau gebracht.
6. Sabine, Sabine, Sabine
(Trio)
Konfi-Freizeit in Neuendettelsau. Wir merkten schnell, „aufregend“ war ‘was anderes. Im Leben pubertierender Großstadt-Jungbullen pulsierten die Großstadtlichter sehr, sehr weit weg von Neuendettelsau. Viel los war hier nicht. Alles in uns schrie nach Abwechslung, nach Aufregung, nach Spannung, aber man hätte uns schon jede Minute eine Ampulle Adrenalin ins Herz pumpen müssen, um auch nur im Ansatz das zu erleben, was irgendwelche Großstadtkinder erleben durften.
Aber wie befanden uns nun mal eben auf einer kirchlichen Konfirmandenfreizeit und nicht auf der Uferpromenade von Nizza. Dass wir da abends zusammensaßen und Trio hörten, war gewissermaßen schon ein Tageshöhepunkt. Immer nach dem Abendessen traf sich eine kleine Gruppe aus beiden Konfi-Gruppen im Aufenthaltsraum und hörte die Songs der Trio-Kassette hoch und runter.
„Sabine, Sabine, Sabine“ wurde von einer eher sanften und perkussiven Rhythmusgruppe angeschoben und von einer warm klingenden Gitarre begleitet, die nur einzelne Akzente setzte oder auch mal Akkordfolgen mitspielte und damit hatte das eher Ähnlichkeit mit der unaufdringlichen Fahrstuhlmusik der Steigenberger-Hotelkette. Heute würde man das wahrscheinlich als „Easy Listening“ bezeichnen und Phil Collins würde daraus Lieder für ein ganzes Familien-Musical schreiben und dafür mehrere Grammys erhalten. Ein mehrstimmiger Damenchor begann abwechselnd „I love you“ und „Sabine, Sabine, Sabine“ hin und her zu singen und bevor das Ganze begann, zu unauffällig durch die Gehörgänge zu mäandern, um sich irgendwo in den Synapsen zu verstecken, hörte man das markante, ratternde Drehen eines alten Wählscheibentelefons. Danach hörten wir zwei oder dreimal das Freizeichen, bis eine, wer hätte das erwartet, Sabine, Sabine, Sabine den Hörer abnahm, und wir mussten ab hier mit anhören, wie Herr Remmler quasi fast darum bettelte, die absolut fetteste telefonische Klatsche ever zu bekommen.
Während des Tages führten wir Gespräche, die sich um die Bedeutung der Konfirmation drehten und wie sie sich auf unser noch recht junges Leben auswirken könnte. Wir sprachen über unseren Glauben, über Religion und über die Bibel, wie sich unser Leben nach der Konfirmation verändern würde und solche Sachen. Am Abend trafen wir uns alle wieder und hörten Lieder über „Schwanzparaden“ und ein Telefongespräch mit „Sabine, Sabine, Sabine.“ Das alles stand irgendwie in einem seltsamen Kontrast zueinander. Also wollten wir halt auch was Blödes machen. Ich meine, war es clever, dass Herr Remmler diese Sabine, Sabine, Sabine angerufen hat, um sie, mitten in der Nacht noch klar zu machen? Am Telefon? Wahrscheinlich noch volle Kanne zugedröhnt? Hallo? Wohl kaum. Aber ab und zu musste man einfach was riskieren. Etwas Großes raus hauen. Einen fetten Bob in die Bahn schicken. So´n richtig dickes Ding eben. Was schien da besser geeignet, als das alte Gemäuer dieses bayerischen Kapuzinerklosters? Wuchtig wirkte es,, groß und erhaben, wie es dort auf einem Hügel stand. So von weitem gesehen, hatte es sogar etwas Ähnlichkeit mit der alten Zauberschule Hogwarts. Natürlich huschten hier nicht Ron oder Hermine und erst recht nicht Harry durch die dunklen Gänge, nein, hier waren unsere beiden Konfi-Gruppen und noch verschiedene andere Gruppen untergebracht und verbrachten ein paar Tage. Auf dem gleichen Stockwerk wie wir war noch eine Gruppe kleinerer Jungs und Mädchen, höchsten sechs oder sieben Jahre alt. Wir Konfirmanden waren jeweils in 6-Mann-Zimmern mit Stockbetten untergebracht. Die Kids schliefen in Schlafsälen auf kleinen Feldbetten, die schön nebeneinander aufgereiht auf dem Boden standen. Die eine Gruppe Jungs kamen aus Nürnberg und war die Vorschulgruppe eines kirchlichen Kindergartens und durft nochmal zusammen ein paar nette Tage verbringen, bevor man sie in den harten Alltag der Grundschule entlassen würde.
Sie verbrachten ihre Tage damit, irgendwelche Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen, spielten Kindertheater, sangen Lieder und machten mit diesen Orffschen Instrumenten völlig sinnlosen Lärm. Ansonsten kneteten sie unerklärliche Dinge aus Fimo-Knete und machten den lieben langen Tag über so typischen Kinderquatsch. Wir überlegten uns, ob wir nicht hier, bei den kleinen Jungs, ein bisschen Verwirrung stiften könnten. Es sollte nichts Außergewöhnliches oder Spektakuläres sein und weh tun wollten wir ja auch keinem. Im Idealfall würde es so laufen, dass zwar etwas gewesen wäre, irgendwie ´ne komische Sache, aber keiner wusste so richtig, was, und da man denen nicht so richtig glauben würde, denn immerhin waren es Kinder und die träumten ja schon mal wirres Zeug, würde niemand auf uns kommen und wir wären damit aus dem Schneider. Das zumindest war der grobe Plan.
Die erst Aktion ging leider voll daneben. Vielleicht waren wir ein bisschen zu nachlässig in der Planung. Matze sagte, er hätte einen phosphoreszierenden Edding dabei und wir könnten doch ein paar Namen der Burschen und ein paar Botschaften auf die Zimmerwände schreiben. Wenn sie dann nachts das Licht ausmachten, würden sie, wie von Geisterhand, irgendwelche seltsame Nachrichten aus dem Jenseits lesen können. So was wie: „Lieber Uwe, Dein Bruder hat Deine Carrerabahn kaputt gemacht und nicht der Papa“ oder „Thomas, Deinen Hund Hasso hat der Nachbar totgefahren. Der Hund jetzt sieht nur genauso aus, wie Hasso. Schönen Gruß, Oma“ und „Thomas, hier oben gibt es auch Schnitzel, Dein Opa.“ Solche Sachen eben. Fanden wir klasse, die Idee. Nur die phosphoreszierende Wirkung des Stiftes, war derart erbärmlich, denn man konnte nur irgendwelches Krickel-Krackel an der Wand sehen, und aus: „Thomas, hier oben gibt’s auch Schnitzel. Dein Opa“ wurde: „ ... oma ... asch ... Opa ...“ Das Ganze war in etwa so gruselig, wie wenn sich ein Glas Milch in der Mikrowelle dreht. Einem Apfel beim Verfaulen zuzusehen, ist spannender.
Wir mussten nachbessern. In der darauffolgenden Nacht schlichen wir zu siebt in den kleinen Schlafsaal. Es war still und ruhig und man hörte von jedem Feldbett das entspannte und gleichmäßige Atmen der Jungs. Jeweils zwei von uns hoben eines der Betten vorsichtig an und schlichen damit im Kriechgang, Schritt für Schritt, aus dem Zimmer. Wir wollten die Bettchen irgendwo außerhalb des Zimmers wieder abstellen. Im Waschraum, auf´m Klo, im Treppenhaus oder neben dem Getränkeautomaten. Also irgendwo halt, wo man nicht unbedingt aufwachen möchte. Der siebte Mann war dabei, um Türen zu öffnen, mögliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen und mit der Taschenlampe den Weg auszuleuchten. Die Knirpse würden am nächsten Morgen aufwachen und ihren Betreuern dann irgendeine wirre Geschichte erzählen. So von wegen: „Ich bin heute Morgen im Klo aufgewacht.“ Natürlich würde niemand der Sache so richtig Glauben schenken wollen und die Betreuer würde nachfragen: „Was erzählst´n du da für Sachen, Bursche? Niemand wacht aufm Klo auf“, während wir in der Zwischenzeit schnell die Bettchen einsammeln und in den Saal zurückbringen würden. Unschuldig mit den Schultern zuckend, würden wir ungläubig antworten: „Na, wer macht den so was?“, wenn man uns fragen würde, ob wir etwas bemerkt hätten.
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