Isabella wich zitternd von der Tür zurück: In was war sie da bloß hineingeraten? Die junge Frau verfluchte sich selbst. Wie hatte sie nur so dämlich sein können, ins LKA und in dieses Zimmer hineinzugehen? Hätte sie doch bloß auf David gehört und wäre nicht alleine hineingegangen! Nun saß sie hier in einem kleinen, dämmerigen Raum wie in einer Mausefalle.
Und wenn sie nun einfach klopfte, die Tür aufmachte und hinüberging? Wenn sie sagen würde, es war ein Versehen und es täte ihr leid?
Sie schüttelte den Kopf: Nein – jetzt war es zu spät. Das hätte sie ganz am Anfang machen müssen. Sie hätte zwar Ärger gekriegt, aber das wäre wohl nicht so schlimm gewesen. Jetzt dagegen… unmöglich!
Es blieb ihr nichts anderes übrig als abzuwarten, bis die Leute den Konferenzraum verließen… und zu hoffen, dass sie das bald taten.
Isabella saß noch immer tatenlos im Nebenzimmer des Konferenzraumes und konnte nichts weiter tun als zuzuhören.
Der Kriminaldirektor hatte seinen zwei oder drei Untergebenen ihre Aufgaben genauer erläutert. Den Stimmen nach schien auch eine Frau dabei zu sein.
Isabella hatte fast alles mit angehört. Doch sie wurde immer nervöser. Es war schon Viertel vor neun. Die Schauspielschule hatte bereits begonnen, sie war nicht entschuldigt. Ihr Handy hatte Isa lautlos gestellt, falls das Sekretariat nachfragte, warum sie fehlte. Der wichtige Brief von David steckte immer noch in ihrem Rucksack. Und irgendwann schaute womöglich mal jemand in den Nebenraum!
Gedankenverloren stand Isabella auf und sah sich um: Konnte sie sich hier nicht irgendwo verstecken? Ihr Blick fiel auf die Schränke an der Wand: Ob sie da hineinkriechen konnte? Leise schlich sie sich hinüber und öffnete die unteren Schränke: Sie waren alle voller Geschirr und hatten mehrere Unterteilungen – das ging nicht.
Isabella schloss die Schranktüren wieder und ging nachdenklich zurück zur Tür - halb lauschend, halb überlegend, wo sie sich noch verstecken könnte. Sie hörte unterbewusst, wie der Kriminaldirektor meinte: „Könnten Sie uns etwas zu trinken holen, Herr Kemp?“
Eine andere Stimme erwiderte: „Natürlich, gerne.“
Gleichzeitig machte Isabella zwei Schritte auf das zu, was sie für einen Kühlschrank hielt.
Doch plötzlich wurde ihr klar, was sie eben gehört hatte. Zugleich hörte sie Schritte. Sie fuhr zusammen: Er würde doch wohl nicht hierher…?
In dem Moment, als sich die Tür öffnete und heller Lichtschein ins Zimmer fiel, fuhr Isabella herum. Stocksteif, vor Schreck erstarrt und geblendet stand sie da und alles Blut wich aus ihrem Gesicht, als der junge Polizist wie in Zeitlupe in der Tür erschien und sie sah.
Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, und sie starrten sich beide völlig überrascht an.
Doch dann kam Leben in den Mann: „Was…?“
Blitzschnell fuhr er mit seiner Hand ans Schulterhalfter, zog seine Waffe und richtete sie auf Isabella: „Keine Bewegung!“
Scharf wie ein Messer durchschnitt seine Stimme die plötzlich entstandene Stille.
Vor Entsetzen wie gelähmt konnte Isabella nur die Pistole anstarren. Sie war gar nicht fähig, sich zu rühren, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Ein Stuhl fiel um, als im Konferenzraum jemand aufsprang. Eilige Schritte näherten sich.
Der Polizist bellte: „Hände hoch und umdrehen! Los!“
Isabella zitterte am ganzen Körper und konnte kaum noch klar denken vor Angst.
Der Mann wiederholte scharf: „Ich habe gesagt: Umdrehen!“
Er unterstrich seinen Befehl, indem er seine Waffe entsicherte.
Das weckte Isabella aus ihrer Erstarrung. Ihre Beine gehorchten ihr – wenn auch widerwillig – und sie drehte sich mit halb erhobenen Armen um, so dass sie an die Wand des Zimmers starrte.
Zum Schatten des Polizisten in der Tür gesellte sich ein zweiter Schatten. Die Stimme des Kriminaldirektors erklang: „Was ist los? Was…?“ Der Mann verstummte, als er Isabella erblickte.
Der junge Polizist antwortete mit eiskalter Stimme: „Eine Spionin. Sie hat gelauscht.“
Isabella schauderte und verteidigte sich verzweifelt: „Nein, das stimmt nicht! Ich bin bloß aus Versehen…“
Die Stimme versagte ihr. Sie wollte sich nach links umsehen.
Der Kriminaldirektor reagierte und warnte: „Sie darf eure Gesichter nicht sehen!“
Ein dritter Mann schlängelte sich gewandt an seinem Vorgesetzten vorbei, sprang vor, packte Isabella mit rechts am Rücken und stieß sie frontal gegen die Wand, wobei er mit seiner linken Hand ihr Gesicht so abdeckte, dass sie die Polizisten hinter ihr nicht sehen konnte: „An die Wand!“
Isabellas rechte Gesichtshälfte prallte unangenehm fest gegen die kühle, harte Wand. Ihr entfuhr: „Au!“ Fest wurde ihr Körper an die Wand gedrückt. Auch die vierte Person war offenbar mitgekommen, denn gleich darauf wurde Isa von einer weiteren Hand gegen die Wand gepresst. Ihr rechtes Handgelenk wurde ergriffen und neben ihrem Kopf an der Wand fixiert. Eine neue Stimme – sie gehörte zu einer Frau - erklang: „Gib mir mal deine Krawatte!“
„Hier.“
Kurz darauf legte sich der Stoff einer Krawatte kühl und fest vor Isabellas Augen. Jemand band die provisorische Augenbinde hinten an ihrem Kopf zu. Isa bewegte ihren Kopf – aber die Krawatte saß.
Der Mann links hinter ihr griff nach einem ihrer Rucksackträger, zog ihn ihr von der linken Schulter, packte dann Isabellas linkes Handgelenk und presste es gegen die Wand. Auch die Frau rechts hinter ihr gab nun kurz ihren rechten Arm frei, um ihr den Rucksack ganz abzunehmen.
„Durchsuch den Rucksack!“, hörte Isa sie zu einem ihrer Kollegen sagen.
Isabella wollte auffahren: „Nicht!“
Die Briefe waren doch da drin! Die Briefe, die sie persönlich übergeben sollte!
Von irgendwoher erwiderte eine kühle Stimme: „Doch!“
Schon wurde sie wieder an Schulter und Handgelenk ergriffen und gegen die Wand gedrückt.
Der Kriminaldirektor befahl: „Durchsucht sie! Dann nehmen wir sie gleich mal in die Mangel. Hat einer von Ihnen Handschellen hier?“
„Nein.“ „Nein.“ „Dann holen Sie welche!“
Der ganze Dialog spielte sich anonym ab, ohne Namen preiszugeben.
„Ich werde Sie jetzt durchsuchen. Bleiben Sie ruhig stehen!“, befahl ihr die weibliche Stimme.
Isabella spürte nun, wie zwei Hände mit geübten Bewegungen ihren Körper abtasteten. Widerstandslos ließ sie es über sich ergehen. Sie saß ziemlich tief in der Scheiße!
„Okay, sie ist clean“, verkündete die weibliche Stimme.
Daraufhin ließ der Druck gegen ihren Rücken nach. Der Mann, der sie die ganze Zeit gegen die Wand gedrückt hatte, packte sie nun am linken Arm und zog sie von der Wand weg, mit sich mit.
Isabella taumelte leicht – sie sah doch nichts. Reflexartig griff sie mit der freien Hand nach der störenden Augenbinde, aber da ergriff jemand auch diesen Arm und zog die Hand unsanft vom Kopf weg. Auf Socken zogen die beiden sie vorwärts, in den helleren Konferenzraum. Isabella musste stolpernd mitgehen. Plötzlich drückten sie Isabella nach unten auf einen Stuhl und hielten sie dort fest.
„Soll ich die Haussicherheit benachrichtigen?“, fragte einer der Polizisten.
„Ja, aber warten Sie noch ein paar Minuten. Die Haussicherheit kann sie sich später vorknöpfen. Nun habe ich erst einmal ein paar ganz spezielle Fragen an das Fräulein!“, antwortete der Kriminaldirektor.
Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinunter, sie war den Tränen nahe.
Jemand betrat den Raum: „Die Handschellen.“
„Danke!“
Isabellas Bewacher zogen ihr die Arme nun nach hinten, um die Stuhllehne herum, und kaltes Metall griff unnachgiebig fest nach ihren Handgelenken. Kurz darauf ließen sie Isabella los, aber sie konnte nicht aufstehen, weil sie mit den Handschellen an den Stuhl gefesselt war. Unbehaglich bewegte sie die Hände.
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