1 ...6 7 8 10 11 12 ...46 Die Herzogin seufzte und zwang sich dazu aufrecht zu sitzen, obwohl die Schwäche ihrer Glieder ihr schwer zu schaffen machte. Der heiße Kräutertee in dem sie deutlich Wermut, Engelwurz und Rosmarin schmeckte, hatte ihren Magen endlich beruhigt. Das Gefühl der Übelkeit war fort. Sie spürte jetzt nur noch einen dumpfen Druck, wie von einem Gürtel, der zu fest geschnürt worden war. Dieses Unwohlsein war erträglich. Auch die Schmerzen in ihrem Kopf, den sie sich beim Fall angeschlagen hatte, wurden zunehmend schwächer.
„Es war…“, sie hielt kurz inne, um tief durchzuatmen und sich Mut zu machen. Sie fühlte, dass es wichtig war jetzt in Worte zu fassen, was sie zuvor so erschreckt und verstört hatte. „Es war…seltsam, Aodrén. Nein, nicht seltsam, eher unverständlich, fast wie ein Rätsel, das die Aes Sidhe mir zu lösen gaben.“ Maeliennyd griff mit der Hand nach dem Becher und trank noch einen Schluck Kräutertee. Das Gebräu schmeckte widerlich, aber es tat ihr gut und der Rosmarin belebte ihre Sinne. „Sie zeigten mir die Nacht der Sommersonnwende im letzten Jahr: Wie mein Gemahl mich zuerst, wie ein närrischer Jüngling mit einem Kranz aus Ähren und dunkelblauen Kornblumen geschmückt und dann zu einer kleinen, gut versteckten Waldlichtung an einer Biegung der Laïta geführt hatte. Wir waren dort ohne irgendwelche tieferen Gedanken einfach wie ein frischverliebtes Paar zusammen gewesen und hatten in diesem vertrauten Augenblick im fahlen Licht des neuen Mondes absolut nichts getan, dass irgendwie die Macht der Sidhe beschworen hätte. Und trotzdem empfing ich in eben dieser Nacht ein Kind der Sonnwendfeuer.“
Aodrén lauschte interessiert, während seine Hand immer noch auf dem Leib der Herzogin ruhte, um jederzeit auch nur die kleinste Veränderung ihres Zustandes oder die nächste Wehe fühlen zu können. Bereits als er die letzten Überreste des noch glühenden Holzscheites bemerkt hatte, war ihm ein ähnlicher Gedanke gekommen. Er hatte sich so zusammengereimt, dass das Kind unter Umständen vielleicht doch eine Chance hatte zu leben. Jetzt war er sich seiner Sache sicher. Die Magie der weißen Dame von Concarneau war stark und ihre Visionen betrogen sie nie. „Weiter“, ermutigte er Maeliennyd Mut sich zurückzuerinnern. Er wusste, dass der Herzog von Cornouailles in diesem Augenblick trotz seiner Angst um seine Gemahlin und seiner Verzweiflung bereits auf dem Weg hinunter zum großen Steinring im Wald am Ufer der Laïta war. Es war Ambrosius‘ Pflicht, den Segen über das Land zu sprechen und gemeinsam mit den anderen Drouiz die beiden ersten der Bealltainn-Feuer zu entzünden. Sobald sie brannten und die Drouiz ihre Gesänge anstimmten, wurde der Schleier zwischen der weißen Welt der Aes Sidhe und der Welt der Menschen für einige wenige Stunden dünn und durchlässig. Die Korred und die Elben überwanden ihre übliche Scheu, mischten sich unter die Feiernden und schenkten den Menschen Glück und überschäumende Energie. In guten Jahren, wenn die Feuer mächtig brannten, sahen vom Glück begünstigte gar Hu-Gadarn auf seinem Schimmel übers Land reiten. Die Magie der Feuer von Bealltainn war stark. Sie schenkte Leben, nicht den Tod. Für gewöhnlich war es eine besondere Gunst der Aes Sidhe, wenn einer Frau gewährt wurde, in diesem Augenblick ein Kind zur Welt zu bringen.
Maeliennyd Glyn Dwyr nickte Aodrén zu und überwand sich dazu das ganze Bild der Vision noch einmal vor ihrem inneren Auge aufleben zu lassen. Sie wusste, dass sie nicht das kleinste Detail vergessen durfte, denn möglicherweise verbargen sich dort Hinweise auf das Schicksal ihres ungeborenen Kindes. Und vielleicht verstand es ja der weise Mann, was sie in ihrem Schmerz und in ihrer Verzweiflung nicht begriffen hatte. „Dann wurde alles wieder dunkel“, fuhr sie fort, „und ich bekam fürchterliche Schmerzen. Es war unerträglich und trotzdem konnte ich weder schreien, noch mich bewegen. Und ich konnte die Augen nicht abwenden: Die Flammen des kalten Feuer wuchsen höher und höher. Ich erkannte deutlich eine große, in den Felsen gehauene Halle. Dort saß vom Schatten halb verhüllt eine dunkle Königin auf einem Thron aus Elfenbein. Neben ihr stand eine hochgewachsene Gestalt in einem schmucklosen, schwarzen Gewand. Auf der Brust trug diese Gestalt an einer schweren Kette aus Gold ein prachtvolles Schmuckstück in der Form eines Raben. Und um das Gelenk der Hand, die auf der Lehne des Elfenbeinthrons ruhte schloss sich der Reif von Eluned...derselbe Reif, den mein Vater der Cadwalladr meinem Gemahl am Tag unserer Vermählung anvertraut hat. Ich habe die dunkle Faith erkannt, Aodrén. Es war die Némain Sidhe selbst, der schwarze Rabe, die Königin der Spukgeister, die Herrin der Krieger, das Ende und die Wiedergeburt, Krieg und Frieden, Tod und Leben. Doch sie war nicht schrecklich und furchteinflößend, sondern schön und bleich und auf ihrem Antlitz lag ein wohlmeinendes Lächeln.“
Die Herzogin schien ihre Schwäche vergessen zu haben. Dem dumpfen Schmerz, der dem beklommenen Gefühl in ihrem Leib inzwischen wieder Platz gemacht hatte, schenkte sie keine Beachtung. „ Aodrén“, sagte sie so laut und deutlich, als ob sie einen heiligen Eid schwören wollte, „dort saß nicht die schreckliche Alte, sondern die Herrin des Sees. Die Morrigù selbst hat mir diese Vision geschickt und es war so ganz anders, als alle anderen Visionen, die ich je hatte. Die Némain Sidhe hat mich in eine ferne Zukunft blicken lassen, um mir etwas Bestimmtes zu zeigen. Doch was? “
Der alte Mann schwieg und strich Maeliennyd Glyn Dwyr in langsamen, sanften Bewegungen über den Leib, während sie weitersprach. Er hoffte ihr Zuversicht und Vertrauen einzuflößen und vielleicht auch die Wehen wieder in Gang zu bringen. Das kleine Wesen in ihr musste sich endlich weiter in Richtung auf den Ausgang zuzubewegen, wenn es leben wollte. Bereits als Chaulliac die Herzogin untersucht hatte, war dem alten Drouiz aufgefallen, wie weit geöffnet der Muttermund war. Frauen empfanden die Wehen immer sehr unterschiedlich. Jede von ihnen kam ganz individuell mit den Schmerzen klar. Die Tatsache, dass Maeliennyd Glyn Dwyr in ihrem erregten Zustand nur wenig zu spüren glaubte, bedeutete noch lange nicht, dass die Eröffnungswehen erst einsetzen mussten. Er hatte eher das Gefühl, dass sie bereits kurz vor der eigentlichen Niederkunft stand und dies alles nur nicht so wahrnahm, wie bei ihren letzten fünf Geburten. Auf den ersten Blick hatten die Bilder, die sie beschrieb auch für ihn keinen Sinn gemacht. Doch er fühlte, dass jedes einzelne ihrer Worte wichtig war. Darum musste er alles im Gedächtnis behalten. Sobald das Kind gesund und sicher auf der Welt war, würde er alle Zeit haben, vernünftig nachzudenken. Er hoffte, die Botschaft der Némain Sidhe zu deuten, die sie ihnen durch das kalte, blaue Feuer geschickt hatte.
XIII
Bran'wen schreckte plötzlich hoch, als sie klar und deutlich die Stimme ihrer Herrin hörte.
Langsam trotteten die Erinnerungen an den grauenhaften Nachmittag Eine um die Andere wieder in ihr altes, träges Hirn zurück, so wie eine undisziplinierte Schafherde hinter dem Hütejungen in den Stall zurückkehrt: Sie musste vor lauter Erschöpfung, und weil sie sich die Seele aus dem Leib geheult hatte, eingeschlafen sein. Ein kurzer Blick nach draußen, durch immer noch schlaftrunkene Augen, bestätigte ihr, dass die Sonne schon lange hinter dem Horizont verschwunden war, um der Nacht und dem neuen Mond Platz zu machen.
Als der Herzog, der dunkelhaarige Mann aus dem Süden und die Anderen in das Gemach von Maeliennyd Glyn Dwyr geströmt waren, hatte man sie achtlos aus dem Weg gestoßen. Sie hatte sich in einer Ecke neben einer Kleidertruhe hingehockt, um aus dem Weg zu sein und nicht zu stören. Dann mussten sie alle wieder fortgegangen sein und man hatte sie einfach vergessen. Jetzt konnte sie nur noch den Ollamh und ihre Herrin ausmachen. Sie saßen zusammen auf dem großen, mit prächtigen Vorhängen geschmückten Bett und plauderten. Bran'wen richtete sich so leise, wie möglich auf, um nicht den Zorn von Aodrén zu erwecken. Sie spähte vorsichtig über den Rand der Truhe hinweg. Ihre alten Ohren taugten wenig. Bran‘wen konnte kaum verstehen, worüber die beiden sprachen, doch allen Anschein nach ging es ihrer Herrin schon wieder viel besser. Sie hatte mit ihrem fürchterlichen Geschrei wohl nur eine unnötige Panik ausgelöst. Bran'wen biss sich auf die Lippen. Sie war sicher, dass ihr am nächsten Morgen eine gewaltige Strafpredigt drohen würde. Vermutlich würde Maeliennyd Glyn Dwyr sie wieder einmal eine alte Närrin schimpfen und ihr damit drohen, sie nach Wales zurückzuschicken, weil sie zu nichts mehr taugte.
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