„Unsere Bemühungen waren allerdings nicht völlig umsonst.“ Patterson fing an, ruhelos im Raum hin und her zu laufen. Sein Blick war abwesend, als spräche er lediglich mit sich selbst, gedanklich in einer Zeit, die seit Jahren Vergangenheit war. „Etwas hat uns in die Hände gespielt, was wir aus eigener Erfahrung kennen, von unseren eigenen Computern, Ende der 80er Jahre. Der Fortschritt der Computer zu dieser Zeit war rasant, ihre Leistungsfähigkeit verdoppelte sich nahezu jedes Jahr, neue Technologien wurden im Jahreszyklus auf den Markt geworfen.“
Er stoppte seinen unruhigen Lauf und blickte Jan durchdringend an.
„Allerdings waren der frühen Computertechnologie natürliche Grenzen gesetzt. Ein Schwachpunkt war die Röhrentechnologie der Monitore. Zeigten die Monitore zu lange das gleiche Bild, brannte es sich in die Beschichtung des Bildschirms ein. Der Bildschirm zeigte in dem Fall dauerhaft ein schwaches Negativ des zuletzt angezeigten Bildes.“
„Aus diesem Grund wurde der Bildschirmschoner entwickelt. Es war ein einfacher Trick, diesen unerwünschten Nebeneffekt zu umgehen. Blieb ein Bildschirm zu lange unbewegt, schaltete sich der Bildschirmschoner ein. Das Bild blieb auf diese Weise in Bewegung und ein Einbrennen in die Bildschirmbeschichtung wurde vermieden“, vollendete Black.
„Und etwas ähnliches haben Sie auch bei unserem unbekannten Gerät gefunden!“, vermutete Jan.
„Richtig. Nachdem wir das Gerät in seine Bestandteile zerlegt hatten, entdeckten wir einen Bildabdruck, sobald der Bildschirm von hinten durchleuchtet wurde. Zwar handelt es sich nicht um Röhrentechnologie, wie bei unseren alten Monitoren, aber vermutlich war das Gerät sehr lange in Betrieb, bevor ihm der Saft ausging. Auf jeden Fall genügend Zeit, um uns das Geheimnis zu verraten, welches Bild es zuletzt dargestellt hat.“ Sichtlich angetan von der eigenen Leistung rief Patterson ein weiteres Foto auf seinem Notebook auf. „Das haben wir gefunden.“
Das schwarz-weiße Bild war unscharf, wie ein verwackeltes Foto aus einer antiquierten Kamera. Im Grunde war es nichts anderes als ein wirres Zusammenspiel von weißen, grauen und dunklen Flecken, aber dennoch war klar zu erkennen, was es zeigte. Eine Art Landkarte. Jan atmete tief ein. „Ein Landkarte!“, rief er aus. „Wo ist das?“
„Die iberische Halbinsel,“ bestätigte Black. „Der Küstenverlauf entspricht in etwa dem Meeresspiegel, den wir nach heutigem Wissensstand vor etwa 10.000 bis 12.000 Jahren erwarten würden. Ein weiterer Hinweis auf das Alter der Kapsel.“ Er grinste selbstzufrieden. „Was also zu sehen ist, ist eine Landkarte von Südwest-Europa auf einem Stand von vor etwa 11.000 Jahren. Das war das letzte Bild, das dieses Gerät anzeigte, bevor es sich für immer ausgeschaltet hat. Vermutlich handelt es sich bei dem Gerät um eine Art Navigationscomputer. Oder zumindest hoffen wir das.“
Mit dem Schatten seines Fingers kreiste Black auf dem Bild an der Wand eine dunkle Stelle auf dem Foto ein. „Sehen Sie diesen Punkt?“, fragte er demonstrativ. „Wie Sie leicht feststellen können, hebt er sich deutlich von der Umgebung ab, als wäre er auf dem Originalbild markiert gewesen.“
„Die Frage ist, warum? Warum war dieser Punkt so wichtig, ihn auf der Karte gesondert hervorzuheben?“, sinnierte Morden, obwohl er offensichtlich keine Antwort erwartete. „Im Grunde gibt es nur eine Antwort darauf: Wenn wir davon ausgehen, dass dieses Gerät der Navigation der Kapsel diente, dann ist dieser Punkt…“
„…der Zielpunkt der Landekapsel“, vollendete Jan.
Patterson zuckte mit den Schultern. „Oder der Startpunkt. Wie auch immer, wo die Kapsel tatsächlich her kam, oder wo sie hinwollte, können wir nicht mehr bestimmen. Dafür ist zu viel Zeit vergangen. Aber wir sind uns einig, an diesem Punkt mit unserer Suche anzusetzen.“
11) Portugal, Terras do Sado, 03. Juli 2007
„Diese Entdeckung ist einmalig!“, bestätigte Jan, überwältigt von undefinierbaren Emotionen, die ihm beinahe die Sprache raubten. Seine Stimme zitterte leicht, obwohl er sich alle Mühe gab, gegenüber den anderen souverän aufzutreten. Allerdings konnte er kaum verbergen, wie aufgewühlt er tatsächlich war. „Ohne Zweifel, die Kapsel ist ein Fund, der die Welt verändern wird. Das gestehe ich Ihnen zu. Allerdings halte ich es für etwas weit hergeholt, diese Kapsel Atlantis zuzuschreiben. Ich habe bislang keine Hinweise gesehen, die Rückschlüsse auf die Erbauer der Kapsel zulassen würden.“
Langsam gewann Jan etwas von seinem klaren Verstand zurück, der sich während der Aufregung der letzten halben Stunde irgendwo in eine dunkle Ecke seines Hinterkopfs verkrochen hatte. Ein nagendes Gefühl hatte die anfängliche Überforderung ersetzt, die sich bereits bei den ersten Bildern eingestellt hatte. Jan wusste nicht genau, was ihm dieses Gefühl zu sagen versuchte, allerdings schien irgendetwas an dem ganzen Bild noch nicht stimmig zu sein. Vielleicht resultierte dieses Gefühl auch aus der Verweigerung seines Verstandes, die Erklärungen zu akzeptieren, die auf eine so unerträgliche Art und Weise unglaublich erschienen. Diese Geschichte konnte unmöglich wahr sein! „Ich weiß nicht“, nahm er zögerlich seinen Faden wieder auf, „ich halte es für sehr gewagt, direkt an Atlantis zu denken, sobald wir auf etwas stoßen, das wir nicht erklären können. Sie setzen Ihre gesamten Hoffnungen auf ein unscharfes, verschwommenes Bild. Eine etwas dürftige Ausgangsbasis, wie Sie zugeben müssen.“
Black nickte kaum wahrnehmbar, sagte jedoch nichts. Er hatte sich bequem in seinem Sitz zurückgelehnt, mit leicht amüsierter Miene, als würde er eine heitere, aber vorhersehbare Theateraufführung genießen.
„Das Bild sagt nichts aus“, betonte Jan, leicht irritiert. Er verspürte das dringende Bedürfnis, den Anwesenden zu zeigen, wie falsch sie mit ihren Annahmen lagen; sie auf ihre Fehler hinzuweisen. Die Kapsel war vielleicht ein Fakt, auch wenn er noch nicht bereit war, das zu akzeptieren, aber diese Suche nach dem Start- oder Zielpunkt der Raumfähre, das war nichts anderes als blinder Aktionismus. Wahnwitzig . „Es ist viel zu unscharf. Der Kreis umfasst im Minimum mehrere Quadratkilometer. Ohne weitere Informationen, mit denen die Suche eingegrenzt werden kann, suchen Sie sprichwörtlich die berühmte Nadel im Heuhaufen.“ Herausfordernd blickte er in die Runde. Doch niemand reagierte, wie Jan es erwartet hätte. Stattdessen starrten Black und Morden ihn mit einer Miene an, die Jan an die grenzenlose, unerschütterliche Naivität erinnerte, die kleine Kinder beizeiten an den Tag legen.
Kein Widerspruch, keine Zustimmung.
Er fühlte sich wie die einsame Stimme der Vernunft, die ungehört verhallte, weil sich niemand für ihre Botschaft interessierte. Morden und Black wirkten wie ein paar Kinder, die stundenlang mit Begeisterung den Sand in ihrer Sandkiste umgruben, um die verschollenen Ruinen ihrer kindlichen Phantasie auszugraben, ohne sich um Dinge wie Realität oder Sinnhaftigkeit zu kümmern. „Wo wollen Sie also anfangen?“, fragte er provokativ, um zumindest irgendeine Reaktion zu provozieren. Er konnte den leicht gereizten Unterton nicht verhehlen, der in diesen Worten mitschwang. „Die einzige Quelle, auf die Sie zurückgreifen können, sind Platos Texte, die kaum als fundierte Fakten zu werten sind. Und, viel schwerwiegender, Sie konnten noch nicht schlüssig beweisen, warum Sie bei der Kapsel ausgerechnet an Atlantis denken. Im Grunde könnten diese Gegenstände die Hinterlassenschaften von sonst jemandem sein. Sie tun im Prinzip nichts anderes, als Spekulationen mit anderen Spekulationen zu untermauern.“
Er zuckte skeptisch mit den Schultern. „Was haben Sie vor? Wollen Sie in einem derart großen Areal den gesamten Boden umgraben, bis Sie etwas finden, das Sie auf die Spur von Atlantis führt?
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