Nur eines der Zimmer war hell erleuchtet, der Rest der Villa war vollständig in Dunkelheit getaucht. Langsam schlich Bill näher, immerzu sorgsam darauf bedacht, sich nach Wachposten oder anderen Personen umzusehen. Ungesehen rein, ungesehen raus, das war seine Überlebensgarantie.
Links neben dem Gebäude fand sich ein kleiner Parkplatz, auf dem mehrere Fahrzeuge den spärlichen Platz beanspruchten. Die Mauer selbst stellte für Bill nach der schweißtreibenden Kletterpartie kein Hindernis mehr dar, schließlich war sie auch nicht sonderlich hoch. Stellenweise ging sie ihm sogar nur bis zur Hüfte, vermutlich, um den Blick aufs Meer nicht zu versperren. Glücklicherweise schien es niemand für nötig zu halten, den Parkplatz zu überwachen, so dass Bill ungestört seine Arbeit verrichten konnte. Er installierte zwei Peilsender, einen unter dem Wagen der Schwarzhaarigen, den anderen unter der Limousine, mit der Patterson und Seibling in der Basis eingetroffen waren. Die Sender hatte Bill innerhalb weniger Minuten an unauffälliger Stelle am Unterboden befestigt. Für Laien waren sie kaum als Fremdkörper zu erkennen. Für die anderen Fahrzeuge standen ihm keine weiteren Peilsender zur Verfügung, allerdings interessierten sie ihn auch nicht sonderlich. Die Fahrzeuge gehörten vermutlich zu Black, Morden und Breitenscheidt; seinen Informationen zufolge verließen die drei die Villa nur sehr selten. Aus diesem Grund sah Bill auch keine Veranlassung, ihre Autos gesondert zu überwachen.
Bill lächelte zufrieden. Sein Auftraggeber wusste noch nichts davon, dass Bill die Fahrzeuge in Signalbojen verwandelt hatte, die mit der richtigen Gerätschaft kilometerweit leuchteten wie ein üppig behangener Weihnachtsbaum. Er würde ihm beizeiten davon berichten. Wer immer der unbekannte Auftraggeber war, der Bill engagiert hatte; er sollte ruhig wissen, dass er in Bill keine folgsame Marionette gefunden hatte, sondern einen Mann, der unbemerkt herein- und herausspazieren konnte, zu jeder Tag- und Nachtzeit. Bill war ein Mann mit eigenen Prinzipien und einem eigenen, erprobten Vorgehen. Er würde sich durch keinen Auftraggeber der Welt davon abbringen lassen, die Dinge auf seine Weise zu regeln.
Eine Sache blieb allerdings noch zu tun. Vorsichtig ertastete er die letzte Vorrichtung in der Brusttasche seiner kompakten Weste, die noch auf ihre Anwendung wartete. Eine kleine Wanze, die Bill über eine Kontaktperson organisiert hatte. Sie würde ihn über sämtliche Gespräche in der Villa aufklären können, ohne dass er sich dem Gelände auf zwei Kilometer würde nähern müssen. Er musste lediglich einen Weg in das Gebäude finden, möglichst, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Vielleicht hätte sein Auftraggeber ihm sogar dabei helfen können, aber Bill bevorzugte es, selbst ein paar Trümpfe in Hinterhand zu halten, von denen sein Klient nichts wusste. Vertraue niemanden, der sich dieses Vertrauens nicht gebührend als würdig erwiesen hat; diese Lektion hatte Bill früh gelernt.
Mit einem eleganten Sprung gelangte Bill zurück auf die andere Seite der Mauer. Eng an das Gebäude gepresst kroch er in Richtung des beleuchteten Eckzimmers. Wenn er ungesehen von den Wachen die Rückseite der Villa auf Einstiegsmöglichkeiten untersuchen wollte, musste er an dem hell erleuchteten Raum vorbei. Von seinem derzeitigen Standpunkt aus war seine einzige andere Option der Vordereingang, aber der war wie der Rest der Basis bewacht wie Fort Knox.
Ein prüfender Blick durch die riesigen Fenster bestätigte seinen anfänglichen Verdacht. Patterson, Seibling und Black waren nicht mit der schwarzhaarigen Archäologin allein; insgesamt sieben Personen hielten sich in dem Raum auf. Bill zählte durch. Patterson und die Archäologin hatten sich erhoben und standen etwa einen Meter abseits von den anderen vor einer Leinwand. Um den Tisch herum saßen Seibling, Black und drei weitere Personen, die Bill von seinem Standpunkt aus nicht erkennen konnte. Allerdings hegte Bill keine Zweifel daran, in den drei Personen die Männer aus seinen Missions-Dossiers wieder zu finden, die er für seinen Auftrag ausgehändigt bekommen hatte.
Allerdings hatte er keine Zeit, diese Vermutung zu überprüfen. Mit jeder Minute, die er sich in der Nähe der Villa aufhielt, riskierte er, entdeckt zu werden. Er warf einen prüfenden Blick auf die schwach glimmenden Zeiger seiner Armbanduhr. Er hatte etwa noch zwei Stunden, bevor die Sonne aufgehen und er wie auf dem Präsentierteller den wachsamen Augen des Wachpersonals ausgesetzt sein würde. Für den Rückweg plante er mindestens eine bis anderthalb Stunden ein; ihm blieb also gerade einmal eine weitere halbe Stunde, um sich Zugang zu der Villa zu verschaffen und die Wanze an geschickt gewählter Stelle anzubringen.
Allerdings war ihm der Balkon im Weg, der dem Mauerwerk am Eckzimmer entwuchs und frei schwebend über dem unendlich erscheinenden Abgrund der Klippe Aussicht auf einen langen Weg nach unten bot. Um auf die andere Seite zu gelangen, würde er den Balkon überqueren müssen. Ein kalkulierbares Risiko. Die Personen im Raum waren sichtlich ins Gespräch vertieft und würden ihn nicht bemerken.
Allerdings war auch Bill nicht unfehlbar, wie er in der nächsten Sekunde feststellen sollte. In der Dunkelheit hatte er die Beschaffenheit des Bodens falsch eingeschätzt. Als er sich über die schmale Brüstung auf die Terrasse gleiten lassen wollte, rutschte der Stein, auf dem er stand, plötzlich unter ihm weg. Bevor Bill reagieren konnte, rollte der Stein drei, vier Meter und stürzte mit einem lauten Poltern in die Tiefe. In der Stille der Nacht wirkte das Geräusch wie ein Paukenschlag, der Bill wie ein Echo laut in den Ohren widerhallte.
Er war leider nicht der einzige, der dieses Geräusch gehört hatte. Sieben Augenpaare drehten sich in einer einzigen, synchronen Bewegung zum Fenster um, doch Bill war längst in Deckung gegangen. Als sich die Balkontür öffnete und eine von den Personen im Raum die Umgebung suchend musterte, war von Bill nichts mehr zu sehen.
13) Portugal, Terras do Sado, 04. Juli 2007
Ein Poltern vor dem Fenster hatte der Diskussion ein jähes Ende beschert. Smith hatte als erstes reagiert und war in einer einzigen, fließenden Bewegung aufgesprungen und zum Balkon gehechtet. Er stürzte mit polternden Schritten nach draußen, während die anderen noch paralysiert in Richtung Fenster starrten, wie ein Rudel erschreckter Rehe angesichts der sich unaufhaltsam nähernden Scheinwerfer eines heranrasenden Wagens.
Jan kam nicht umhin, Smith für seine schnelle Reaktion zu bewundern. Die Schrecksekunde, der er wie alle anderen im Raum unterlag, hatte auf Smith anscheinend keinen Effekt. Ganz im Gegenteil, sein schnelles Handeln glich der verbissenen und emotionslosen Routine eines Boxers im Ring. Im Vergleich dazu wirkten alle anderen wie eine Herde verschreckter Schafe, die verzweifelt versuchten, durch ein betont lässiges Lächeln darüber hinwegzutäuschen, wie kläglich sie sich soeben blamiert hatten. Wenigstens hatte keiner von ihnen erschrocken aufgeschrien, was der ganzen Situation noch die Krone der Peinlichkeit aufgesetzt hätte.
Vor allem, weil es draußen anscheinend nichts zu entdecken gab. Jedenfalls nichts, das eine Erklärung für das Poltern hätte liefern können. Ratlos kehrte Smith unverrichteter Dinge nach ein paar Minuten zurück in den Raum. Doch im Gegensatz zu den anderen schien ihm der Vorfall keine Ruhe zu lassen, obwohl er sich mit augenscheinlich gelöster Miene zurück auf seinen Platz setzte. Während bei den anderen die Anspannung einer erleichterten Ruhe wich und vereinzelt wieder Gespräche aufflammten, warf Smith unaufhörlich einen unauffälligen Blick in Richtung Balkon, als würde er jede Minute damit rechnen, seine dunkelsten Vorahnungen bestätigt zu sehen.
Patterson hingegen schien wenig beunruhigt zu sein und verlieh seinem Vertrauen in die Sicherheitsmaßnahmen der Basis Nachdruck. Mit einem auffordernden Blick in Richtung Smith erklärte er die Angelegenheit für erledigt.
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