Mittlerweile sind Jahre vergangen, Amelie hatte Reece geheiratet, Nehle hat ihre Ausbildung beendet und immer noch wartete sie. Ab und zu traf eine Postkarte oder ein Brief zum Geburtstag ein, aber mehr hatte Amelie nicht übrig. Weihnachten feierte Nehle daher immer bei Timo und seinen Eltern. Die beiden haben sich damals in der Sandkiste kennengelernt, haben den gleichen Kindergarten, dieselbe Schule besucht. Bis es Nehle in der achten Klasse so gut gefallen hatte, dass sie diese gleich nochmal wiederholen wollte. Doch ihrer Freundschaft hatte es keinen Abbruch getan. Im Gegenteil es hat das Band nur noch bestärkt.
Timo, mit seinen blonden kurzen Pony, der seine hohe Stirn gut kaschierte. Timo, der eine Touristin nach der anderen abschleppte und Nehle diese nachher trösten durfte, wenn sich das Mädchen mehr als Sex erhofft hatte. Ja. Das war Timo.
Doch nun fuhren sie gespannt von Wittdün nach Norddorf. Dort wo Uwe Block einen schrecklichen Fund im Kellergewölbe gemacht hatte.
Nehle trat die drei Stufen hinab, bis sie in der dunklen Küche stand. Mit der rechten Hand suchte sie vergebens den Lichtschalter und drückte gleichzeitig mit Herrn Block, dem Makler, darauf. Ihre Hände berührten sich. Nehle zog angewidert ihre Hand unter der des Maklers zurück. Seine vom Schweiß triefende Hand auf ihrer. Sie fand den Mann von Anfang an schon unsympathisch und hoffte nur, dass Timo seinen Erkundungsgang in den oberen Räumen bald beendet hatte. Sie wollte auf keinen Fall so lange mit ihm alleine bleiben. »Sehen Sie, wie instand die alten Geräte noch sind?« Wollte er mir das Haus jetzt anpreisen?, dachte Nehle und verdrehte die Augen. »Ja. Nett. Aber könnten Sie mir jetzt bitte die Fundstelle zeigen.«
»Natürlich.« Der Makler deutete zu einer schmalen Tür. »Dort drinnen.« Er wedelte mit der Hand, um Nehle den Vortritt zu lassen. Ein penetranter Geruch stach ihr in die Nase. »Was zum....« Sie hätte sich fast übergeben müssen. »Hier haben wir keinen Strom mehr. Keine Ahnung wie sie hier früher gelebt haben?« Uwe Block zuckte mit den Achseln, was Nehle natürlich nicht sehen konnte.
»Sicher mit Kerzen oder Petroleumlampen...Was machen Sie hier eigentlich?«, fragte die junge Polizistin nachdenklich, als sie ihre Taschenlampe zückte. Diese hatte sie sich vorsichtshalber eingesteckt. »Na ja. Ich habe gehört, dass dieses Haus leer steht und es höchstwahrscheinlich verkauft werden soll.«
»Und?« Kurz strahlte Nehle dem Makler ins Gesicht.
»Ich wollte mich vorher einmal umschauen, bevor ich den Auftrag, das Haus zu verkaufen, annehme.«
»Hatten die Vorbesitzer keine Verwandten?«
»Keine Ahnung. Aber ich muss auch an mich denken. Außerdem wollte ich ja nichts stehlen. Ich wollte mir das Haus einfach nur anschauen eventuelle Mängel begutachten und mir ausrechnen was das alles kosten würde. Dann wäre ich zu der zuständigen Behörde gegangen und hätte mich als Makler angeboten.«
»Aha.« Die Geschichte klang zwar plausibel. Trotzdem wollte Nehle dies überprüfen, weil ihr der Mann irgendwie komisch vorkam. »Hier vorne ist es.« Uwe Block deutete mit seiner eigenen Lampe zu dem vergilbten Laken. Vorsichtig zog er es ab und vor ihnen standen zwei dunkle Müllbeutel. »Schauen Sie dort.«
Doch dazu kam sie nicht, denn Timo polterte, die wenigen Treppenstufen hinab und folgte dem raren Schein des Lichtes, welches von Nehles Taschenlampe ausging.
Sofort begann die junge Polizistin sich wohler zu fühlen. »Was haben Sie entdeckt?«
Timo hatte sich Einmalhandschuhe übergezogen und trat näher an die Säcke heran. Vorsichtig öffnete er die Knoten und zog das Gummi auseinander. »Geben Sie mir bitte mehr Licht«, bat Timo den Makler. Auch Nehle schenkte ihrem Partner Licht.
»O mein Gott.« Nehle lugte Timo über die Schulter und bekam große Augen. Ein nackter Schädel blickte sie an. »Was ist das?«
»Da sind zwei Leichen drinnen. So wie Polizeimeister Conni gesagt hatte.«
»Da war meine Befürchtung doch richtig. Ich muss mal eben an die frische Luft.« Uwe Block verabschiedete sich und ging nach draußen.
»Was machen wir denn jetzt?« Nehle war leicht überfordert. Sie hatte so etwas noch nie gesehen. »Hast du schon mal so etwas gesehen?«, fragte sie Timo.
»Nicht wirklich.« Er seufzte. »Tja. Wir brauchen die Spurensicherung. Einfach das ganze Programm.« Er zog den Handschuh aus und strich sich durch die Haare.
»Bist du sicher? Welche Spuren sollen hier denn noch gesichert werden?« Nehle pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Genug. Wir sollten schnellstmöglich anfangen zu ermitteln.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt und folgte dem Makler nach draußen.
Während die Gerichtsmedizinerin im Keller die beiden Leichen untersuchte, wartete Nehle vorm Haus. Sie brauchte dringend frische Luft. Nicht das sie der Anblick der Leichen verstört hatte. Es ist doch etwas anderes eine echte Leiche oder ein Skelett zu sehen. Den letzten Toten hatte sie bei ihrer Ausbildung gesehen. In der Gerichtsmedizin, wo sie einige Tage Praktikum gemacht hatte. Nehles Aufmerksamkeit gehörte der kleinen Haustür. Ein Glyzinienbogen hatte sich um die schmiedeeiserne Ranghilfe geflochten. Die himmelblauen Blüten wirkten wie kleine Weintrauben. Die Gerichtsmedizinerin, mit strengem Dutt, trat durch die Tür und schenkte der jungen Polizistin ein kokettes Lächeln. »Ich kann bis jetzt nur sagen, dass es eine männliche und eine weibliche Leiche ist.« Hinter ihr traten vier Männer mit zwei Leichensäcken vorbei zu dem großen Wagen am Straßenrand. »Ich werde mich bei Ihnen melden.« Sie reichte Nehle die Hand und tänzelte wie eine Ballerina zurück zu ihrem Wagen. Timo pfiff durch die Zähne. »Scharfe Braut.«
»O. Je.« Nehle stemmte ihre linke Hand in die Hüfte und rollte mit den Augen.
Drei Tage später bekam Nehle einen Anruf von der Gerichtsmedizinerin.
»Ja. Hallo Frau Schmidt. Hier ist Sarah Altrock. Ich habe neue Ergebnisse ihrer Leichen.«
»Tatsächlich?« Nehle zog sich einen kleinen Notizzettel vom Block und kritzelte alle Details mit.
»Ich konnte die DNA nehmen. Aber ich habe keinen Abgleich. So weiß ich immer noch nicht wer die beiden sind.«
»Okay. »Sie biss sich auf die Unterlippe. »Schade könnte man die Leichen nicht am Zahnbefund identifizieren? So schwer sollte es nicht sein, denn wir haben hier doch nur einen Zahnarzt.«
»Mm. Die Leichen liegen hier schon mehrere Jahre. Damals gingen die Menschen noch nicht regelmäßig zur Untersuchung und das Röntgen war noch nicht so weit wie zu unserer Zeit. Mit viel Glück könnte sich etwas ergeben. Darauf verlassen würde ich mich aber nicht. Aber jetzt etwas Positives. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass der Mann mit einem schweren Gegenstand am Kopf getroffen und an seinen Verletzungen gestorben ist. Außerdem waren seine Beine gebrochen. Nach dem Bruch wurden sie nicht richtig fixiert, so dass sie nicht wieder zusammengewachsen sind. Die Frau dagegen starb durch einen gezielten Messerstich.« Nehle tat sich eine Strähne hinters Ohr und spürte die Mine des Kugelschreibers. Wie er mit einer Hitze über das Papier fegte. »In Ordnung. Ich bedanke mich erst einmal. Darf ich Sie bei weiteren Fragen nochmal anrufen?«
Nehle wartete. »Aber natürlich. Ich faxe Ihnen meine Ergebnisse schon mal zu, so dass Sie mit den Ermittlungen anfangen können.«
»Danke.« Nehle zerknüllte das Stück Papier und warf es Richtung Papierkorb.
»Hey. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« Timo hob den Papierball auf und warf ihn mit einer lässigen Handbewegung in den Korb. »Keine Ahnung.« Nehle zuckte mit den Achseln. »Wir bekommen gleich ein Fax von der Gerichtsmedizin.«
Juni 1939 - 1944
Ingrid stand vor dem großen Standspiegel.
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